Vorwürfe nach RCS-Aus in Nordkirchen „Verantwortungslos“, „unverschämt“ und „hanebüchen“

Gegenseitige Vorwürfe nach RCS-Aus: „Leichtsinnig“ und „unverschämt“
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Der Rückzug der Ansiedlungspläne von RCS in Nordkirchen hat am 31. Oktober Fakten geschaffen. Das Recyclingunternehmen aus Werne kommt nicht wie geplant mit einem Standort nach Nordkirchen, nachdem sich nach den Grünen auch die CDU von den Plänen distanziert hatte. Wie sinnvoll deshalb die auf einen Antrag der Grünen hin einberufene Sondersitzung am Dienstag (19. November) war, darüber gab es in den politischen Fraktionen unterschiedliche Auffassungen.

Gereon Stierl (SPD) erklärte dazu: „Wir sind uns sicher, dass die Verwaltung sofort die erforderlichen Schritte eingeleitet hat. Dafür hätte es dieser Sondersitzung und dieser Anträge nicht bedurft.“ Dabei ging es ihm um die von den Grünen geforderte Prüfung der Stornierung noch laufender oder beauftragter Untersuchungen und Gutachten zur RCS-Ansiedlung. Weitreichender schien den anderen Parteien der unter Punkt 1 des Antrags vorgesehene Beschluss, „alle bisherigen Beschlüsse zur 33. Änderung des Flächennutzungsplans der Gemeinde Nordkirchen und zur Aufstellung des Bebauungsplanes ´Sondergebiet Ferdinand-Kortmann-Straße´ mit sofortiger Wirkung dauerhaft aufzuheben“. Schließlich ist die Fläche im Regionalplanentwurf als Potenzialfläche für gewerbliche Entwicklung vorgesehen, das hatte der Rat auch mit großer Mehrheit beschlossen.

Bürgermeister Dietmar Bergmann zeigte sich unzufrieden mit dem Verhalten einiger Ratsmitglieder.
Bürgermeister Dietmar Bergmann zeigte sich unzufrieden mit dem Verhalten einiger Ratsmitglieder. © Beate Dorn

SPD wirft CDU schlechten Stil vor

Die Grünen fürchteten, trotz des RCS-Rückzugs könne sich durch die mögliche Ausweisung als Sondergebiet (allerdings ist eine Bebauungsplanänderung wegen des frühen Verfahrensstands noch gar nicht beschlossen) ein anderes Entsorgungsunternehmen in dem Gebiet ansiedeln. Das wies Bürgermeister Dietmar Bergmann zurück: „Der Antrag hat sich aus Sicht der Verwaltung erledigt, weil RCS seine Absicht zurückgezogen hat.“ Gereon Stierl (SPD) machte deutlich: „Es wäre gut, wenn sich die Grünen juristisch beraten ließen. Ein neues Unternehmen kann zu diesem Zeitpunkt nicht kommen.“ Ulrich Stüeken (Grüne) meinte angesichts der Diskussionen zu dem Thema dennoch: „Es wäre ein wichtiges Signal an die Bürgerschaft, das jetzt abzuschließen.“

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Stierl nutzte die Gelegenheit der zusätzlichen Ratssitzung noch einmal zu einer deutlichen Attacke vor allem auf die CDU, die aus seiner Sicht mit ihrem Infobrief auf der Parteihomepage am 30. Oktober wesentlich zum RCS-Rückzug am folgenden Tag beigetragen hatte. „So mit einem Investor in Gewerbeflächen umzugehen ist nicht nur schlechter Stil, die CDU hat damit der Gemeinde auch einen erheblichen Schaden zugefügt, der auf lange Zeit wirken wird. Welcher Investor kann sich denn zukünftig darauf verlassen, in Nordkirchen von der größten Fraktion im Rat fair behandelt zu werden“, warf er den Christdemokraten vor. Die Ablehnung der CDU sei weder in den politischen Sitzungen noch in den Informationsveranstaltungen mit RCS deutlich geworden. Zudem habe die CDU auch im Vorfeld nicht das direkte Gespräch mit der RCS-Geschäftsführung gesucht.

Teil gehört der Gemeinde

Weiter warf Gereon Stierl dem politischen Gegner vor: „Es ist nicht das erste Mal, dass die CDU unkalkulierbar entscheidet. Das Hotelprojekt scheiterte auch daran, dass die CDU aus teilweise nicht nachvollziehbaren Gründen nicht mehr mit den Projektentwicklern zusammenarbeiten wollte.“ Das wollte Markus Pieper (CDU) allerdings nicht so stehen lassen. „Jetzt so zu tun, als seien wir ein unzuverlässiger Ratspartner, ist unglaublich. Diese Geschichte mit dem Hotelprojekt zu vermengen, ist einfach eine Unverschämtheit.“ Bei dem Projekt habe sich die CDU bis zuletzt dafür eingesetzt, das Projekt weiterzuführen und lediglich das neue Oberstufengebäude für die Gesamtschule mit zeitlicher Priorität von dem Gesamtkomplex trennen wollen. Außerdem wolle die CDU die Abgabe der Entscheidungsgewalt für die Gemeinde auf jeden Fall verhindern.

