Die Sorge um Nordkirchen treibt beide Gruppen an, sowohl die Kritiker als auch die Befürworter des Hotelquartiers. Auf einem Acker zwischen Sportplatz und Gesamtschule und damit in der Nähe des berühmten Schlosses Nordkirchen, des größten und imposantesten Wasserschlosses des Münsterlandes, soll nicht nur ein 120-Zimmer-Hotel entstehen, sondern auch rund 200 Mehrgenerationen-Service-Wohnungen, ein Gesundheits-Zentrum, eine Kita insbesondere für die Kinder der Beschäftigten, ein Hallenbad und eine Erweiterung für die Gesamtschule.
Die einen finden die Lage problematisch, die anderen gerade richtig. Manche - darunter die Mehrheit des Gemeinderates und der Bürgermeister - sehen in der kompakten Baumaßnahme eine Riesenchance für die Entwicklung des Ortes, andere eine nicht minder große Bedrohung. Die wichtigsten Fakten zum aktuellen Stand des umstrittenen Bauvorhabens.
Ist das Hotelquartier inzwischen beschlossene Sache?
Nein, die dafür nötige Änderungen des Flächennutzungsplans und des Bebauungsplans sind noch nicht in trockenen Tüchern. Das Projekt hatte Mitte November aber eine wichtige Hürde genommen auf dem Weg zu seiner Umsetzung.
Damals ging es um das Ergebnis der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit. Rund 40 Bürgerinnen und Bürger hatten zum Teil gleichlautende Bedenken geäußert. Kritische Anmerkungen gab es auch von den Denkmalschützern des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe und von der Landwirtschaftskammer. Die Gemeindeverwaltung hatte zu den Bemerkungen sogenannte Abwägungsvorschläge formuliert: in der Regel Erklärungen, warum sie trotz der Kritik bei ihrer Haltung bleibt. Dem hatte sich der Gemeinderat am 15. November angeschlossen bei fünf Gegenstimmen (die Grünen und ein CDU-Mitglied) und damit den Weg frei gemacht für den nächsten Planungsschritt: der erneuten Offenlegung der Pläne.
Gibt es noch Möglichkeiten, Bedenken zu äußern?
Ja, Institutionen und Behörden sowie Bürgerinnen und Bürger haben erneut die Möglichkeit, Anregungen und Bedenken zu äußern, vermutlich ab Mitte/Ende Januar. Die Pläne werden dann einen Monat ausliegen zur Einsichtnahme. Bürgerinnen und Bürger können in dieser Zeit ihre Einwände dagegen äußern.
Können sich Bürgerinnen und Bürger, die sich bei der vorgezogenen Beteiligung bereits einmal zu Wort gemeldet haben, ein weiteres Mal äußern?
Ja. Dann werden sich Verwaltung und Politik auch ein weiteres Mal mit ihren Einwendungen auseinandersetzen müssen. Ob sie dabei zu einem anderen Ergebnis kommen werden als bei der vorgezogenen Beteiligung, dürfte fraglich sein.
Wie geht es mit dem Nordkirchener Genehmigungsverfahren weiter?
Nach der erneuten öffentlichen Auslegung der Unterlagen muss noch einmal der Rat über die Abwägungsvorschläge befinden und dann abschließend über die Änderungen des übergeordneten Flächennutzungsplans und des daraus zu entwickelnden Bebauungsplans entscheiden: die Voraussetzung, um abschließend Baurecht für das geplante Hotelquartier zu schaffen. Die Flächennutzungsplanänderung wird dafür der Bezirksregierung Münster zur Genehmigung vorgelegt.
Gibt es noch Möglichkeiten, das Hotel-Projekt per Bürgerentscheid zu stoppen?
Wohl kaum. „Wir würden uns das auch anders wünschen“ sagt Achim Wölfel, Landesgeschäftsführer des Vereins „Mehr Demokratie“, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die direkte Demokratie bundesweit auszubauen. D
Die Sache ist kompliziert. Zwar scheitern große Bauvorhaben und Projekte immer wieder am Nein der Bürgerinnen und Bürger: In Bonn wehrten sie sich zum Beispiel erfolgreich gegen den Bau eines Einkaufszentrums nebst Bibliothek, in Duisburg haben sie ein Outlet-Center gekippt und 2021 in Werne mehrheitlich Nein gesagt zum Industriegebiet Nordlippestraße Nord. Allerdings ist so ein Planungsstopp durch ein Plebiszit in NRW grundsätzlich nur in einem frühen Stadium der Bauleitplanung möglich, Und das hat Nordkirchen schon hinter sich gelassen.
Nach Paragraf 26 Abs. 5 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) ist ein Bürgerbegehren über die Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung eines Bauleitplanes unzulässig. Davon ausgenommen wird die „Entscheidung über die Einleitung des Bauleitplanverfahrens“. NRW gehört mit Hessen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg zu den Bundesländern, die das so halten. In Bayern, Sachsen, Thüringen sowie die Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen sind dagegen jederzeit Bürgerentscheide zu Themen der Bauleitplanung möglich, in den restlichen Bundesländern nie.
Der Nordkirchener Rat hatte bereits im August 2020 einstimmig die Aufstellung des Bebauungsplans beschlossen, der damals noch „Bebauungsplan Hotel und Fortbildungsakademie“ hieß und noch nicht „Hotelquartier“ mit Wohnbebauung statt Akademie. Ist ein Bürgerbegehren dagegen also unzulässig? Der Gemeindesprecher antwortet nicht mit „Ja“, sondern so: „Wir sehen es als Verwaltung auch so, dass §26, Abs. 5 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen eindeutige Vorgaben zur Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens macht.“

