
Bürgermeister Wilhelm Sendermann informierte zusammen mit den Planern des Projekts an drei Stellen in Olfen, an denen die neue Stever mal fließen könnte. © Marie Rademacher
Aktueller Stand und Hintergründe: Das Langzeitprojekt Neue Stever in Olfen
Neue Stever
Was genau hat es eigentlich mit der Neuen Stever auf sich? Was genau beinhaltet das Projekt - und warum hat es so viele Kritiker? Hintergründe dazu gibt es bei uns in „Fragen und Antworten“.
Der Boden ist trocken, sehr trocken. Über knisterndes Laub steigen die Besucher der Bürgerversammlung in der vergangenen Woche hinab in das kleine Wäldchen am Sternbusch in Olfen. Bunt besprühte Holzpflöcke im Boden markieren, wie es hier bald aussehen könnte. Wie tief das Gewässer sein könnte, wie breit die Böschung. Es ist eine der Stellen, an denen die Neue Stever - dieses viel diskutierte Thema in Olfen - Realität werden könnte. Was genau ist eigentlich die Neue Stever? Wozu soll sie gut sein? Warum sollte sie gerade in Olfen entstehen, welche Kritik gibt es und wie sieht es mit der Finanzierung aus? Den aktuellen Stand und die Hintergründe des Olfener Langzeitprojekts fassen wir im Format „Fragen und Antworten“ zusammen:
? Mal ganz allgemein gesprochen: Was genau ist überhaupt die „Neue Stever“ und wozu soll sie gut sein?
Die Neue Stever – so werden die Planungen eines neuen naturnahen Gewässers genannt, das die Flüsse Stever und Lippe in Olfen miteinander verbinden soll. Warum ist das notwendig? Das hat etwas mit dem Hullerner und dem Halterner Stausee zu tun. Seitdem diese angelegt wurden, ist das Stever-Heubach-System von der Lippe abgeschnitten. „Die beiden Stauseen unterbrechen durch ihre mündungsnahe Lage die ökologische Durchgängigkeit für das gesamte Stever-Einzugsgebiet“, heißt es dazu in den Planungsunterlagen. Die Defizite bei der Durchgängigkeit sind vor allem für Fische ein Problem: Sie können dadurch nicht wandern. Die Neue Stever hingegen würde ihnen das möglich machen.
? Kann man für die Fische keine anderen Alternativen schaffen? Und warum ist ausgerechnet Olfen der Ort, an dem eine Verbindung geschaffen werden könnte?
Alternativen hat die Stadt Olfen prüfen lassen - schon vor recht langer Zeit. Schon seit 2007 beschäftigt das Projekt die Stadt. Ergebnis der Vor-Machbarkeitsstudie war im Jahr 2009, dass es zwar möglich wäre, im Umfeld der Stauanlagen Fischauf- und -abstiegshilfen zu errichten. Allerdings wäre das sehr aufwendig. Besser bewertet ist seitdem folgende Variante: „Aufgrund der räumlichen Lage und Nähe von Stever und Lippe im westlichen Umfeld von Olfen und aufgrund der dortigen Reliefverhältnisse und Landschaftsstrukturen besteht dort die Möglichkeit, eine neue, durchgängige Verbindung von der Stever zur Lippe zu entwickeln. Auf diese Weise können die Durchgängigkeitsdefizite für das gesamte Stever-Einzugsgebiet maßgeblich verbessert werden.“
? Wie ist der Stand der Planungen? Ist die Neue Stever jetzt schon beschlossene Sache?
Nein, die Neue Stever ist noch keine beschlossene Sache. Das betonte Bürgermeister Sendermann bei dem Vor-Ort-Termin gegenüber den Zuhörinnen und Zuhörern auch mehrmals. Aber: „Die Neue Stever ist genehmigt. Die Frage, die noch offen ist, ist, ob die Stadt Olfen die Finanzierung zusammenkriegt. Und es muss noch geklärt werden, ob die Stadt Olfen die Neue Stever bauen möchte. Der Rat wird das entscheiden“, so Sendermann.

