„Wir-wissen-nichts“-Getue: So nennt ein Betroffener den Umgang des Bistums mit den Missbrauchsvorwürfen gegen Pfarrer Albeck. Seine Anzeige ist beim Bistum anscheinend verlorengegangen.
Die Unterlagen sind eindeutig und lassen kaum einen Zweifel: Ein persönliches Schreiben eines Betroffenen aus dem Jahr 2010 an das Bistum mit genauen Schilderungen, was der Pfarrer Alfred Albeck, der 2002 verstorben ist und von 1973 bis 1984 in Nordkirchen Pfarrer und von 1961 bis 1964 in Werne Kaplan war, ihm angetan habe. Ohne Details zu nennen: Es geht hier um Anschuldigungen von schwerem sexuellen Missbrauch eines Jungen.
Die Antworten des Bistums - mit Briefköpfen und Namen - drücken in steifen Worten Bedauern aus. Sie stammen aus den Jahren 2010 und 2011. „Wir haben den Vorgang zu unserer Dokumentation genommen“, heißt es da. Und: Ob man irgendwie helfen könne. Auch seinen ausgefüllten Antrag auf Leistungen zur Anerkennungen des Leids hat der Betroffene, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, aufbewahrt. Alles liegt der Redaktion in Kopie vor. Dem Bistum allerdings offenbar nicht. Oder nicht mehr.
Fall findet sich nicht in der Personalakte des Pfarrers
Schon im März dieses Jahres hatte das Bistum in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, dass mit Plakaten am Grab von Pfarrer Alfred Albeck und in drei gleichlautenden Briefen an das zuständige Bistum anonyme Missbrauchsvorwürfe gegen den Kirchenmann erhoben wurden. Das Bistum rief mögliche weitere Betroffene auf, sich zu melden. Außerdem hieß es in der Pressemittelung: „Weder zu seinen Lebzeiten gab es Hinweise noch ergeben sich solche aus seiner Personalakte auf einen sexuellen Missbrauch.“
Wo aber sind die Dokumente, die der Betroffene der Redaktion heute vorzeigen kann?
Das Bistum sagt dazu auf Anfrage der Redaktion lediglich: „Zu einer möglichen Anzeige aus 2010 oder 2011 liegen uns derzeit keine Informationen vor.“ Und: „Zu möglichen Zahlungen an einzelne Betroffene äußern wir uns grundsätzlich nicht.“
Ein Fall von Vertuschung?
Ist die Anzeige des Betroffenen verloren gegangen oder wurde „aussortiert“, um den Pfarrer zu schützen? Ein solcher Fall von Vertuschung wäre in dem Missbrauchsskandal, der die katholische Kirche seit einigen Jahren mehr und mehr umtreibt, kein Einzelfall. Auch der Fall von Albeck nicht.
Nach der ersten Bekanntgabe der anonymen Vorwürfe hatte sich ein Betroffener an das Bistum gewandt und gesagt, dass er seine Vorwürfe doch schon 1993 geäußert habe. Das hat das Bistum im Mai bekannt gegeben. Auch von diesem Fall findet sich nichts in den Akten.
Zumindest laut Aussage des Bistums. Der Betroffene, der sich bei der Redaktion gemeldet hat, kann das nicht glauben. Nicht nur, weil er durch den Schriftverkehr seinen Kontakt belegen kann. Sondern auch, weil er vor der ersten öffentlichen Bekanntgabe der Vorwürfe seinen Angaben nach vom Bistum im März 2019 einen Anruf bekam.
Man sagte ihm, dass es weitere Vorwürfe gebe und das Bistum sich nun an die Öffentlichkeit wende. „Man hat mich gefragt, ob ich damit einverstanden bin“, sagt der Betroffene. Nur so habe er dann auch die Möglichkeit gehabt, die ganze Berichterstattung unter anderem in den Ruhr Nachrichten zu verfolgen - er selbst wohnt nämlich nicht in dieser Gegend.
Externe Kommission arbeitet noch nicht, Gespräche laufen
Auch von einem solchen Anruf weiß das Bistum angeblich nichts. Anke Lucht von der Pressestelle sagt auf Anfrage der Redaktion. „Herr Frings als Interventionsbeauftragter hat vor Veröffentlichung der Pressemitteilung nicht mit dem Betroffenen gesprochen.“ Sie fügt aber hinzu: „Ob möglicherweise jemand anders im Namen des Bistums seinerzeit mit dem Betroffenen gesprochen hat, wissen wir derzeit nicht.“
Das Bistum hat im Mai angekündigt, eine externe Kommission mit der Prüfung der Fälle zu beauftragen. Sie arbeitet derzeit noch nicht. Auf Anfrage sagt Bistums-Sprecherin Anke Lucht: „Zur Expertenkommission laufen derzeit noch letzte Gespräche. Nach ihrer Installation werden wir darüber proaktiv informieren.“
Damit das „wir-wissen-nichts“-Getue des Bistums Münster aufhöre, wie es der Betroffene ausdrückt, habe er sich auch mit dem Zeigen der für ihn sehr schmerzhaften und persönlichen Dokumente vorgewagt. „Wie damit umgegangen wird, geht einfach nicht“, sagt er in Bezug auf die Aufarbeitung von Fällen wie dem seinen.
So kommentiert Redakteurin Marie Rademacher:
Erschreckt und enttäuscht: So gehe ich als Redakteurin aus der Recherche zu den Missbrauchsvorwürfen gegen Pfarrer Alfred Albeck heraus. Und das gleich auf mehreren Ebenen. Die erste Ebene ist offensichtlich: Dass den Betroffenen dieses Leid offenbar von einem Pfarrer angetan wurde - einfach schrecklich.
Auf der zweiten Ebene ist es für mich unfassbar, dass Fälle einfach verschwinden können. Wer kann es - unter dem Dach der Kirche - mit seinem Gewissen vereinbaren, die Schreiben von Betroffenen nach der Bearbeitung in den Papierkorb zu werfen oder sonst wie verschwinden zu lassen? Es ist unerträglich, dass die Opfer jetzt - wie in dem Fall des Betroffenen, der sich an mich gewandt hat, - noch mal in eine Beweispflicht genommen werden, alles noch mal erzählen müssen.
Auf einer dritten Ebene enttäuscht mich die Reaktion des Bistums auf den Fall des Mannes, mit dem ich gesprochen habe, zutiefst. Es wäre so einfach gewesen für das Bistum, mich darum zu bitten, für sie den Kontakt zu dem Betroffenen herzustellen. So hätte es klären können, wie das alles passieren konnte. Es hätte sagen können: Es tut uns leid, wir kümmern uns. Sicher hätten die Dokumente, die der Betroffene gesammelt hat, die Nachforschungen auch weiter vorangetrieben. Das wäre so einfach gewesen.
Dem Bistum genügte es allerdings, mir mitzuteilen, dass es von einem 2010 oder 2011 angezeigten Fall keine Kenntnis habe. Mehr nicht. Keine Nachfragen. Kein Bedauern. Nichts. Transparenz und das Streben nach Aufklärung und Aufarbeitung sieht aus meiner Sicht anders aus. Ganz anders.
Ich mag Geschichten. Lieber als die historischen und fiktionalen sind mir dabei noch die aktuellen und echten. Deshalb bin ich seit 2009 im Lokaljournalismus zu Hause.
