Elias (15) stirbt durch Deo-Challenge bei TikTok Mutter erlebt „Hölle und viel tiefer“

Elias (15) stirbt durch TikTok-Challenge: „Einmal Hölle und viel tiefer“
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Eigentlich war es für Corinna Werner, ihren 15-jährigen Sohn Elias, dessen beide jüngere Brüder und ihren Mann Gerd Wenner zunächst ein Samstag wie jeder andere. Doch an diesem 2. September passierte das, was die Olfenerin wenige Tage später mit den Worten „Wir waren einmal in der Hölle und noch viel tiefer“ zusammenfasst. An diesem verhängnisvollen Tag endete das Leben von Elias, der zum nächsten Abschlussjahrgang am Förderzentrum Nord in Bork zählte, auf tragische Art und Weise.

Elias war an diesem Tag gemeinsam mit seinen Brüdern und Gerd Wenner zum Wertstoffhof gefahren, erinnert sich seine Mutter. „Er war an dem Tag so lebhaft wie lange nicht mehr“, schildert Corinna Werner, bei Elias, bei dem in der fünften Klasse Autismus festgestellt wurde, sei das in den vergangenen Wochen selten vorgekommen. Dann ist er nach oben in sein Zimmer gegangen und hat es nicht wieder verlassen.

„Brecht die Tür auf!“

Als seine Mutter ihn gegen 17 Uhr rief, weil er eine Tablette gegen eine Rachenentzündung einnehmen sollte, reagierte Elias nicht. Er werde sich wohl wegen des Wetters draußen aufhalten, dachte sie sich. Oder vielleicht sei er zu einem in der Nähe wohnenden Freund gefahren. Das sei nichts Ungewöhnliches, sagt sie. Der 15-Jährige habe sich gerne im Freien aufgehalten und regelmäßig längere Fahrradtouren gemacht. „Dann habe ich etwas geschlafen und bin gegen 21.15 Uhr aufgewacht. Als die Tablette noch vor mir lag, wurde ich unruhig“, erinnert sich Corinna Werner.

Zunächst habe sie noch gedacht, dass Elias sich bei Gerd Wenners erwachsenem Sohn im Untergeschoss aufhält. Im Gartenhaus brannte noch Licht. Doch auch hier: keine Spur von Elias. Als sein Bruder dann gegen die verschlossene Zimmertür schlug und trat und sich der Jugendliche nicht wie gewohnt beschwerte, habe Corinna Werner nur noch gerufen: „Brecht die Tür auf!“

Immer wieder Deo verschwunden

Gerd Wenner fand Elias als erster. „Da lag er schon auf dem Bett, war kalt und hatte keinen Puls mehr“, erzählt der 49-Jährige mit gedämpfter Stimme. Der ganze Raum roch stark nach Deo-Sprays. Der Jugendliche hatte diese offensichtlich, wie sich im Nachhinein herausstellte, in seinem Zimmer inhaliert. Durch das darin enthaltene Gas Butan war er zu Tode gekommen. Leider ist Elias damit kein Einzelfall, sein Verhalten ist eine Folge einer sogenannten Challenge beim Videoportal TikTok.

Die sogenannte „Deo-Challenge“ kursiert schon seit Jahren auf TikTok – zunächst in abgeschwächter Form: User sprühten sich so lange wie möglich Deo auf die Haut, Verbrennungen und Reizungen waren die Folge. Seit einiger Zeit atmen die Teilnehmer das Gas ein. Butan kann beim Einatmen den Herzmuskel und das Atemzentrum lähmen, warnen Ärzte.

Zahlreiche Deoflaschen

Corinna Werner und Gerd Wenner war dieser gefährliche Trend, an dem Anfang des Jahres auch eine 17-Jährige aus Scharbeutz an der Ostsee gestorben war, nicht bekannt. In den vergangenen Wochen war ihnen nur immer wieder aufgefallen, dass ihre Deoflaschen und Haarsprayflaschen verschwunden waren.

„Wir haben Elias gefragt, ob er die gesehen hat, aber er hat das immer verneint. In seinem Raum hat es immer wieder nach Deo gerochen, aber das haben wir nicht damit in Verbindung gebracht“, schüttelt seine Mutter den Kopf. Auch bei einer Suche in seinem Zimmer hätten sie nichts entdeckt. „Er muss das viel öfter gemacht haben, es wurde total viel Gas in der Luft festgestellt“, berichtet Gerd Wenner.

Beim Aufräumen in Elias‘ Zimmer habe er neben zahlreichen Deoflaschen auch Haarspraydosen gefunden, die es eigentlich nur im Internet-Großhandel zu erwerben gibt. Da war der Junge schon tot. Noch am Dienstag, also drei Tage nachdem der 15-Jährige gestorben war, ist ein weiteres Amazon-Paket mit mehreren Spraydosen eingetroffen.

