Kaum ein politisches Thema wird zurzeit so heiß diskutiert wie die Enthüllungen um ein Treffen von Rechtsextremen und AfD-Politikern, die über eine massenhafte Vertreibung von Migranten aus Deutschland debattierten.
Zahlreiche Demonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmern waren die Folge – und eine Diskussion darüber, ob die AfD verboten werden sollte. Auch der Entzug von Grundrechten von Spitzenpolitikern wie Björn Höcke steht auf der Liste der Forderungen.
Wir haben bei den Fraktionen im Rat der Gemeinde Nordkirchen nachgefragt, wie sie sich in der Debatte positionieren.
CDU: Wählbarkeit aberkennen
„Dieses Verbotsverfahren würde sich gegen eine bis dato ‚ordentliche‘ Partei richten. Wir alle sehen doch, wie problematisch es nun ist und sein wird, rechtskräftige – denn das wollen wir ja – Mittel einzusetzen“, teilt CDU-Fraktionschef Markus Pieper mit. Es bedürfe insbesondere einer ordentlichen Beweislage. Ob diese dafür hinreichend ist, müsse das Verfassungsgericht bewerten. Die AfD müsse aufzeigen und beweisen, wie demokratisch sie in uneingeschränkter Anerkennung der Verfassung unterwegs ist.
Zur Diskussion um Thüringens AfD-Spitzenpolitiker sagt Pieper: „Hier wird sich Herr Höcke weiter bemühen, die Opferrolle als Einzelperson leidlich zu zelebrieren. Unsere Gesellschaft muss alles tun, um die Wählbarkeit von Herrn Höcke anders abzusprechen, abzuerkennen.“ Er verkörpere als Person und Politiker genau die aktiven AfD-Mitglieder, vor denen Pieper die meiste Angst habe.
Es werde immer noch nicht deutlich genug herausgestellt, dass zum Beispiel ein 20-prozentiges Wahlergebnis für eine Partei diese dazu per Gesetz, per Demokratie, legitimiert, wichtige öffentliche Ämter, Posten und Aufgaben zu besetzen – mit Personal, „das allein wegen der dann erforderlichen Menge wohl aus den Milieus rekrutiert werden wird, vor denen mir angst und bange wird“, so Markus Pieper. „Es muss jetzt schon zur Europawahl klar werden, was ein rechtsradikales Erstarken bedeuten kann.“

Aber auch vor Ort ist Handeln notwendig: „Zunächst sind wir aus meiner Sicht alle aufgefordert, immer und überall – privat, beruflich, ehrenamtlich, öffentlich – für eine pluralistische Gesellschaft, für eine offene Gemeinschaft, für ein humanes und letztlich christliches Menschenbild aufzustehen.“
Und weiter: „Wer ab- und ausgrenzen will, will das nach seinen Maßstäben machen, und eben durchsetzen. Das widert mich einfach an.“ In einer Rede vor dem Rat habe Pieper klargemacht, dass seine Partei der AfD nicht im Ansatz den Raum für eine kommunale Zusammenarbeit geben würde.
SPD: Petition unterstützen
Gereon Stierl (SPD) ist zwar Vorsitzender seiner Fraktion, weist aber darauf hin, dass er nur für sich persönlich sprechen kann, da das Thema so ausführlich noch nicht bei den Nordkirchener Sozialdemokraten diskutiert worden sei. „Ich persönlich halte ein Verbotsverfahren gegen die Partei AfD zurzeit für nicht zielführend, da die Fakten im juristischen Sinn noch nicht ausreichen, um der Partei insgesamt eine verfassungsfeindliche Ausrichtung nachweisen zu können“, so Stierl.
„Dennoch muss hier die Entwicklung weiter beobachtet werden. Je nach der programmatischen Ausrichtung und politischen Aussagen führender AfD-Politiker bleibt ein Verbotsantrag zumindest für die Zukunft eine Option, den verfassungsfeindlichen Tendenzen entgegenzuwirken.“
Dagegen halte Stierl den Antrag auf Aberkennung von Grundrechten einzelner Personen für ein geeignetes Mittel, um insbesondere Führungspersonen der AfD die Wählbarkeit in Parlamenten abzuerkennen. Er werbe für die Unterstützung einer Online-Petition, die einen Grundrechtenentzug von Björn Höcke fordert und von bereits über 1,5 Millionen Menschen unterzeichnet wurde.