In dem kleinen Wäldchen am Sternbusch in Olfen hatte die Stadt abgesteckt, wie breit die Neue Stever werden könnte. © Marie Rademacher
Das Planfeststellungsverfahren für den Bau der Neuen Stever war ursprünglich bereits 2017 beendet worden. Damals gab es die Auflage, bis Juli 2022 mit dem Bau zu beginnen. Da diese Frist nicht eingehalten werden konnte, hatte die Stadt Olfen vor einigen Monaten eine Fristverlängerung beantragt, der Kreis Coesfeld hat sie gewährt. Nun hat die Stadt also erneut fünf Jahre Zeit, mit den Arbeiten zu beginnen – bis Juli 2027. Ein Olfener hat allerdings gegen die Genehmigung der Fristverlängerung geklagt. Das Verwaltungsgericht Münster muss sich nun mit den Argumenten des Kreises Coesfeld beschäftigen. Unklar ist bislang noch, ob die Klage eine aufschiebende Wirkung hat, also ob die Stadt Olfen trotz laufendem Verfahren mit dem Bau der Neuen Stever beginnen dürfte.
? Wie genau sieht es mit der Finanzierung der Neuen Stever aus?
Wieder mal ist das Ganze etwas kompliziert: Ursprünglichen Plänen zufolge sollten Gelsenwasser und das Land NRW die Hauptkosten des Projekts Neue Stever tragen, außerdem sollte durch den Verkauf von Ökopunkten der Olfener Eigenanteil gestemmt werden. Weil die Zusage der Gelsenwasser AG, sich an den Kosten zu beteiligen noch fehlte, hatte die Stadt um die Fristverlängerung gebeten. Gelsenwasser als Wasserversorger und Betreiber der Stauseen hatte jedoch gegenüber der Redaktion erklärt, sich dem Projekt zu beteiligen. Pressesprecherin Heidrun Becker erklärte dazu im Februar: „Die Neue Stever ist ein Vorhaben, das eine weitgehende Fischdurchgängigkeit ermöglicht. Daher beteiligt sich Gelsenwasser gern an dem Projekt. Mit der Bezirksregierung Münster, die das Projekt ebenfalls fördert, hat Gelsenwasser eine Beteiligung von 2,1 Millionen Euro vereinbart. Dies entspräche den Kosten für eine weitergehende Fischaufstiegsanlage am Walzenwehr.“
Etwas, was Bürgermeister Sendermann, so sagte er bei der Versammlung, nach wie vor nicht schriftlich habe. „Die Beteiligung der Gelsenwasser AG ist nicht fixiert. Mir liegt kein Satz vor. Und ich habe sehr deutlich gemacht, dass ich mit der genannten Zahl auch noch ein bisschen Verständnisprobleme habe“, sagte er. „Ich kann nichts dafür, dass Gelsenwasser irgendwas in die Zeitung gesetzt hat, das ist nicht meine Baustelle. Ich kläre das ganz sauber und ich sage Ihnen: Die Neue Stever wird mit diesem Bürgermeister Sendermann nur kommen, wenn sie den Olfener Steuerzahler nicht zusätzliches Geld kostet und wenn wir sie aus Ökopunkten und aus anderen Erlösen refinanzieren können. Und alles andere werde ich nicht zulassen“, so Sendermann bei der Veranstaltung.

Viele Interessierte kamen zu der Info-Veranstaltung. An drei unterschiedlichen Stellen hatte die Stadt Olfen geladen. © Marie Rademacher
Noch mal zu den Ökopunkten: Kommunen können Maßnahmen zur ökologischen Aufwertung ihrer Fläche von der Naturschutzbehörde anerkennen lassen. Für die Maßnahmen werden sogenannte Ökopunkte vergeben, mit denen frei gehandelt werden kann. Ein Olfener Ökopunkt kostet 2,38 Euro.
