In den USA schließen Einkaufszentren oder stehen teilweise leer. Auch in Deutschland gewinnt der Onlinehandel immer mehr Marktanteile. Was bleibt für den Einzelhandel vor Ort in Nordkirchen?
Der Blick in die gängigen Immobilienportale überrascht: Zum Kauf oder zumindest zur Miete angebotene Geschäftslokale gibt es im Kreis Coesfeld etliche, jedoch nicht ein einziges in der Gemeinde. Erfolglos endet auch die Suche nach Gastronomieobjekten. Ist der Onlineboom noch nicht „auf dem Land“ angekommen?
Jens von Lengerke, Leiter der Handelsabteilung der IHK Nord Westfalen, geht zumindest davon aus, „dass künftig die Kunden im ländlichen Bereich deutlich selbstverständlicher ins Internet abwandern werden als Menschen, die in einem Oberzentrum mit großem, stationären Einzelhandelsangebot wohnen. Das Schaufenster im Internet ist einfach größer.“ Aktuell scheint es aber in Nordkirchen so zu sein, dass der örtliche Einzelhandel auf gesunden Beinen steht. Mehr noch.
„Wir haben aktuell die Situation, die Nachfrage nach Geschäftslokalen nicht befriedigen zu können“, sagt Bürgermeister Dietmar Bergmann.

Schon lange geschlossen ist die Traditionsgaststätte Mersch in Capelle. Eine neue Nutzung ist nach Einschätzung der Gemeindeverwaltung aktuell nicht in Sicht.
Wirtschaftsförderer Manuel Lachmann bestätigt das. „Wir sehen richtig Potenzial“. Gleichzeitig räumt er ein, dass es einige wenige Baustellen in der Gemeinde gibt. Ohne Zweifel gehört dazu das frühere Traditions-Kaufhaus Borgard in bester Lage an der Schloßstraße. Zuletzt war die Breitbandversorgung Münsterland (BBV) in dem Geschäft. Nachdem dem Unternehmen ein Investor abgesprungen war, konnte die Firma den Glasfaserausbau in der Gemeinde nicht mehr stemmen. Logische Folge: BBV schloss das Ladenlokal.
Verwaiste Auslagen
Um zumindest optisch keinen Leerstand zu haben, konnten Nordkirchener Unternehmen im Schaufenster für sich und ihre Produkte werben. Bis ihnen BBV einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Jetzt sind die Auslagen wieder verwaist. „Das ist natürlich nicht zufriedenstellend“, sagt Bergmann. Und Lachmann ergänzt, dass das „keine schöne Ansicht“ sei. Eine schnelle Änderung ist kaum zu erwarten. Nach Aussage der Gemeindeverwaltung läuft der Mietvertrag der BBV noch bis ins Jahr 2019. Gleichwohl ist die Verwaltung mit dem Eigentümer im Gespräch, um gemeinsam eine Lösung zu finden. Das Interesse eines Mieters sei hinterlegt.
„Eine Gemeinde – ein Gutschein“
- „Eine Gemeinde – ein Gut-schein“, heißt es seit knapp einem Jahr in Nordkirchen. Die Motivation für die Initiative brachte Norbert Raesfeld vom gleichnamigen Schuhgeschäft bei der Vorstellung im Herbst 2017 auf den Punkt: „Wir wollen, dass das Geld im Ort bleibt.“ Mittlerweile machen 30 Betriebe aus den Bereichen Einzelhandel, Dienstleistung, Hotellerie/Gastronomie und Sonstige mit.
- Der Gutschein ist erhältlich in der Tourist-Information an der Schloßstraße, und zwar für einen Wert von mindestens 5 und höchstens 100 Euro. Der Gutschein ist gültig für drei Jahre ab dem Ende des Jahres, in dem der Gutschein ausgestellt wurde. Jeder Gutschein kann jeweils nur in einer teilnehmenden Akzeptanzstelle eingelöst werden.
- Tourismusmanagerin Maike Teetz rät deshalb, sich gerade bei größeren Summen zu überlegen, sich mehrere Gutscheine ausstellen zu lassen. „Das eröffnet den beschenken Personen die Möglichkeit, bei mehreren Betrieben in der Gemeinde Gutscheine einzusetzen.
- Einen Überblick über die beteiligten Betriebe bietet ein Flyer. Zudem gibt es eine Liste auf der Internetseite der Gemeinde Nordkirchen.
Auf gute Geschäfte in den nächsten Jahren setzen auch andere Geschäftsleute an der Schloßstraße. Bei mehreren Unternehmen ist nach Aussage der Gemeindeverwaltung gerade ein Generationswechsel vollzogen worden. Für das Interesse und die Zuversicht machen Bergmann und Lachmann in erster Linie eine Millioneninvestition verantwortlich. „Wir haben 3,1 Millionen Euro in den Ortskern investiert. Wir haben auch Haus Westermann gekauft, um die Entwicklung selbst steuern zu können.“
Studenten fördern die Kaufkraft
Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass die mehr als 1000 Studierenden der Fachhochschule für Finanzen eine Menge Kaufkraft in den Ort tragen. „Einige Geschäfte haben sich ganz bewusst auf diese Nachfrage eingestellt“, sagt Bergmann. Ein Unternehmen wie Rossmann habe sich nur deshalb in der Gemeinde angesiedelt, weil es in den vielen Studenten eine wichtige Käuferschicht sieht. Darauf setzt auch das griechische Restaurant, das in den vergangenen Jahren verschiedene Pächter hatte. „Jetzt erfolgt eine grundlegende Sanierung“, so Lachmann.

