Poltergeist von Schloss Nordkirchen Auf Spurensuche nach dem bösen Schenkewald in der Davert

Wie der Poltergeist namens Schenkewald vom Schloss in die Davert kam
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Er ist nicht tot zu kriegen, dieser Schenkewald. Dabei hat er vermutlich schon vor mehr als 300 Jahren gelebt. Wann genau, weiß niemand. Wo und wie allerdings schon: erst als Verwalter, dann als Poltergeist auf Schloss Nordkirchen. Selbst erfahrene Exorzisten konnten ihn nicht ins Jenseits befördern, aber immerhin in die Davert.

Alles Unsinn? Die Spurensuche führt zum einen in die Vergangenheit, als Schloss Nordkirchen zum Westfälischen Versailles wurde. Zum anderen in eine Region gleich daneben, die um 1700 eine kaum erschlossene Sumpflandschaft war und heute eines der größten zusammenhängenden, naturnahen Waldgebiete des Münsterlandes ist. Und sie führt zu einem dreisten Fälscher, der sich aber um Schenkewald und andere Spuk- und Nachtgespenster des Münsterlandes verdient gemacht hat.

Poltergeistern wird nachgesagt, sich in Gebäuden einzunisten und deren Bewohnerinnen und Bewohner zu schikanieren und zu ängstigen: etwas, das Schenkewald, der Rentmeister des Schlosses Nordkirchen, schon zu Lebzeiten tut. Nur dass er sich dabei nicht beschränkt auf das Gesinde der Nordkirchener Wasserburg. Die gesamte abgabepflichtige Landbevölkerung zittert vor ihm. Zahlungsaufschub oder Stundung? Duldet er nicht. Verständnis für Ernteausfälle durch widrige Witterung? Fehlanzeige. Mitleid, wenn durch Krankheit und Tod die Arbeit liegen geblieben ist? Nicht von ihm. Wer nicht zahlen kann, den lässt er von Haus und Hof vertreiben.

Im Dienst des Friedensfürsten

Solche herzlose Verwalter mag es zu jeder Zeit gegeben haben. Die Geschichte bietet reichlich Gelegenheit dafür. Denn Nordkirchen gehörte bereits zu den Oberhöfen, die Karl der Große zusammen mit 33 dazu gehörenden Unterhöfen Luidger, dem ersten Bischof von Münster, übergeben hat. Von Anfang an hatten alle, die das Land bearbeiteten, dafür Frondienste und Abgaben zu leisten. Die Vermutung, dass das historische Vorbild für den Poltergeist namens Schenkewald auf der Schwelle vom 17. zum 18. Jahrhundert seine Untergebenen terrorisierte, haben die Forschungen von Dr. Helmut Müller genährt.

Der damalige Archivrat beim Staatsarchiv Münster hat Aschebergs Geschichte bis zur kommunalen Neugliederung geschrieben, die Ende 1978 erschienen ist. Dabei wies er für Nordkirchen gleich zwei Verwalter namens Johann Heinrich Schenckwald nach, vermutlich Vater und Sohn. Der Ältere verstarb 1709, der Jüngere fand noch 1728 Erwähnung. Beide führten ihr Amt damit ausgerechnet im Dienst eines Mannes aus, der nicht nur als begeisterter Bauherr, sondern auch als Friedensfürst in die Geschichte einging: Fürstbischof Friedrich Christian Freiherr von Plettenberg.

Die barocke Schlossanlage in Nordkirchen aus der Luft betrachtet.
Als aus der alten Wasserburg die barocke Schlossanlage wurde, könnte der verhasste Rentmeister Schenkewald gelebt haben. © www.blossey.eu

Es ist genau der 24. Oktober 1694, als die Erben der letzten Herren von Morrien ihren Namen unter den Kaufvertrag setzen. Von Plettenberg, oberster geistlicher und weltlicher Herrscher zwischen Cloppenburg und Altlünen, hat Großes vor mit Nordkirchen. Die Burg soll einem modernem Schloss weichen, wie er es schon in Ahaus hat bauen lassen: ein weithin sichtbares Zeichen für Wohlstand und Macht. Friedrich Christian gilt als ebenso geschäftstüchtig wie geizig. Rentmeister wie die Schenkewalds, die das Geld zusammenhalten, werden ihm angesichts der großen Investitionen nur Recht sein.

Hungersnot, Teuerung und Kälte

Das Hochstift Münster blüht auf zu internationaler Bedeutung - auch wegen des diplomatischen Geschicks des Fürstbischofs, das ihn in den zahlreichen Konflikten seiner Zeit zu einem gefragten Vermittler macht. Die Bevölkerung bekommt davon kaum etwas mit. Sie leidet rund um die Jahrtausendwende unter Missernten, Stürmen, Kälte und einer daraus resultierenden Teuerung.

Die fürstbischöfliche Regierung reagiert 1698 mit neuen Fastenvorschriften, die den Fleischverzehr nur noch an vier Tagen in der Woche erlaubt. Für die einfachen Menschen ein Hohn, Denn sie leiden ohnehin an Hunger. Der damalige Pastor von Ascheberg schreibt 1699 in seine Chronik, dass ein Drittel der Einwohner betteln gehen muss. Die Schenkewalds gehören nicht dazu.

