Die Nachfrage nach Baugrundstücken in Nordkirchen ist riesig, gerade im Landesvergleich. Viele junge Familien hoffen auf neues Bauland. In Capelle stoßen aktuelle Pläne aber auch auf Kritik.

Capelle

, 18.10.2018, 15:25 Uhr / Lesedauer: 5 min

Der Gedanke, ein eigenes Haus für die Familie zu bauen, entwickelte sich bei Sebastian Mertens und seiner Frau in den vergangenen ein bis anderthalb Jahren. Beide haben einen 18 Monate alten Sohn. Der 33-Jährige ist Capeller durch und durch. Wenn bauen, dann nur in seiner Heimat. Dem kleinsten Ortsteil der Schlossgemeinde Nordkirchen. „Ich habe noch nie woanders gewohnt, und es kommt für mich auch nicht infrage“, sagt Mertens. Hier hat er seine Freunde, seine vertraute Umgebung und seinen Verein. Damit ist der Bankangestellte, der in Lüdinghausen arbeitet, nicht alleine.

Über 50 Prozent der Grundstücke, die zuletzt in Capelle verkauft wurden, gingen an Capeller, sagt Bürgermeister Dietmar Bergmann auf Anfrage dieser Redaktion. „Die Nachfrage ist nach wie vor groß“, sagt Bergmann. Das gelte nicht nur für Capelle, sondern für die gesamte Gemeinde Nordkirchen. Der Bürgermeister geht die zuletzt vermarkteten Baugebiete durch: Kolpingstraße-Nord in Capelle - 2008 erschlossen - sei komplett vermarktet, Auf dem Hegekamp in Südkirchen - seit 2014 in der Vermarktung - füllte sich aus Verwaltungssicht rasend schnell. Dazu hat auch der sehr günstige Quadratmeterpreis von 99 Euro für Familien mit Kindern unter 15 Jahren beigetragen. Bliebe zuletzt noch Rosenstraße-West II im Ortsteil Nordkirchen. Im November 2017 begannen hier die ersten Bauherren. Ein Jahr später sind bis auf zwei Grundstücke alle gemeindeeigenen vermarktet, zwei sind reserviert, sagt der Bürgermeister.

Nicht nur in der Schlossgemeinde ist die Nachfrage hoch

Damit folgt die Gemeinde Nordkirchen einem Trend, der sich auch im gesamten Kreis Coesfeld zeigt. Im Vergleich zur ersten Jahreshälfte 2017 sind die Baugenehmigungen im ersten Halbjahr 2018 kreisweit um 72 Prozent gestiegen. Von 164 auf 282. Bei den Einfamilienhäusern sind es sogar 88,5 Prozent. Diese Zahlen hat der statistische Landesbetrieb IT NRW im August dieses Jahres veröffentlicht. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum sank die Zahl der Baugenehmigungen im Kreis Borken um 15,2 Prozent, Im Kreis Steinfurt um 6,9 Prozent und im Kreis Warendorf sogar um 27,3 Prozent. Der Kreis Unna hingegen kann ein Plus von 14,4 Prozent vorweisen. Das NRW-weite Schlusslicht ist die Stadt Oberhausen mit minus 82,8 Prozent, Spitzenreiter ist Solingen mit knapp 140 Prozent plus (von 28 auf 115 Baugenehmigungen) Bei den Einfamilienhäusern liegt das Plus landesweit bei 2,3 Prozent.

Auf die große Nachfrage reagiert die Gemeinde auf mehrheitlichen Wunsch der Ratsfraktionen zurzeit mit der Suche nach neuen Flächen für Neubaugebiete. Im Ortsteil Nordkirchen beispielsweise soll bald die Erschließung des Gebiets Große Feld III beginnen. Und in Capelle diskutierten zuletzt der Ausschuss für Bauen und Planung und der Rat über ein mögliches Neubaugebiet mit dem Namen „Wohr“ nördlich der Bahnhofstraße, nahe der Steinstraße.