In ihrem Infobrief hatte die CDU als Hauptgrund für ihre Entscheidung gegen die Weiterführung des RCS-Projekts dargestellt, dass die Gemeinde auf die Grundstücksgeschäfte keinen entscheidenden Einfluss mehr gehabt hätte. Das kritisierte Gereon Stierl in seiner Rede als „falsche Tatsachenbehauptungen.“ In der Tat machte Bauamtsleiter Manuel Lachmann deutlich, dass der Gemeinde eine Fläche von rund 3,6 Hektar in diesem Bereich gehört. Davon hätte RCS eine Fläche von circa 1,7 Hektar genutzt. Entsprechend habe die Gemeinde die Situation auch in nicht-öffentlichen politischen Sitzungen bereits dargestellt.

Markus Pieper (CDU) wehrte sich gegen die Vorwürfe der SPD, die Entscheidungen seiner Fraktion seien unkalkulierbar.
Markus Pieper (CDU) wehrte sich gegen die Vorwürfe der SPD, die Entscheidungen seiner Fraktion seien unkalkulierbar. © CDU Nordkirchen

UWG ebenfalls enttäuscht

Angesichts der Forderung nach der Ansiedlung von mehreren kleinen Gewerbeeinheiten im Vergleich zu einem größeren Betrieb wie RCS machte Gereon Stierl deutlich, dass diese aus seiner Sicht nicht unbedingt Schlange stehen. „Auch CDU und Grüne wissen, dass die Gemeinde gegenüber fast allen umliegenden, vergleichbaren Gemeinden ein zu geringes Gewerbesteueraufkommen hat. Jetzt leichtfertig, ohne Fakten für eine fundierte Entscheidung zu kennen, den Lückenschluss durch RCS auszuschlagen, ist leichtsinnig und verantwortungslos“, warf er den anderen Fraktionen vor.

Auch Michael Plenge (UWG) drückte sein Bedauern über das frühzeitige Ende des Verfahrens aus. „Wir hätten uns gewünscht, dass die Prüfaufträge und Gutachten vorliegen und wir damit entscheiden können, ohne dass wir vorab eine Tendenz in dieser Angelegenheit hätten. Deswegen ist es schade, dass wir diesen Weg nicht weitergehen.“

Aus Sicht der Grünen liegen durchaus bereits Expertenmeinungen vor, etwa die Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde, die die Wallhecke in dem dortigen Landschaftsschutzgebiet als wichtiges und schützenswertes Biotop sieht. Auch die Aussage, das Interesse kleinerer Unternehmen sei eher gering, stimme so nicht, meinte die Fraktionsvorsitzende Uta Spräner. Weiteres dazu könne sie aber im öffentlichen Teil nicht sagen.

Bürgermeister übt Kritik

Auch Bürgermeister Dietmar Bergmann äußerte sich am Ende des RCS-Verfahrens noch einmal aus Sicht der Verwaltung. „Wir hätten uns gewünscht, die Vertreter des Rates hätten sich an die Fakten gehalten“, kritisierte er die aus seiner Sicht zu oft von den Tatsachen abweichenden öffentlichen Aussagen. Bei der Bauausschuss-Sitzung im Mai, bei dem RCS erstmals die Pläne öffentlich präsentiert hatte, habe es schließlich „einen eindeutigen Auftrag aus der Politik für eine Einleitung des Verfahrens“ gegeben. Deshalb habe die Verwaltung diesen Auftrag umgesetzt. „Die Verantwortung dann an die Verwaltung weiterzuschieben, finden wir nicht okay“, betonte der Bürgermeister. Auch für die Mitarbeiter, die sehr engagiert gearbeitet hätten, sei die öffentliche Diskussion eine Belastung gewesen. Der unzufrieden wirkende Bürgermeister lieferte sich zudem noch ein Wortgefecht mit Martin Stein (Grüne). Dieser hatte auf den Einwand der SPD, der Gemeinde würden siebenstellige Gewerbesteuereinnahmen entgehen, eine entsprechend deutlich niedrigere Zahl für das Unternehmen Venneker genannt und die erwartbaren Einnahmen bezweifelt. „Das ist hanebüchen und ganz gefährlich, was Sie hier in Bezug auf ein lokales Unternehmen machen. Es ist völliger Blödsinn, das mit Gewerbesteuereinnahmen in Verbindung zu bringen“, so Dietmar Bergmann.

Über den auf Vorschlag der CDU leicht geänderten Antrag der Grünen wurde schließlich auch noch abgestimmt. Dieser beinhaltete neben der Aufgabe sämtlicher Aktivitäten zur RCS-Ansiedlung noch die Aufhebung der Pläne für den Bebauungsplan explizit als Sondergebiet. Als potenzielles Gewerbegebiet ist die Fläche weiterhin vorgesehen. Somit können auch die jetzt bereits erstellten Gutachten in Zukunft grundsätzlich weiterhelfen, wenngleich es vermutlich noch konkreterer Untersuchungen bedarf. Dieser Antrag wurde gegen die Stimmen der SPD angenommen. Aus Sicht der Gemeinde beschreibt der Antrag allerdings nur das, was nach dem RCS-Rückzug ohnehin umgesetzt wird.