Eine Kompanie für Erdarbeiten

Ob Vater oder Sohn: Als der unbarmherzige Rentmeister stirbt, atmet das Volk auf. Für kurze Zeit zumindest. Denn da beginnen Geschichten die Runde zu machen, wie Schenkewald selbst als Toter noch die Menschen drangsaliert. Heulend rennt er durch die Gänge, wirft mit Möbeln und Werkzeug um sich und verbreitet Angst unter jedem, der dort zu tun hat. Und das sind ab 1703 mehr denn je. Der mit Hochdruck vorangetriebene Neubau des Barockschlosses zieht nicht nur jede Menge Handwerker und Künstler an, sondern auch eine ganze Kompanie münsterischer Soldaten. Sie sind dafür da, die enormen Erdbewegungen auf dem Gelände zu bewerkstelligen.

Der bösartge Poltergeist muss weg. Nur wie? Die Menschen holen sich kirchlichen Beistand. Exorzismus - das Austreiben des Bösen - ist eine religiöse Praxis, um vermeintlich besessene Menschen und Tiere oder verfluchte Orte und Gegenstände von Dämonen und Geistern zu befreien. In diesem Fall von Schenkewald. Als Experten für diese Praktiken gelten Kapuziner-Patres.

Das Kapuzinerkloster in Werne mit Klosterkirche und Pesthäuschen.
Die ersten Kapuzinerbrüder ließen sich im Jahre 1659 in Werne nieder und zogen zunächst in ein Wohnhaus. Der Bau des Klosters direkt an der Stadtmauer begann 1671. Dier Patres standen Kranken bei - und halfen im damaligen Kampf gegen böse Geister. © Helga Felgenträger (A)

Da ist es praktisch, dass sich unlängst in der Nachbarschaft, in Werne, eine Gemeinschaft niederließ und eines der ältesten Klöster der Deutschen Kapuzinerprovinz gegründet hat. Immer, wenn es gilt, dem Teufel und seinen Helfershelfern die Stirn zu bieten, sind sie seitdem gefragt. Dem Spuk auf dem Hof Schulze Pelleringhoff in Alstedde bereiten sie etwa ein Ende, wie es in einer Lippe-Sage heißt. Um mit Schenkewald fertig zu werden, reicht es nicht, Messen zu lesen und Weihwasser zu versprühen. Was dann passiert, erzählt die im ganzen Münsterland bekannte Sage so.

Mit Kapuzinern in die Davert

Eines Nachts fährt eine prächtige Kutsche in Nordkirchen vor, gezogen von vier kohlschwarzen Pferden. Während der Kutscher wartet, stürmen zwei Kapuziner-Patres ins Schloss. Wie sie es schaffen, Schenkewald, den Poltergeist, zu greifen, ist nicht überliefert. Wohl aber, dass sie ihn zwischen sich zur Kutsche schleppen. Kaum dass sie dort Platz genommen haben, galoppieren die Pferde los. Immer geradeaus in Richtung Norden: etwa 15 Kilometer weit.

Dort, in dem 2500 Hektar großen, unzugänglichen Gebiet, das Davert heißt, springen die Patres und der Kutscher tollkühn ab, während die Kutsche mitsamt Schenkewald zwischen Wacholderbüschen verschwindet. Angeblich geistert der Rentmeister dort bis heute herum. „Un dann in stürmske, düstre Nacht, dann hörst nao, wu de Schenkwald lacht“, heißt es im plattdeutschen Gedicht „Mien Askebiärg“ von Bernhard Bergmann. Dass die düstere Sage überhaupt bis heute Bestand hat, ist aber einer anderen zu verdanken.

Seit 2012 leben neben Heckrindern auch Konikpferde nahezu wild in der Davert. Mit den rabenschwarzen Pferden, die Schenkewalds Kutsche gezogen haben, scheinen sie aber bei aller Wildheit nichts zu tun zu haben.
Seit 2012 leben neben Heckrindern auch Konikpferde nahezu wild in der Davert. Mit den rabenschwarzen Pferden, die Schenkewalds Kutsche gezogen haben, scheinen sie aber bei aller Wildheit nichts zu tun zu haben. © Sylvia vom Hofe

Friedrich Arnold Steinmann hat 1825 das Buch „Münsterische Geschichten, Sagen und Legenden nebst einem Anhange von Volksliedern und Sprüchwörtern“ veröffentlicht. Darunter ist auch die Geschichte von Schenkewald zu finden: ein echter Verdienst, den sich der verkrachte Jurist und späterer Schriftsteller schon mit Anfang 20 erworben hat. Dass er in der „Neuen deutschen Biographie“ (NDB), dem maßgeblichen historisch-biografischen Nachschlagewerk für den deutschsprachigen Raum, verewigt ist, verdankt er aber einem anderen Umstand. Und der ist wenig schmeichelhaft.

Heinrich Heine frech gefälscht

Er wird dort enttarnt als Schöpfer von „ebenso frechen wie thörichten Fälschungen“. Steinmann hatte versucht, aus seiner tatsächlichen Jugendfreundschaft mit Heinrich Heine Kapital zu schlagen. „Heinrich Heine. Denkwürdigkeiten und Erlebnisse aus meinem Zusammenleben mit ihm. Mit dem Porträt und zwei Autographen Heine’s“ heißt das Werk von 1857. Es enthält „zahlreiche haltlose Lügen“, wie es in der NDB heißt.

In den Folgejahre gibt er vier Bände mit angeblichen „Dichtungen von Heinrich Heine“ heraus: „eine Anzahl plumper und ungeschickter Verse eigener Mache nach Heines Tode“. Ihnen verdankt Steinmann sein zweifelhaftes Nachleben bis heute - zwischen Buchdeckeln. Aber immerhin nicht zwischen hohen Eichen wie Schenkewald.

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