Sebastian Mertens (33) und seine Frau hoffen auf ein Baugrundstück in Capelle. Sie leben zurzeit in einem Altbau in dem Nordkirchener Ortsteil.

Sebastian Mertens (33) und seine Frau hoffen auf ein Baugrundstück in Capelle. Sie leben zurzeit in einem Altbau in dem Nordkirchener Ortsteil. © Mertens

Für Sebastian Mertens und seine Frau wäre das geplante Baugebiet „Wohr“ ein Glücksfall. „Für ein Grundstück in der Kolpingstraße-Nord sind wir zu spät dran“, sagt Mertens. Wenn neue Baugrundstücke in Capelle ausgewiesen werden würden, würde Familie Mertens die Chance sofort nutzen, macht der 33-Jährige deutlich. Die junge Familie gehört zu den über 100 Interessenten, die die Gemeinde zurzeit auf ihrer Liste stehen hat. Das sei eine Liste, die die Gemeinde bereits seit einigen Jahre führt. „Wir fragen das Interesse nicht regelmäßig ab“, macht Dietmar Bergmann deutlich. Die Verwaltung könne also nicht sagen, ob sich einige Interessenten nicht mittlerweile umentschieden oder neu orientiert hätten, so Bergmann. Gerade in Capelle zeige sich aber eine gewisse Heimatverbundenheit. So, wie bei den Mertens.

Kritik am Standort und am ökologischen Schaden

Dass sich vor allem die Capeller für Baugrundstücke in ihrem Ortsteil interessieren, heißt aber nicht, dass es nicht auch Kritik an den Plänen von Verwaltung und Politik gibt, ein weiteres Neubaugebiet in Capelle auszuweisen. Meinhard Tegeler, 67 Jahre alt, ehemaliges Ratsmitglied der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen und 1982 nach Capelle gezogen, ist einer der Kritiker. „Als Grüner bin ich gegen neue Baugebiete, wenn es nicht sein muss“, macht Tegeler im Gespräch mit dieser Redaktion deutlich. Der pensionierte Förderschullehrer sieht an der Stelle, wo die Gemeinde das Baugebiet „Wohr“ vorantreibt, Grünland in Gefahr, das sich so schnell nicht einfach ersetzen lasse. Dieses Grünland ist aktuell noch eine landwirtschaftlich genutzte Fläche. zurzeit sprießen dort zarte Pflänzchen in Reih und Glied.

Meinhard Tegeler wäre, zumindest bezogen auf die zuletzt im Bauausschuss vorgestellten Pläne, persönlich von dem Neubaugebiet betroffen. Angrenzend habe er eine Dauergrünfläche gepachtet, die er für seine Pferde nutzt, erklärt der Capeller. Diese Fläche sieht er in Gefahr. Aus seiner Sicht ist das aber nur ein Argument, das gegen das geplante Neubaugebiet spricht.

Es geht um die Einwohnerzahl

Mit neuen Baugebieten will die Gemeinde Nordkirchen nicht nur eine Nachfrage befriedigen und kurzfristige Einnahmen generieren. „Unser Ziel ist es, die Einwohnerzahl zu halten, vielleicht sogar leicht zu steigern“, erklärt Dietmar Bergmann. Im Vergleich zu anderen Kommunen im Kreis Coesfeld habe sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die Gemeinde Nordkirchen bei der Einwohnerzahl schwächer zugelegt hätte, so Bergmann. Nur mit einer im gesunden Maß steigenden Bevölkerungszahl lasse sich aber die vorhandene Infrastruktur halten und ausbauen. Dazu gehören zum Beispiel Kindergärten, Schulen, aber auch Nahversorger, so der Bürgermeister.