„Glücklicherweise gibt es im Rat von Nordkirchen ausschließlich demokratisch orientierte Parteien und Gruppierungen. Von daher sind alle Diskussionen, auch wenn sie noch so kontrovers und manchmal auch hitzig ausgetragen wurden, auf der Grundlage des gegenseitigen Respekts unter Demokraten erfolgt“, merkt Stierl an.
Dennoch zeigten die Wahlergebnisse, dass es auch in Nordkirchen ein nicht zu unterschätzendes Potenzial von AfD-Anhängern gebe. „Um diese Menschen wieder für die Demokratie zurückzugewinnen, versuchen wir deshalb eine ehrliche Kommunalpolitik für die Menschen in unserem Dorf zu machen und insbesondere den dörflichen Zusammenhalt in Vereinen und freien Gruppen zu fördern.“
Die Zusage des SPD-Fraktionschefs: „Ich versichere Ihnen, dass die gesamte SPD-Fraktion und die Partei in Nordkirchen geschlossen gegen Antidemokraten aufstehen werden, sollten diese versuchen in Nordkirchen aktiv zu werden.“
Grüne: Landesverbände verbieten
Für die Grünen-Fraktion teilt Uta Spräner in Absprache mit den Ratsmitgliedern Ulrich Stüeken und Irmgard Akono mit: „Wir bezweifeln, dass ein AfD-Verbot auf Bundesebene ein wirksames Instrument zur Prävention und Ursachenbekämpfung von Rechtsextremismus ist.“
Ein AfD-Verbot auf Bundesebene allein bringe nicht zwangsläufig das Vertrauen in die Demokratie bei potenziellen AfD-Wählern und -Wählerinnen zurück. Die Sicherung der wehrhaften Demokratie erwachse vor allem auch aus der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung. „Wenn ersichtlich ist, dass den Rechtsextremen mit ihren Parolen nicht die Straße gehört, sondern sich hier diejenigen treffen, für die die freiheitlich demokratische Grundordnung das höchste Gut ist, bewegt es vielleicht den einen oder die andere zum Nachdenken, ob sie tatsächlich der AfD ihre Stimme geben wollen“, so Spräner.
Ein Entzug der Grundrechte hätte aus Sicht der Grünen nicht viel Erfolg: „Auch wenn Björn Höcke nachweislich ein Verfassungsfeind ist und ihm mit der Grundrechtsverwirkung das Wahlrecht, die Wählbarkeit sowie das Bekleiden von öffentlichen Ämtern aberkannt werden könnte, ist zu bedenken, dass die Hürden für diesen verfassungsrechtlichen Schritt sehr hoch sind und das Verfahren Jahre dauern könnte.“ Man könne davon ausgehen, dass er vom „Hinterzimmer“ aus und mithilfe seiner Gefolgsleute die Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung weiter schüre.