Warum ist das geplante Bauvorhaben etwas so Besonderes?
Wegen seiner Lage in unmittelbarer Nähe zum Schloss Nordkirchen. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) spricht von einem „landesbedeutsamen Kulturlandschaftsbereich“. Das geplanten Hotelquartier liege in einem Bereich zwischen den Dorf Nordkirchen und der Schlossanlage, der bislang von Bebauung ausgespart worden ist. „In diesem Kontext neu zu bauen, ist eine komplexe Aufgabe“, so der LWL. Eine Aufgabe, an der sich die Verantwortlichen leicht verheben könnten.
„Mit den Neubauten kommt es sowohl in der Umgebung dieses Denkmals als auch im überlieferten Gefüge von Dorf und Schloss Nordkirchen zu einer Verdichtung von Nutzungen, die nicht nur aus gartendenkmalfachlicher, sondern auch aus Sicht der städtebaulichen Denkmalpflege erhebliche Bedenken hervorrufen“, so der LWL. Nordkirchens Bürgermeister Dietmar Bergmann relativiert die Sorge: „Es gibt durch den Wald zwischen Schloss und Hotelquartier und der Schloßstraße keine direkte Sichtverbindung.“ Ein denkmalfachliches Gutachten, wie der LWL es dringend empfiehlt, sei nicht nötig.
Sollte das Projekt nicht schon viel weiter sein?
Stimmt. Ursprünglich sollte der Baubeginn Mitte 2021 sein. Bei den geplanten zwei Jahren Bauzeit hätte Mitte 2023 alles fertig sein können. Als der Rat 2020 den Bebauungsplan aufstellte und beschloss, war aber noch etwas anderes geplant als heute: neben dem Hotel mit 128 Gästezimmern und dem Schulgebäude für die Unterbringung der Oberstufe der Gesamtschule, auch ein Schwimmbad mit sechs Bahnen und einem Lehrschwimmbecken und eine Fortbildungseinrichtung der Finanzverwaltung des Landes NRW mit 260 Unterkunftszimmern und etwa 5.500 Quadratmetern Konferenz- und Seminarfläche. Später wurde aus der Event-Gastronomie im Hotel ein eigener Baukörper: die Morrien-Brauerei östlich der Straße Am Gorbach.

Warum ist aus diesem Plan nichts geworden?
Das Land NRW hatte im Februar 2022 kurzfristig die Reißleine gezogen. Die Absage für den Fortbildungsstandort habe das NRW-Finanzministerium mit der Pandemie begründet, hatte Nordkirchens Bürgermeister Dietmar Bergmann damals gesagt. Die Geschäftsgrundlage für die Akademie sei entfallen, weil man in der Pandemie gesehen habe, dass Fortbildung auch online gut funktioniere.
Wie haben Planer und Gemeinde darauf reagiert?
Verärgert. Schließlich hatte sich damit die geleistete Vorarbeit der Projektentwickler und der Gemeinde zu einem großen Teil erledigt. Mit der Akademie war auch die Brauerei-Idee hinfällig. Um Hotel, Schwimmbad und Schulbau dennoch zu realisieren, machten die Projektentwickler von Premero neue Entwürfe für den südlichen Teil des vorgesehenen Geländes: Wohnraum für alle Generationen.

Wie kam der neue Entwurf an: jetzt mit Wohnungen statt mit Freizeit- und Weiterbildungseinrichtungen?
Die erste Fassung fiel durch. Die geplante Wohnbebauung sei „überdimensioniert“, war aus Politik und Bürgerschaft zu hören. Vorgesehen waren fünf Wohnblöcke mit bis zu vier Geschossen plus Staffelgeschoss: Platz für 264 Wohneinheiten.
Nach dem Protest gab es einen neuen Entwurf: jetzt mit drei Geschossen plus Staffelgeschoss. Die Rede ist inzwischen von rund 200 Wohneinheiten. Immer noch sind „alle Gebäude mehrgeschossig und für Nordkirchener Verhältnisse großmaßstäblich“, wie die Verwaltung selbst schreibt. Sie sieht darin etwas Positives: „Das stellt einen im Verhältnis zu den ansonsten üblichen lockeren Bauweisen im Ort geringen Verlust an landwirtschaftlichen Nutzflächen sicher.“ Dieser Entwurf kam bei der großen Mehrheit des Rates gut an.
Warum ist der Gemeinde das Projekt so wichtig?
Die Gemeinde Nordkirchen erhofft sich eine Bereicherung. Im Abwägungsvorschlag der Verwaltung ist davon die Rede, dass sich Lebensqualität und Wohnwert erhöhen würden. „Die neuen Einrichtungen bieten viele Arbeitsplätze und stärken auch die finanzielle Basis der Gemeinde durch weitere Umsätze, Steuereinnahmen und Erhöhung des Anteils an staatlichen Zuweisungen an die Gemeinde durch eine größere Einwohnerzahl.“
Seit wann gibt es die Hotelpläne?
1974 hatte die Gemeinde Nordkirchen erstmals eine Gestaltung des Bereichs nördlich der Schlossanlage ins Auge gefasst: die „Schlossfreizeit Nordkirchen“ Innerhalb einer Parkanlage sollte ein Freibad, errichtet werden. Daraus wurde nichts.