Der Planer ein Franzose, sein Auftraggeber wuchs in Belgien auf, und heute ist das Publikum in Nordkirchen international. Der Schlosspark passe ideal in ein besonderes Jahr, so Birgit Beisch.
Johann Conrad Schlaun, westfälischer Barockbaumeister. Dieser Name falle immer als erstes, wenn es um Schloss Nordkirchen geht, sagt Dr. Birgit Beisch. Das stelle sie während ihrer Schlossführungen regelmäßig fest. Schlaun – wie die Schlaun-Gesamtschule oder das Schlaun-Café: Das ist ein Name, der mit Nordkirchen fest verknüpft ist. Anders als Achille Duchêne.
Achille wer? Beisch steht auf der Freitreppe des Schlosses, blickt auf die Venusinsel und lächelt: „Das hier“, sie zeigt auf das klar gegliederte Ensemble aus Buchsbaumhecken, Blumen, Statuen, Spazierwegen und Wasserflächen, „würde es ohne ihn nicht geben“. Auch Ost-und Westgarten hatte der „Napoleon der Gärten“, wie Duchêne (1866-1947) genannt wurde, neu geordnet und klar gestaltet. „Vorher“, sagt Beisch, „sah das hier ganz anders aus“.
Ein Freund klarer Linien
Die Nordkirchenerin steht immer noch auf der Freitreppe. „Da vorne“, sie weist wieder mit ausgestrecktem Arm vor sich, „waren Hügel, Teiche, Buschgruppen und hohe Bäume.“ Wo heute der Blick entlang gerader Linien wandert, bevor er sich am Horizont verliert, stellten sich ihm vor 1906 jede Menge natürlicher Hindernisse in den Weg. So, wie es in wildromantischen, englischen Landschaftsparks üblich war – aber nicht in den neobarocken Gärten, die Duchêne schuf: in ganz Europa, den USA, Argentinien und Marokko. „Allerdings nur einmal in Deutschland“, sagt Beisch: „nämlich hier.“

An die 300 Skulpturen beifnden sich auf dem Schlossgelände, davon allein 80 auf der Venus-Insel. © Foto: Sylvia vom Hofe
Den Auftrag dazu hatte er von Engelbert-Maria von Arenberg (1872-1949) bekommen. Der in Belgien aufgewachsene Adelige hatte 1903, sechs Jahre nach dem Tod des letzte Esterhazy auf Nordkirchen, die gesamte Schlossanlage gekauft – – für sechs Millionen Goldmark. Der Kaufpreis schreckte ihn nicht, ebenso wenig die Millionen, die er noch in Sanierung und Erweiterung des Schlosses und in die Umgestaltung des Parks investieren würde. Er galt als der reichste Grundeigentümer Westfalens.
Nur die Besten bekamen Aufträge
Arenberg beauftragt nur die Besten, um seine Pläne für das Schloss umzusetzen. Woher die Handwerker, Künstler und Planer stammen, ist zweitrangig. Europäer hätten gemeinsam gearbeitet an den dem europäischen Kulturerbe Schloss Nordkirchen, sagt Beisch und steigt die Treppe hinab. Das Westfälische Versailles zu besuchen, sei daher ein passender Beitrag zum laufenden Europäischen Kulturerbejahr unter dem Motto „Entdecken, was uns verbindet“. Beisch bietet dazu am Sonntag, 9. September, 13.30 Uhr, eine Sonderführung an, die zeigen will, „was die Baugeschichte des Schlosses so europäisch macht“.

An die 300 Skulpturen befinden sich auf dem Schlossgelände, davon allein 80 auf der Venus-Insel. © Foto: Sylvia vom Hofe
Die promovierte Agrarwissenschaftlerin, die aus Hamburg stammt, in Australien gelebt hat und in Nordkirchen ihre Heimat gefunden hat, steuert am Rande der Venusinsel eine ganz bestimmte Statue an: einen überdimensional großen Hund. Wenn sie jemand frage, welche der an die 150 Statuen im 72 Hektar großen Schlosspark ihre liebste sei, „kann ich keine Antwort geben, aber diese Statue“, sie tätschelt die Flanke des steinernen Tiers, „ist für mich eine der interessantesten“. Noch so eine europäische Geschichte: Der Künstler Jens Peter Dahl-Jensen aus Kopenhagen sei Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt gewesen für seine Porzellanfiguren, darunter auch die 29 Zentimeter kleine Figur eines Hundes.
Keine Zeit, die Kunstwerke zu genießen
Engelbert-Maria von Arenberg muss dieses Hündchen auf einer Ausstellung gesehen haben. Es hat ihm offensichtlich so gut gefallen, dass er eine Kopie in Auftrag gegeben hat. „Nur etwas größer“, sagt Beisch und lacht.
Als Achille Duchênes Gartenkunstwerk fertig ist und alle steinernen Götter, Helden und Hunde an ihrem Platz stehen, bleibt Familie von Arenberg keine Zeit mehr, alles zu genießen. 1914 bricht der Erste Weltkrieg aus. Die Europäer, die gerade noch miteinander Schönes geschaffen haben, beschießen sich.

An die 300 Skulpturen befinden sich auf dem Schlossgelände, davon allein 80 auf der Venus-Insel. © Foto: Sylvia vom Hofe
1918 beginnt der erneute Verfall der gerade fertiggestellten Anlage. Dass Birgit Beisch ihre internationalen Gäste heute wieder durch einen Park führen kann, der ganz so aussieht, wie ihn einst Achille Duchêne geplant hatte, ist einer Rekonstruktion der Venusinsel in den Jahren 1989 bis 1991 zu verdanken – wieder mit vereinten europäischen Kräften. Denn der Kulturfonds der Europäischen Gemeinschaft übernahm einen Teil der erheblichen Kosten .
Und Conrad Schlaun? Er ist der Vollender des Schlosses, das Gottfried Laurenz Pictorius um 1700 geplant hatte. Sein Name wird immer mit den Fassaden und Innenräumen verbunden sein. Auch den Park plante er, wie Birgit Beisch weiß: Aber was viele heute als typisch barocke Gartengestaltung empfänden, stamme von einem anderen: Achille Duchêne.
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Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