Rechtliche Schritte geplant

Wenn sich nach der Untersuchung seines Computers der Verdacht erhärten sollte, dass Elias entsprechende TikTok-Videos angeschaut hat, will das Ehepaar rechtliche Schritte gegen den Konzern einleiten. Gerd Wenner wird deutlich: „Die gehen über Leichen. Etliche Male wurde TikTok verklagt, aber sie nehmen das Thema überhaupt nicht ernst. Kinder haben weiterhin ungebremsten Zugang.“

An die Minuten, nachdem ihr klar wurde, dass ihr Sohn nicht mehr am Leben ist, kann sich Corinna Werner kaum noch erinnern. „Meine anderen Söhne standen neben mir, und ich habe sofort gesagt: Elias ist tot“, erzählt die 48-Jährige, der wegen einer Erkrankung das Treppensteigen schwer fällt. Ihr Mann, der oben neben dem Leichnam stand, berichtet: „Ich hörte nur noch ihre Schreie.“

Elias interessierte sich sehr für Elektronik und wollte nach seinem Schulabschluss im kommenden Sommer in diesem Bereich arbeiten.
Elias interessierte sich sehr für Elektronik und wollte nach seinem Schulabschluss im kommenden Sommer in diesem Bereich arbeiten. © privat

Ehepaar will Eltern warnen

Elias wollte sich gerade für ein Praktikum bei einem Elektrobetrieb bewerben, der Jugendliche war in diesem Bereich sehr interessiert und bastelte in seiner Freizeit regelmäßig Werkzeug, reparierte Fahrräder oder baute an eigenen Erfindungen. „Schon früh hat er sich immer für technische Details interessiert. Aktuell waren Sirenen sein besonderes Interesse, da wusste er von jeder, wo sie steht und welche Besonderheiten sie hat“, erzählen Corinna Werner und Gerd Wenner.

Mit der Schule fremdelte Elias gelegentlich etwas, auch wenn er bei einem Test als hochbegabt eingestuft wurde. Aber mit Blick auf den Abschluss im kommenden Jahr berichtet seine Mutter: „Er wollte unbedingt dieses Praktikum machen und hatte seinen Lebensweg gefunden. Elias hatte Ziele und Träume und wollte richtig loslegen.“

Auf Beerdigung vorbereiten

Eines ist der Olfenerin besonders wichtig: Sie will andere Eltern warnen und für die Gefahr sensibilisieren, damit ihnen nicht das Gleiche passiert. „Jeder sollte wissen, dass es diese Deo-Challenge gibt und genau gucken, womit sich mein Kind auf dem Handy wirklich beschäftigt. Wenn es nur einem Kind hilft, lohnt es sich schon, dass wir unsere Geschichte erzählen“, appelliert Corinna Werner. Sie und ihre Familie müssen sich jetzt auf die Beerdigung vorbereiten. „Wir haben die Urne zu Hause und bemalen sie. Elias liebte Regenbögen und Blumenwiesen, deswegen wollen wir an dem Tag alles in Bunt, nicht in Schwarz halten“, erklärt die Mutter.

Auf der Grabplatte soll ein Vogel abgebildet sein, wegen der Nähe ihres Sohnes zu ihren Kanarienvögeln und Zebrasittichen. Elias wird auf dem Friedhof neben seinen Urgroßeltern liegen. „Alle, die ihn kannten, kommen vorbei, und er war ziemlich beliebt“, erwartet die 48-Jährige viele Besucher, die sich am Grab verabschieden wollen. Sehr dankbar sei sie auch einer Freundin, die online eine Aktion zur finanziellen Unterstützung der Familie ins Leben gerufen hat. Denn neben der Trauer kommt auch hier einiges auf die Familie zu. Eine Sterbegeldversicherung habe man für Elias nicht abgeschlossen.

Wer Elias‘ Familie bei der Beerdigung finanziell unterstützen möchte, kann das bei der von einer Freundin gestarteten Kampagne unter www.gofundme.com/f/elias-ist-viel-zu-fruh-von-dieser-welt-gegangen machen.

Für die ganze Familie sind die jetzt notwendigen Gespräche und Vorbereitungen auch Ablenkung angesichts des herben Schicksalsschlags. „Man ist froh, dass man von morgens wie abends irgendwas zu tun hat“, meint Corinna Werner nur. Gerd Wenner, der als Lkw-Fahrer arbeitet, ist bis nach der Beerdigung krankgeschrieben. „Aktuell fühle ich mich so, als ob ich dann wieder fahren könnte. Aber wer weiß, was nächste Woche nach der Beerdigung sein wird?“, fragt er sich.

Elias‘ Brüder gehen derzeit ebenfalls nicht zur Schule. Der Jüngste sei sieben und realisiere noch nicht alles, meint seine Mutter. Der einige Jahre ältere Bruder habe aber zum Schutz seines jüngeren Bruders (auch wenn beide auf ihrem Handy dazu keinen Zugang haben) schon angekündigt: „Ich achte ganz stark darauf, dass er nicht zu Tiktok kommt.“ So will er helfen, dass sich das Schicksal seines älteren Bruders nicht wiederholt.

Die Polizei im Kreis Coesfeld warnt im Zusammenhang mit dem aktuellen Fall vor der Deo-Challenge und bittet Erziehungsberechtigte, mit ihren Kindern über die Gefahren von Challenges zu sprechen. Die Polizei Coesfeld und die EU-Initiative klicksafe raten unter anderem:

  • Bleiben Sie im regelmäßigen Austausch mit Kindern und Jugendlichen, um zu erfahren, welche Mutproben aktuell angesagt sind.
  • Besprechen Sie, dass unter riskanten Challenges auch viele Fakes kursieren. Ermutigen Sie Kinder und Jugendliche, die gezeigten Handlungen kritisch zu hinterfragen.
  • Bestärken Sie Kinder und Jugendliche darin, sich und andere nicht in Gefahr zu bringen und bei Aufforderungen dem Gruppendruck nicht nachzugeben. Informieren Sie andere Eltern und die Klassenleitung, wenn im Freundeskreis oder in der Schule gefährliche Challenges im Umlauf sind.

Weitere Informationen finden Sie unter www.klicksafe.de/challenges

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 8. September 2023.

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