8xy&usp=sharing

Gerade in Capelle habe die Gemeinde in den vergangenen beiden Jahren intensiv mit der Bezirksregierung in Münster über ein neues Baugebiet in Capelle diskutiert. Denn mit knapp unter 2000 Einwohnern, so die Aussage der Bezirksregierung, habe der Ortsteil das Maximum an möglichen Neubauflächen erreicht. So sieht es der Regionalplan Münsterland vor, der allerdings auch sagt, dass sich „die siedlungsstrukturelle Entwicklung vor allem am Bedarf der ortsansässigen Bevölkerung und Betriebe ausrichten“ solle. Hier ergibt sich für die Gemeinde eine neue Möglichkeit, ihre Pläne für das Neubaugebiet voranzutreiben. Denn zuletzt wurden auch im Baugebiet Kolpingstraße-Nord über 50 Prozent der Grundstücke an Capeller verkauft. Die aktuelle Nachfrage setzt diesen Trend nach Aussagen der Verwaltung fort. Damit ließe sich aus Gemeindesicht die Infrastruktur des kleinsten Nordkirchener Ortsteils, also Kindergarten, Grundschule und weitere Angebote stärken.

Zweifel am Nutzen eines Neubaugebiets für die Infrastruktur

Meinhard Tegeler sagt, er hege Zweifel, dass ein Baugebiet diese Infrastruktur langfristig in Capelle hält. Er selbst ist Anfang der 1980er-Jahre in eine Bestandsimmobilie gezogen. Um die Nachfrage im Ortsteil Capelle zu decken, sei das Angebot an solchen Altbauten groß genug, ist sich das ehemalige Ratsmitglied sicher. „Es gibt genug Altbauten aus den 60er- und 70er-Jahren“, sagt er. Dieser Einschätzung widerspricht der Bürgermeister nicht grundsätzlich. Zum Beispiel in Südkirchen habe die Gemeinde bereits vor drei Jahren damit begonnen, Projekte zur sogenannten Nachverdichtung voranzutreiben. Gemeint ist damit, große Grundstücke jenseits der 1000 Quadratmeter, wie sie vor einigen Jahrzehnten üblich waren zu nutzen, um neue Bauflächen zu schaffen. Daneben hat die Gemeinde Beratungen angeboten, wie sich Altbauten modernisieren lassen. Das allein sei aber nur ein Baustein von mehreren, so Bergmann.

Sebastian Mertens und seine Frau kennen die Vor- und Nachteile eines Altbaus ganz genau. Sie wohnen zurzeit im Haus von Mertens Familie - das Gebäude sei komplett kernsaniert worden, so der 33-Jährige. Ein weiterer Umbau nach den Vorstellungen der jungen Familie sei aber nur begrenzt möglich. Zumindest im Vergleich mit einem Neubau, sagt Mertens. Jetzt wohne die Familie auf einer Etage. Wenn der anderthalbjährige Sohn ein Geschwisterkind bekommen sollte, würde der Platz eng werden, sagt der Capeller. Eine Nachverdichtung im Sinne von Mehrfamilien- oder Mehrgenerationenhäusern hält er nur zu einem gewissen Grad für sinnvoll.

Bis Familie Mertens sich den Traum vom Haus erfüllen kann, wird noch etwas Zeit vergehen. In der vergangenen Ratssitzung hat die Gemeindeverwaltung den Auftrag bekommen, einen konkreteren Plan für das Neubaugebiet zu erarbeiten. Der soll bald vorgestellt und besprochen werden, kündigt Bürgermeister Dietmar Bergmann an.

Die Fläche für das geplante Neubaugebiet „Wohr“ ist etwa fünf Hektar groß. Den genauen Standort für das Gebiet erarbeitet das Bauamt gerade. Dort wird Platz für 30 bis 35 Grundstücke sein. Neben Einfamilienhäusern sind dort auch Grundstücke für Mehrfamilienhäuser geplant. In den vergangenen Jahren habe Nordkirchen einen starken Fokus auf Einfamilienhäusern gehabt, sagt Dietmar Bergmann. Die Lebensumstände vieler Menschen habe sich geändert und so auch die Nachfrage. Miet- und Eigentumswohnungen seien daher mittlerweile mindestens ebenso wichtig für die Planung der Gemeinde.