Stefan Kampert (links) und sein Azubi Ewald Schürmann.

© Sabine Geschwinder

Azubi mit 26: „Die Pandemie war für mich ein Auslöser“

rnAzubi in Nordkirchen

Ewald Schürmann hat lange in der Gastronomie gearbeitet, hatte eine leitende Stelle. Nun fängt er als Azubi in einer Nordkirchener Tischlerei neu an. Dabei half auch ein Beratungsangebot.

Nordkirchen

, 13.10.2021, 08:35 Uhr / Lesedauer: 3 min

Stefan Kampert hat ein Herz für Menschen, die nicht unbedingt die gradlinigste Biografie haben. Einmal, so erzählt es der Junior-Chef der Südkirchener Tischlerei Kampert, sei mal jemand in Handschellen zum Vorstellungsgespräch erschienen. Den Job habe der Mann damals auch bekommen, auch wenn er seine Ausbildung schließlich nicht abgeschlossen habe.

„Ich finde, es gibt nichts Schöneres, als zu sehen, dass sich jemand weiterentwickelt“, sagt Stefan Kampert. „Ich denke, dass jeder eine Chance verdient hat und Leute, die quer einsteigen, die haben es auch oft nicht leicht gehabt. Und wissen dadurch, was sie in der Zukunft wollen.“

Lehramt und Gastronomie waren nicht das Richtige

Ewald Schürmann ist einer dieser Quereinsteiger. Seit dem 1. August absolviert Schürmann seine Ausbildung zum Tischler. Mit 26 Jahren. Nach dem Realschulabschluss, so erzählt Schürmann, war er vier Jahre zur Bundeswehr gegangen. Dann habe er auf Lehramt studiert und nebenbei in der Gastronomie gearbeitet.

Das Lehramtsstudium erwies sich nicht als das Richtige. In der Gastronomie stieg er aber auf. Wurde Betriebsleiter bei einer Filiale der Kette Dean & David und bei einem Pop-up-Biergarten in Münster.

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„Als ich mit 16 den Realschulabschluss gemacht habe, wusste ich noch nicht, was ich wollte“, erzählt Ewald Schürmann. Doch trotz einer leitenden Position bringt ihn besonders die Corona-Krise zum Nachdenken. Es gibt Kurzarbeit und dann wieder Monate mit vielen Stunden. Keine guten Aussichten, wenn man Familienvater mit einem fünf Monate alten Kind ist.

„Dass das keine langfristige Perspektive ist, hatte ich die ganze Zeit im Hinterkopf“, erzählt Ewald Schürmann im Gespräch mit der Redaktion. „Die Corona-Pandemie war dann für mich der Auslöser“, erzählt er. „Junge, jetzt musst du etwas machen“, habe er sich selbst gedacht.

Neues Beratungsangebot der Agentur für Arbeit

Doch was tut man, wenn man plötzlich merkt, dass man beruflich nochmal ganz neu anfangen möchte, aber keine abgeschlossene Ausbildung oder einen Studienabschluss vorweisen kann? Schürmann profitierte hier von einem Angebot der Agentur für Arbeit im Münsterland. Die bietet seit Anfang des Jahres ein Beratungsangebot zum Thema berufliche Umorientierung an. Dabei wurde er intensiv beraten, welcher Weg denn für ihn in Frage kommen könnte.

Stefan Kampert (links) erklärt seinem Azubi die Theorie.

Stefan Kampert (links) erklärt seinem Azubi die Theorie.

„Den typischen Grund, warum jemand diese Beratung wahrnimmt, gibt es nicht“, sagt dazu Mathias Pöpping, Pressesprecher bei der Agentur für Arbeit Ahlen-Münster. Manch einer sei unglücklich in seinem Job, oder merke, dass der Job nirgendwo hinführe. Pöpping glaubt, dass die Corona-Pandemie in manchen Fällen, wie auch bei Ewald Schürmann, dazu geführt haben könnte, dass man seinen beruflichen Weg überdenkt.

Aber „ich sehe kein Massenphänomen“, sagt Pöpping. Eine Erfassung, wie viele Beratungen die Agentur für Arbeit im Bereich Münster-Ahlen zum Thema berufliche Neuorientierung durchführt, gibt es nicht. Zahlen liegen also nicht vor. „Aber die Nachfrage ist da“, sagt Pöpping klar. Das Angebot gebe es seit Anfang des Jahres.

Interessen genau erforscht

Wichtig für die Agentur für Arbeit ist dabei, dafür zu sorgen, dass Menschen möglichst nicht arbeitslos werden. „Menschen in ungelernten Positionen haben ein viel höheres Risiko, arbeitslos zu werden“, erläutert Pöpping. Daher sei eine Qualifizierung wichtig.

Es gibt zudem die Möglichkeit, dass die Arbeitsagentur die Umschulung finanziell fördert. Das gilt sowohl für die Betriebe, als auch für die Umschüler selbst. Außerdem verkürzt sich die Ausbildungsdauer bei Umschülern auf zwei Jahre.

Dass die Arbeit als Tischler für ihn richtig sein könnte, hat Schürmann bei der Erforschung seiner Interessen gemerkt. Beim Renovieren in seiner Wohnung habe er richtig Spaß gehabt, erzählt er. „Mir gefällt, dass ich in meinem Beruf breit aufgestellt bin“, sagt er außerdem. Auch die Arbeitskollegen seien super. Und seinen Chef hat schließlich, die Begeisterung überzeugt, sagt Stefan Kampert.

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„Wichtig ist, dieses Interesse zu zeigen, hier als Allrounder rauszugehen“, sagt Stefan Kampert. „Für mich zählt der Wille. Ewald sagte beim Bewerbungsgespräch von sich aus, dass er hier gerne als Allrounder rausgehen möchte. Da wir als Betrieb sehr breit aufgestellt sind, und auch tischlerunübliche Arbeiten ausführen, sah ich nicht nur für Ewald eine gute Möglichkeit, sondern auch für mich.“

Tipps für Menschen, die neu starten wollen

Auch Ewald Schürmann wird - sofern alles klappt - in zwei Jahren seine Ausbildung absolviert haben. Dabei kam ihm auch zugute, dass in der Tischlerei Kampert gerade zwei Azubi-Stellen vakant waren. Für Schürmann ist die kürzere Ausbildungs-Dauer auch ein Antrieb. „Ich versuche, alles mitzunehmen. Ich habe ja auch nur zwei Jahre Zeit“, sagt er.

Und welche Tipps hat Stefan Kampert für Menschen, die ebenfalls unsicher sind, was ihre berufliche Laufbahn betrifft? Viele Praktika machen, sagt Kampert. „Wenn jemand nicht weiß, was er will und irgendwo reingesteckt wird, bringt das für beide nichts“, ist er überzeugt. „Nur wer sich wohlfühlt und bereit ist, Fehler zu verbessern, wird auf Dauer weiterkommen“, meint Kampert.

Wer über eine berufliche Neuorientierung nachdenkt, kann sich an die Agentur für Arbeit wenden. Individuelle - kostenlose - Beratungstermine gibt es unter der Rufnummer (0251) 698 251.

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