Die Zeiten, in denen das Bekenntnis „Ich esse kein Fleisch“ großes Erstaunen hervorgerufen hat, sind glücklicherweise vorbei. Im privaten Haushalt kann das jedoch auch nach jahrzehntelanger Praxis noch immer Gegenstand nicht endender Diskussionen werden. Ein Erfahrungsbericht.
Wir sind eine Durchschnittsfamilie: Zwei Erwachsene, zwei Jugendliche in der Pubertät, beide männlich. Im Großen und Ganzen klappt der Alltag gut, wir kennen uns und unsere Stärken und Schwächen. Natürlich gibt es Streit, den aber niemand allzu ernst nimmt.
Bei einem Thema allerdings geht ein Riss durch unsere Mikro-Gesellschaft: Beim Fleischkonsum oder -verzicht ist es vorbei mit der so oft von uns Eltern gepredigten Toleranz.
Chillen beim Grillen?
Ein alltäglicher Sommer-Grillabend. Da wir uns in puncto Fleisch ja oder nein genau 50:50 aufteilen, gibt es auch auf dem Grill anteilig Platz für Fleisch auf der einen und Käse sowie Gemüse auf der anderen Seite. Also eigentlich ganz entspannt? Weit gefehlt!
Auftritt Sohn 1 (18 Jahre): „Gibt es Fleisch?“ fragt er beim Heben der Grillabdeckung – und sieht zuerst Zucchini. „Sch… Gemüsefresser, ich habe Hunger!“, so sein vernichtendes Urteil. Der Vater, selbst überzeugter, aber toleranter Fleischliebhaber: „Bist Du jemals zu kurz gekommen?“ „Klar!“ sagt der junge Erwachsene. Ich vermittle: „Genug Fleisch da, keine Sorge.“
Nur mit Käse!
Das hört der Junior (14 Jahre, seines Zeichens militanter Vegetarier): „Was, schon wieder nur Fleisch? Immer nehmt Ihr auf DEN Rücksicht! Und ich habe wieder nichts zu essen!“ Ich beruhige ihn: Das übliche Gemüse läge auf dem Grill , dazu der geliebte Grillkäse. „Aber das darf das Fleisch nicht berühren! Und das Brot! Das liegt falsch! Und pass auf, dass Papa nicht die falsche Gabel nimmt! "
Als könnte mein Mann das nicht selbst und als wäre das nicht seit Jahren geübte Praxis. Aber da ist ja auch noch der überzeugte Fleischvertilger, Sohn 1. Er hat nichts Besseres zu tun, als demonstrativ die (Fleisch)Gabel zu zücken und auf die Champignons zuzusteuern – natürlich nur dann, wenn Sohn 2 dabei ist.
Konsequent intolerant
Schon sind wir mittendrin in Beschimpfungen und gegenseitigen Schmähungen über intolerante Vegetarier, ungesunde Fleischkonsumenten und überhaupt die fehlende Zurechnungsfähigkeit und Intelligenz des anderen. Es wird laut und manchmal auch auf dem engen Balkon-Raum grenzwertig. Wir Eltern versuchen, ruhig zu bleiben, was nicht immer klappt – bis zum erlösenden „Essen ist fertig“, das die hungrigen Heranwachsenden zumindest an einen Tisch zieht – natürlich möglichst weit voneinander getrennt und mit sauber getrennten Tellern mit Fleisch oder mit vegetarischer Kost.
Dann ist zumindest so lange Ruhe, bis die Mägen gefüllt sind – oder maximal bis zur nächsten warmen Mahlzeit.