Gerade in den vergangenen Monaten hat eine Aussage des Bürgermeisters, die im Protokoll eines Umweltausschusses festgehalten ist, für viel Aufsehen gesorgt. Dort steht: „Bürgermeister Sendermann erklärt, dass die voraussichtlichen Baukosten bis zum Durchführungsbeschluss noch aktualisiert werden. Unabhängig von der tatsächlichen Höhe der Kosten, erfolgt eine 80-prozentige Förderung durch das Land. Der verbleibende Eigenanteil wird durch den Verkauf von durch die Maßnahme generierten Ökopunkten refinanziert, so dass die Maßnahme die Stadt Olfen und die Olfener Bürger kein Geld kosten wird.“ Sendermann will durchsetzen, dass diese Stelle im Protokoll geändert wird. Sie sei sachlich unrichtig wiedergegeben, sagte er. Seine Begründung macht deutlich, was er auch bei der Versammlung vor Ort mehrfach wiederholte: Die Finanzierung ist noch nicht abschließend geklärt.
Wie hoch die Kosten für die Neue Stever, wenn sie denn realisiert wird, insgesamt sein werden, ist nicht ganz klar. Der ursprüngliche Kostenvoranschlag aus dem Jahr 2014 beläuft sich auf rund 7,4 Millionen Euro. Seitdem sind Baukosten deutlich gestiegen.
? Es gibt viel Kritik an der Neuen Stever. Was sind die Argumente der Kritiker?
Anwohner gerade am Sternbusch in Olfen fürchten um ihre Häuser - um Risse und Hochwasser durch Absenkungen. Das wurde auch bei der Versammlung im kleinen Wäldchen dort sehr deutlich. Hier blieb dem Bürgermeister zu versichern, dass die Stadt das im Auge habe und genau prüfe. Schon bei einer Bürgerversammlung in der Stadthalle im März hatte er dazu sein Versprechen gegeben.
Auch eine deutliche Absenkung des Grundwassers gerade angesichts der klimatischen Herausforderungen fürchten viele Olfenerinnen und Olfener. „Es wird ein erbärmliches Sterben werden“: Diese Sorge hatte eine Anwohnerin des Alten Postweges gegenüber der Redaktion mit Blick auf den kleinen Wald dort geäußert. Auch bei der Veranstaltung jetzt kamen wieder Fragen dazu auf. Wird den Bäumen hier nicht wichtiges Wasser genommen? Senkt sich der Grundwasserspiegel durch den Einschnitt in die Natur nicht erheblich?

Auch, weil für den Bau der Neuen Stever Bäume gerodet werden müssen, gibt es Kritik an dem Projekt. © Marie Rademacher
Dr. Uwe Koenzen vom gleichnamigen Hildener Planungsbüro versuchte hier, den Anwohnern Sorgen zu nehmen. Wenn dann nur geringfügig werde sich der Grundwasserspiegel verändern, sagte er. Die Bäume würde das nicht stören, handele es sich doch hauptsächlich um Flachwurzler, deren Wurzeln sowieso nicht ans Grundwasser kämen. Offensichtlich blieben bei den Anwohnern, die zur Veranstaltung gekommen waren, aber Zweifel an dieser Aussage.
Auch mit Blick aufs Klima gibt es Bedenken - nicht nur unter den Anwohnern. Um die Neue Stever zu bauen, müssten Bäume gefällt werden: fünf Hektar Wald insgesamt. Das ist der erste Kritikpunkt des Olfener Klimaforums, der auch schon häufig vorgetragen worden ist. Ein weiterer Punkt bezieht sich auf die Daten, die den Planungen zugrunde liegen. Die sind aus Sicht des Klimaforums zu alt, um damit angesichts der aktuellen klimatischen Veränderungen wirklich in die Zukunft schauen zu können. Die Grundwasser-Daten, die den Planungen zugrunde liegen, stammen aus den 1990ern. Sie seien die letzten verfügbaren Daten gewesen, die bei der Untersuchung der Grundwasserverhältnisse betrachtet wurden, hatte die Stadt Olfen auf eine Anfrage der Redaktion im Mai dieses Jahres erklärt. „Da bis zur und während der Planung seitdem keine signifikanten baulichen Änderungen erfolgten (bzgl. der Auswirkungen auf das Grundwasser) und auch kein Trend zu niedrigeren Grundwasserständen vorlag, wurden diese Zeiträume gewählt“, so Bürgermeister Wilhelm Sendermann damals.