„Da die Bundes-AfD vom Verfassungsschutz bislang ‚nur‘ als Verdachtsfall, die Landesverbände Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt aber als gesichert rechtsextrem eingestuft wurden und dies ein wichtiger Schritt in dem Verbotsverfahren ist, treten wir für ein Verbot der genannten Landesverbände ein.“
Lokal gilt: „Wir setzen uns dafür ein, dass die Bürger und Bürgerinnen unserer Gemeinde Vertrauen in die Politik (zurück)gewinnen, indem wir unter anderem mehr Transparenz in den Entscheidungsprozessen einfordern und uns für mehr Bürgerbeteiligung starkmachen.“
UWG: Ursachen bekämpfen
Christian Lübbert, Fraktionsvorsitzender der UWG Nordkirchen, schreibt: „Ich bin der Meinung, dass die AfD eine Gefahr für die Demokratie darstellt, aber ich bin mir nicht sicher, ob ein Verbot der beste Weg ist, um sie zu bekämpfen oder nur eine Verdrängung des Problems ist.“ Wichtiger sei es, die Ursachen für den Rechtsextremismus zu bekämpfen – dazu gehören: soziale Ungleichheit, Bildungsmangel oder Diskriminierung.
Einer Grundrechtsverwirkung von Spitzenkräften kann Lübbert etwas abgewinnen: „Diese Regelung ist bisher noch nie angewendet worden, aber wäre eventuell eine Möglichkeit, um die AfD zu schwächen, ohne die ganze Partei zu verbieten.“ Die Möglichkeit im Grundgesetz sei eine interessante Option, „aber ich bin mir nicht sicher, ob sie rechtlich haltbar ist.“

Sein Vorschlag für die lokale Arbeit: „Wir, die im Rat der Gemeinde Nordkirchen vertretenen Parteien und Wählergemeinschaften, können immer wieder darauf hinweisen, dass wir geschlossen gegen Rechtsextremismus stehen und nie eine gemeinsame Grundlage für politische Entscheidungen finden werden.“
Lübbert sei aber auch der Meinung, dass eine vor Ort transparente und erklärbare Politik eine Abkehr oder Verschiebung in Extreme verhindern könne. „Eine funktionierende Kommune ist aus meiner Sicht das Beste, was man für unsere Demokratie, für unser Zusammenleben tun kann.“ Die Gemeinde und die Politik aus Nordkirchen setze sich als „Inklusive Gemeinde“ seit vielen Jahren für Vielfalt, Toleranz und Solidarität ein.
FDP: Die Stimme erheben
Auch Daniel Dissel ist bei einem Verbotsverfahren vorsichtig. Der stellvertretende Vorsitzender der FDP Nordkirchen teilt mit: „Eine Expertenkommission sollte ein Verbotsverfahren prüfen und die Chancen für ein Verbot der AfD realistisch einschätzen. Viele Experten sprechen von sehr großen Hürden, bis ein solches Verbot Aussicht auf Erfolg hat.“
Es habe aber seinen Grund, warum der Verfassungsschutz die AfD in Thüringen als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hat. Daher sei es wichtig, den Rechtsextremismus in Deutschland beim Namen zu nennen.
„Der Extremismus verlässt immer mehr die gesellschaftlichen Ränder, er darf nicht salonfähig werden. Wir als Demokraten müssen, egal welcher parteilichen Couleur man angehört, zusammenstehen und die Ängste und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen und entsprechend handeln.“
Wer die Grundrechte und die Demokratie offenkundig unterwandern wolle, der müsse nach den rechtsstaatlichen Grundsätzen zur Rechenschaft gezogen werden. „Ein Björn Höcke, der als gesichert rechtsextrem eingestuft wird und auch öffentlich so auftritt, darf kein demokratisch politisches Amt bekleiden. Meines Erachtens ist schon aus demokratischen Gesichtspunkten besser den personifizierten Rechtsextremismus zu bekämpfen als ein Parteiverbotsverfahren, wenn dies nur geringe Chancen auf Erfolg hat, anzustreben.“

Dissels Appell: „Jeder kann sich gegen das Aufblühen der AfD einbringen. Es fängt damit an, sein Stimmrecht bereits bei der Europawahl wahrzunehmen. Es ist keine Floskel, wenn man sagt, dass jede Stimme zählt. Wir müssen als demokratische Mitte aufstehen und die Stimme erheben.“
Niemand dürfe sich von den vermeintlich einfach Worten der AfD blenden lassen. „Wir sind ein demokratisches Land, wir sind ein europäisches Land und wir spielen in der Weltpolitik eine wichtige Rolle. Das ganze fängt im Kleinen auf kommunaler Ebene an. Schweigen ist genau die falsche Entscheidung.“