Mit Aldi gibt es im Mühlenpark auch einen Discounter. Auch hier hat der Eigentümer des Mühlenparks viel Geld in die Hand genommen, um die neuen Anforderungen des Mieters zu erfüllen.
Optimistisch ist der Wirtschaftsförderer auch, dass das Weingeschäft an der Schloßstraße wieder eröffnet. Im November 2015 hatte Heinz Ferkinghoff den „Burgundermann“ eröffnet. In den vergangenen Monaten wies ein Schild an der Eingangstür auf Bauarbeiten hin. Allerdings war der Eigentümer für uns trotz wiederholter Versuche nicht zu sprechen. Dennoch waren am Donnerstag Bauarbeiten in dem Geschäftslokal nicht zu überhören.
Ein Problem ist fehlende Laufkundschaft
Wem würde die IHK heute noch guten Gewissens empfehlen, ein neues Geschäft zu eröffnen? „Das kommt natürlich auf den Gründer, das Konzept und den Standort an. Braucht das Konzept Laufkundschaft, dann ist es in kleinen Orten und B-Lagen oft sehr schwierig“, sagt Jens von Lengerke von der IHK. „Je kleiner der Ort, desto mehr kommt es auf Lage, Sortimentsauswahl und Konzept an. Handelt es sich um ein austauschbares Sortiment, das ich überall und im Internet noch billiger bekommen kann – dann können wir nur in den allermeisten Fällen nur davon abraten.
Aber jeder Gründer sollte sich vor dem Schritt in die Selbstständigkeit fragen: Habe ich etwas Besonderes anzubieten? Besteht eine ausreichende Nachfrage? Doch wenn das Risiko kalkulierbar, der Gründer mit Herzblut und Fachwissen dabei ist – warum denn nicht? Vielleicht kann ein kleines stationäres Geschäft mit einem besonderen Onlineangebot gekoppelt werden. Der Wettbewerb ist härter geworden – die Chancen sind aber auch größer geworden. Wenn ein Gründer seine Nische richtig besetzt, dann kann es sich für ihn auch lohnen.“

Neben dem Angebot und der Lage spielt natürlich auch die Größe des Geschäftslokals eine wichtige Rolle. Das Einzelhandelskonzept von 2009 beweist, dass es „eher kleine Ladenlokale sind, die nicht mehr genutzt werden.“ Das gilt auch für den Imbiss an der Dorfstraße, der schon seit geraumer Zeit geschlossen hat. Allerdings scheint sich hier jetzt eine neue Perspektive zu eröffnen. „Es hat einen Eigentümerwechsel gegeben“, sagt die Verwaltung. Was der neue Besitzer hier plant, sei noch nicht final entschieden.

Die Fachhochschule für Finanzen mit mehr als 1000 Studenten war für den Drogeriemarkt Rossmann ein wichtiges Kriterium für die Ansiedlung im Mühlenpark. Dafür wurde extra ein neues Gebäude errichtet.
Weniger optimistisch ist die Gemeinde beim Ortsbild prägenden Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft. Schon vor mehr als 15 Jahren sind hier das letzte Bier gezapft und die letzte Pizza in den Ofen geschoben worden. „Wir hoffen, dass sich hier perspektivisch Entwicklungen ergeben. Das wäre für das Ortsbild von Capelle wichtig“, sagen die Verantwortlichen der Gemeinde. Großer Optimismus schwingt in ihren Aussagen nicht mit.
Kundenorientierung, Service, Freundlichkeit
Was können aus Sicht aber die Geschäftsinhaber tun, um Kunden zu binden und nicht ans Internet zu verlieren? Nach Einschätzung der IHK seine natürlich die „Klassiker wie Kundenorientierung, Service, Freundlichkeit, traditionelles Marketing und Marktflexibilität wichtig.“ Aber jeder Inhaber müsse auch permanent überprüfen, wo seine Kunden unterwegs sind. Nicht jeder benötige einen Internetshop – „aber er sollte zumindest im Internet auffindbar sein.“
Die IHK hat in einigen Kommunen festgestellt, dass rund 20 Prozent der Geschäfte gar nicht im Internet vorhanden sind. „Also selbst, wenn der Kunde sie gezielt sucht, hat er keine Chance sie zu finden. Das darf nicht sein.“ Gleichzeitig müsse sich der Unternehmer fragen, was ihn vom Internet deutlich unterscheidet.
Journalist aus Leidenschaft, Familienmensch aus Überzeugung, Fan der Region. Als Schüler 1976 den ersten Text für die Ruhr Nachrichten geschrieben. Später als Redakteur Pendler zwischen Münsterland und Ruhrgebiet. Ohne das Ziel der Arbeit zu verändern: Die Menschen durch den Tag begleiten - aktuell und hintergründig, informativ und überraschend. Online und in der Zeitung.
