Schloss Nordkirchen ohne Schwäne Spaziergänger in Sorge: „Warum sind die Vögel verschwunden?“

Schloss Nordkirchen ohne Schwäne: „Warum sind die Vögel verschwunden?“
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Ein Schwan ist nicht so leicht zu übersehen. Von der Schnabelspitze bis zur Schwanzspitze kann er bis zu 1,60 Meter messen. Breitet er die Flügel aus, beträgt die Spannweite stolze 2,50 Meter. Zudem leuchtet sein Federkleid strahlend weiß und hebt sich weithin sichtbar ab - oder eben auch nicht. Seit einem Jahr, schreibt ein besorgter Leser an die Redaktion, habe er am Schloss Nordkirchen keine Schwäne mehr gesehen. „Wo sind sie geblieben“, will er wissen? Der Auftakt einer Spurensuche.

Erste Station: das Barockschloss, einst Residenz der Fürstbischöfe von Münster, inzwischen Hochschule für Finanzen NRW. Wer es einmal umschreitet, stellt fest: Es ist tatsächlich schwanenverwaist. Auf dem Wasser der Gräfte schwimmen nur Enten. Weit und breit nichts zu sehen von dem größten aller heimischen Wasservögel.

Und auch nichts zu hören. Denn sollte ein Höckerschwan - das ist die am häufigsten vorkommende Art, benannt nach dem schwarzen Stirnhöcker - unentdeckt durch den grauen Himmel fliegen, würde man ihn pfeifen hören. Vielleicht sogar quietschen. Je nachdem, wie der Wind durch seine Flügel streift. An diesem Novembertag herrscht aber Stille, selbst auf den Baugerüsten, die zurzeit das Schloss umgeben. Nicht alle sind wegen der tierischen Vakanz besorgt.

Hochschule analysiert nüchtern

„Die Hochschule der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen vermisst keine Schwäne auf den Wasserflächen des Schlosses Nordkirche“, teilt Verwaltungsleiter Stefan Göttker auf Anfrage mit. Insoweit habe es „bisher auch keine Nachfragen“ gegeben, wo die stolzen Tiere mit den anmutig langen Hälsen geblieben seien. Göttker betrachtet ihr Verschwinden sachlich-nüchtern, wie man es von dem Hausherrn einer Hochschule für Finanzbeamte erwarten kann: „Aufgrund seiner Lage wird das Schlossgelände naturgemäß regelmäßig von verschiedenen Tieren aufgesucht und wieder verlassen“, schreibt er. Echtes Bedauern über das Ausbleiben der mythischen Vögel, in deren Gestalt sich bisweilen der antike Göttervater Zeus verwandelt haben soll, hört sich anders an. Dabei dürfte gerade Steuerfahndern bei ihrer Arbeit zwei Attribute des Schwans sehr willkommen sein: Licht und Reinheit.

Einst als Braten beliebt

Andere Qualitäten des rund 15 Kilogramm schweren Tieres sind inzwischen nicht mehr gefragt. Der deutsche und britische Adel soll einst angeblich gerne gebratenen Schwan gegessen habe: dunkles Fleisch, das heute aber in der Regel als tranig bis ungenießbar beschrieben wird. Im Mittelalter galt der Braten, der im kompletten Federkleid serviert wurde, dennoch als Delikatesse. In Hamburg war schnell Schluss damit. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert gelten dort Schwäne als besondere Botschafter. So lange die Vögel auf der Alster ihre Runden ziehen, heißt es, bleibe Hamburg eine freie und wirtschaftlich erfolgreiche Hansestadt. Seit 1664 ist es dort verboten, Schwäne zu beleidigen, zu verletzen oder gar zu töten.

Wie es Münsters Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg mit dem Schwanenbraten hielt, ist nicht überliefert, wohl aber, dass er sich einige Jahre nach dem Hamburger Schwanen-Erlass für eine besondere Immobilie zu interessieren begann, an der auch Schwäne heimisch waren: die von ihm am 24. Oktober 1694 gekaufte Wasserburg der Herren von Morrien in Nordkirchen - und damit die Vorläuferin des heutigen Barockschlosses.

Nicht auf der Roten Liste

Die ab 1703 errichtete Anlage gehört laut Münsterland e. V., dem Verein zur Förderung des Münsterlandes, zu den bekanntesten und beliebtesten Ausflugszielen im Münsterland. Die UNESCO preist sie als schutzwürdiges „Gesamtkunstwerk von internationalem Rang“. Ob zu dem geschützten Gesamtensemble neben dem 170 Hektar großen Park und dem als Hochschule und Standesamt geschätzten Schloss auch die dekorativen Schwäne gehören? Sie werden zumindest nicht genannt. Und auch beim Artenschutz finden die großen Wasservögel keine besondere Beachtung.

Weder bundes-, noch landesweit gelten sie als gefährdet. Obwohl der Höckerschwan also längst nicht mehr auf den Speisekarten der europäischen Küche steht, darf er nach dem Bundesjagdgesetz in Deutschland von November bis Februar bejagt werden. Nach Angaben des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) liegt die Zahl der Brutpaare zwischen 10.500 und 14.500 – Tendenz steigend.

Dabei lauern allerorts Gefahren: Angelhaken und Angelschnüre sind die häufigste Ursache von lebensbedrohlichen Verletzungen. Zivilisationsmüll, freilaufende Hunde, Paddelschläge und über Flüsse gespannte Seile stellen aber ebenso Gefahren dar - allerdings nicht unbedingt rund um das Schloss Nordkirchen.

Klaus Nowack zuversichtlich

Die Gemeindeverwaltung Nordkirchen ist zuversichtlich, dass die Schwäne sich wieder einfinden werden. Zwar gilt der Schwan in Nordkirchen anders als in Hamburg nicht als Schicksalsvogel, macht sich aber auf den Fotos gut, mit der die Schlossgemeinde für ihr Versailles, den „Hauch von Frankreich mitten im Münsterland“ wirbt.

Dass die Nordkirchener Schwäne nur etwas früher gen Süden geflogen sind, ist eine Theorie, die nicht zu halten ist, wie Ornithologe Klaus Nowack sagt. Die heimischen Schwäne seien Standvögel und keine Zugvögel. Sie blieben nicht nur ihrem Standort treu. „Höckerschwäne gelten als monogam.“ Haben Herr und Frau Schwan erst einmal zueinander gefunden, bleiben sie das ganze Leben lang zusammen, wie der Vogelkundler aus Werne sagt. Stirbt einer der beiden, trauert der zurückgebliebene Partner. Ob er auch an gebrochenem Herzen sterben kann? So weit will Nowack nicht gehen. Denn er weiß, dass das vermeintlich sanfte Seelentier auch anders kann.

Im Frühjahr, wenn ein Schwanenpaar brüten will, verteidigt es den Brutplatz fauchend und beißend - vielleicht auch schon im nächsten Frühjahr.

Denn früher oder später, da ist Klaus Nowack zuversichtlich, würden sich die fotogenen Tiere wieder einfinden am Schloss. Große Gräfte, viel Grün: „Dieser Lebensraum ist für sie am Schloss einfach ideal.“ Wasser- und Sumpfpflanzen finden sich das ganze Jahr über und als Leckerbissen und in der Nähe manchmal auch jungen Raps.

Ein Schwan flattert am Morgen auf der Mosel mit den Flügeln. In Nordkirchen lässt sich das zurzeit nicht beobachten.
Ein Schwan flattert am Morgen auf der Mosel mit den Flügeln. In Nordkirchen lässt sich so etwas zurzeit nicht beobachten. © Harald Tittel/dpa