Mehrere tätliche Angriffe auf Politiker im Wahlkampf in ganz Deutschland haben zuletzt großes Aufsehen erregt. Auch die Parteien in Nordkirchen sind regelmäßig im Wahlkampf unterwegs, aktuell wurden Plakate für die Europawahl am 9. Juni aufgehängt. Was bedeuten die Entwicklungen (16 Angriffe oder Anfeindungen auf Politiker oder politische Repräsentanten wurden 2024 in Deutschland bereits verübt) für die Kommunalpolitiker in der Gemeinde?
Markus Pieper (CDU) hat dazu eine klare Meinung. „Ich verabscheue das absolut und mich widert diese Art der politischen Auseinandersetzung an“, stellt der Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat heraus. Die Taten dürften aber keine Abschreckung sein, sondern eher Ermunterung sein, als Demokraten im Wahlkampf Flagge zu zeigen. Deshalb sei auch er wie Mitstreiter der CDU unterwegs, um Wahlplakate aufzuhängen.
„Wir bleiben präsent und lassen uns unsere Demokratiefähigkeit nicht nehmen. Wenn wir uns abschrecken lassen, schießen wir das Eigentor, das diese Leute wollen“, kündigt Markus Pieper an. Die Sachbeschädigungen auf den Wahlplakaten der Grünen vor der letzten Bundestagswahl seien aus seiner Sicht ebenfalls ein Akt der Demokratiefeindlichkeit: „Das gehört dazu, das sind die ersten Vorstufen. Das ist für mich schon böswillig und gemein.“

Erneuter Verzicht auf Plakate
Tanja Werner, Sprecherin des Grünen-Ortsverbands, kann sich noch gut an die Verunstaltungen der Wahlplakate 2021 erinnern. „Das ist bei uns ein großes Problem. In den letzten Jahren hat sich wirklich einiges verändert“, sieht sie die Lage auch in Nordkirchen für die Wahlkämpfer ihrer Partei nicht mehr total entspannt. Mit einem abfälligen Kommentar oder blöden Sprüchen müsse man als Repräsentant der Grünen immer mal wieder rechnen: „Das ist uns allen schon passiert.“
Teilweise fühle man sich in die Ecke gestellt, weil viele in der Diskussion nicht bereit seien, zuzuhören. „Das wird teilweise auch im Internet angestachelt“, beobachtet Tanja Werner. Blickt man rein auf die 2023 gegen Parteivertreter verübten Straftaten, sind die Grünen deutschlandweit mit Abstand am häufigsten betroffen. 1219 Straftaten registrierte die Bundesregierung laut einer Antwort auf eine Anfrage der AfD. 947 davon betreffen sogenannte „Äußerungsdelikte“. Darunter fallen die Androhung von Straftaten oder Beleidigungen.
Gegenseitige Meinungen seien natürlich völlig normal. „Wichtig ist aber, auf welcher Basis man agiert, dass man zuhört, Argumente austauscht“, wünscht sie sich, das bleibe im Alltag aber zu häufig auf der Strecke. Bei Terminen vor Ort mit Vertretern aus den Parlamenten sei das Interesse zudem gering.
Wie zuletzt bereits bei der Landtagswahl werden die Grünen auch als Konsequenz aus den schlechten Erfahrungen 2021 nicht mehrere Plakate kleben, sondern ihre Werbung mit Kreide auf den Boden sprühen. „Wir brauchen Veranstaltungen wie die Demo zuletzt, um Fronten aufzubrechen“, ist die Grünen-Sprecherin überzeugt.
SPD kritisiert rauen Ton
Auch für Carsten Sprung, den Vorsitzenden des SPD-Ortsvereins, war die Demo, die bald eine Neuauflage erleben soll, ein wichtiges Zeichen. „Die Auseinandersetzungen werden immer extremer. Es wird nicht mehr diskutiert, sondern gegenseitig bezichtigt“, beobachtet er einen Verfall der öffentlichen Debattenkultur. Das zeige sich bei den jüngsten Attacken auf extreme Weise. „Das ist dann plötzlich nicht mehr der politische Gegner, sondern der Feind. Die Extremisten rufen teilweise ja dazu auf“, zeigt er sich nicht überrascht.
In Nordkirchen sieht er die Lage differenziert. Ungerechtfertigte Vorwürfe der Kungelei bei emotionalen Projekten in der Kommunalpolitik sieht er als erstes Zeichen eines wachsenden Konfliktpotenzials. „Die Frage ist ja, wo das dann aufhört. Im Moment mache ich mir in Nordkirchen noch keine Sorgen, aber man wird schon vorsichtiger und macht sich seine Gedanken“, gibt Carsten Sprung zu.

Schütz sieht Verrohung
„Das geht wirklich gar nicht. Ich war natürlich erschrocken und schockiert, als ich von den Vorfällen gehört habe“, meint Christian Lübbert (UWG) zu den aktuellen Berichten rund um die Attacken unter anderem auf SPD-Politiker Matthias Ecke in Sachsen, der operiert werden musste. Solche Taten beim Aufhängen von Wahlplakaten seien alles andere als ein gutes Zeichen. In Nordkirchen sei die Lage aber nicht unbedingt angespannt: „Wir haben hier normale Gespräche mit den Leuten an den Wahlständen, Angst hatte ich noch nie.“ Das hängt aus seiner Sicht auch damit zusammen, dass sich in der vergleichsweise kleinen Gemeinde viele untereinander kennen.

Dr. Bernd Schütz, Vorsitzender der FDP in Nordkirchen, stellt klar: „Das ist eine furchtbare Geschichte, wenn ehrenamtliche Parteiangehörige egal welcher politischen Richtung so angegriffen werden. Das muss man scharf kritisieren.“ Eine Verrohung der Gesellschaft sei aber keinesfalls ausschließlich im Umgang mit Politikern zu beobachten, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. „Nordkirchen ist aber eine andere Liga“, meint Bernd Schütz und hat dementsprechend auch kürzlich ohne Hintergedanken Wahlplakate geklebt. Die Schlossgemeinde sei aufgrund der Bevölkerungsstruktur nicht mit sozialen Brennpunkten wie etwa auch in einigen Ruhrgebietsmetropolen zu vergleichen.