? Wenn die neue Stever kommt - wie würde sie denn dann aussehen?
„Das ist kein Kanal, der hier durchfließen würde. Sondern etwas Variables, was eine natürliche Anmutung haben soll“, erklärte Joachim Steinrücke von ProAqua, der Ingenieurgesellschaft für Wasser- und Umwelttechnik, die ebenfalls an der Planung mitarbeitet. Aus vorigen Veröffentlichungen der Stadt Olfen wird deutlich, dass das Gewässer im Mittel 40 Zentimeter tief sein soll mit einer Solbreite von drei bis vier Metern. Ein mittlerer Abfluss von 200 Litern pro Sekunde soll bei mittleren Fließtiefen von ihm abgeführt werden können. Gesamtlänge: 4,4 Kilometer. „Um eine gewässertypische Entwicklung des Gerinnes und die Entwicklung naturnaher Auenstrukturen zu ermöglichen, wird sich die Neue Stever in einer zumeist zehn Meter (stellenweise auch 20 Meter, lokal fünf Meter) breiten Sekundäraue eigendynamisch entwickeln können“, heißt es außerdem in einer Vorlage der Stadt.
Rund um das Gewässer würde für die ökologische Gestaltung das Prinzip des „Festen Wartens“ walten. Das heißt: Die Natur wird sich selbst überlassen an der Stelle. „Da bilden sich dann Gebüsche und Gehölze. Und weil das hier dann deutlich feuchter sein wird, werden das Erlen und Weiden, die hier wachsen würden - einfach, wenn man wartet“, erklärte Planer Uwe Koenzen in dem Wäldchen am Sternbusch. Das Wasser in der Neuen Stever bringe Erlen- und Weidensamen mit. „Das würde ein Wald, der mit Sicherheit etwas lebendiger wirkt, als der, in dem wir hier gerade stehen.“
? Die Neue Stever ist auch ein Politikum in Olfen - wie kam es dazu?
Die Neue Stever polarisiert - gerade in diesem Jahr ist das sehr deutlich geworden. Es gibt viele Kritiker. Hans Oswald Mattern, einer der lautesten unter ihnen, hatte im Anschluss an die Bürgerversammlung in der Stadthalle im März sogar eine Petition gegen die Fristverlängerung für die Neue Stever gestartet und die Unterschriftenliste mit den Namen von über 40 Olfener Bürgerinnen und Bürger an dem Landrat in Coesfeld übergeben. Er sieht das Projekt als Millionengrab für die Stadt.
Weiterer Kritikpunkt ist, dass die Stadt hier die Verantwortung für die Durchlässigkeit übernehmen möchte - und nicht federführend Gelsenwasser als Wasserversorger und Betreiber der beiden Stauseen.
Es gibt eben aber auch die andere Seite - die Befürworter des Projekts. Das NRW-Umweltministerium zum Beispiel. Das Projekt diene „der ökologischen Verbesserung und hat eine elementare Bedeutung für das gesamte Gewässereinzugsgebiet der Stever“, heißt es in einer Stellungnahme des Ministeriums. Die geplanten Maßnahmen würden einen wichtigen Beitrag zur Zielerreichung der EG-Wasserrahmenrichtlinie leisten.
Bei der Versammlung vor Ort war Wilhelm Sendermann um Neutralität bemüht. Der Rat der Stadt Olfen, der ja von den Olfener Bürgerinnen und Bürgern gewählt worden ist, wird in Zukunft beschließen, ob die Neue Stever kommt - oder eben nicht. „Ich habe Verständnis für die Sorgen, die geäußert werden“, sagte Bürgermeister Wilhelm Sendermann. „Ich versuche mit kühlem Kopf sachlich orientiert das zu einer Lösung zu führen - links oder rechts rum. Ich habe keine Vorfestlegung getroffen. Ganz eindeutig. Es wird der Tag kommen, da werden wir das hier in Olfen entscheiden müssen. Aber erst müssen wir die Brocken zusammen haben.“
Ich mag Geschichten. Lieber als die historischen und fiktionalen sind mir dabei noch die aktuellen und echten. Deshalb bin ich seit 2009 im Lokaljournalismus zu Hause.
