Dr. Elmar Segbers, am Elisabeth-Krankenhaus Recklinghausen angestellter Arzt, darf in Recklinghausen nicht mehr als Notarzt arbeiten. Das hat Bürgermeister Christoph Tesche verboten. Damit hat die Diskussion um die beim Rettungseinsatz nach dem Zugunglück vom 2. Februar 2023 gemachten Fehler eine neue Eskalationsstufe erreicht.
In dieser Woche hat Notfallsanitäter Chris Fürstenberg, durch den die beiden vom Zug erfassten Jungen überhaupt erst gefunden wurden, eine Petition gestartet. Das Ziel: Dr. Segbers soll wieder als Notarzt arbeiten dürfen. Dazu später mehr.
Zur Erinnerung: Am 2. Februar 2023 waren zwei Kinder in Recklinghausen von einem Zug erfasst worden. Dabei wurde Yigit S. (10) getötet und sein Freund Amir El-Jaddouh (9) lebensgefährlich verletzt. Die beiden Jungen waren erst 90 Minuten nach der Alarmierung überhaupt und das auch nur durch einen kaum zu glaubenden Zufall gefunden worden.
Im Nachgang hatte der am Unglücksort eingesetzte Notarzt Dr. Segbers massive Kritik am Rettungseinsatz geübt und auf eine Aufarbeitung der Fehler gedrängt. Als die nicht erfolgte, eskalierte der Streit mehr und mehr. Anfang April schloss die Stadt Dr. Segbers von Notarzt-Diensten aus und verpflichtete als teuren Ersatz Honorarkräfte.

Keine Antwort auf Frage nach „Vertrauensbruch“
Um die Wogen zwischen allen Beteiligten zu glätten, wurde parallel Anfang des Jahres eine Mediation verabredet. Die kam allerdings nur schleppend voran und wurde erst im Herbst abgeschlossen. Das Ergebnis teilten seinerzeit Stadt, Kreis und Elisabeth-Krankenhaus in einer gemeinsamen Erklärung mit: „Im Rahmen des Mediationsverfahrens wurde festgestellt, dass eine weitere Zusammenarbeit mit Dr. Segbers aufgrund des entstandenen Vertrauensbruchs nicht mehr wie bisher möglich ist.“ Was denn als „Vertrauensbruch“ gewertet wurde, sagten die Betroffenen auch auf Nachfrage nicht.
Jetzt bestätigte die Stadt, dass sie in einem „Ablehnungsschreiben“ an das Elisabeth-Krankenhaus deutlich gemacht habe, dass Dr. Segbers nicht mehr als Notarzt in Recklinghausen eingesetzt werden dürfe. Dass die Stadt zu einer solchen Anweisung berechtigt ist, ist einem eigenen Passus zu verdanken, der eigens in den im Sommer mit den drei Recklinghäuser Krankenhäusern neu geschlossenen Vertrag aufgenommen wurde.
Unserer Redaktion schreibt Hermann Böckmann, Pressesprecher der Stadt Recklinghausen, dass Bürgermeister Christoph Tesche „den Einsatz von Herrn Dr. Segbers nicht persönlich verboten“ habe. Ein paar Sätze später aber schreibt Böckmann, dass der Bürgermeister den „Vertrag mit den drei Recklinghäuser Krankenhäusern und später dann auch das entsprechende Ablehnungsschreiben an das Elisabeth-Krankenhaus unterzeichnet“ habe.
Stadt bleibt bei ihrer Darstellung
Im Übrigen wiederholt die Stadt ihre Darstellung, wonach „unabhängige Mediatoren“ in einer „Reihe von Sitzungen Gespräche mit Beteiligten geführt“ hätten und zu dem Schluss gekommen seien, dass aufgrund „des entstandenen Vertrauensbruchs eine weitere Zusammenarbeit mit Dr. Segbers nicht mehr möglich sei“.
Weitergehende Fragen unserer Redaktion beantworte die Stadt mit Verweis auf die Vertraulichkeit des Mediationsverfahrens nicht. So hatten wir unter anderem wissen wollen, wie oft Bürgermeister persönlich mit Dr. Segbers und anderen am Rettungsgeschehen beteiligten Menschen gesprochen habe.
Amirs Vater will dem Notarzt helfen
Als Fadi El-Jaddouh, der Vater des geretteten Amir, vom Umgang mit Dr. Segbers erfuhr, wandte er sich an die Redaktion. Er flehte, man müsse doch dem Arzt helfen, der so vielen Menschen geholfen und auch seinem Sohn das Leben gerettet habe.
Fadi El-Jaddouh ist nicht der Einzige, der sich an die Redaktion gewendet hat. Uns erreichte auch ein Brief des Notfallsanitäters Chris Fürstenberg. Er hatte nach dem schrecklichen Unfall eigentlich nur die Aufgabe, beruhigend auf den Zugführer einzuwirken. Fürstenberg entdeckte dabei auf der Schürze des Triebwagens ein Handy, das von einem der Jungen stammen musste. Er startete eine Suche und fand die beiden verunglückten Kinder. Ohne seine Aufmerksamkeit wäre die Suche nach den Kindern möglicherweise sogar abgebrochen worden. Der kleine Amir hätte kaum überlebt.
In seinem Brief macht Chris Fürstenberg seiner Verärgerung über das Mediationsverfahren und dessen Ergebnis Luft. Er schreibt: „Eine Mediation, die erst monatelang durch die Stadt hinausgezögert wurde und schließlich am Ende gar nicht stattfand, weil gemeinsame Gespräche mit Dr. Segbers kategorisch abgelehnt worden sind. Dazu wurden Angehörige des damaligen Rettungsteams, wie ich selbst, erst gar nicht zu dieser Mediation eingeladen. Dabei hätte ich viel zu einer objektiveren Sichtweise beitragen können.“
Auch zu diesem Punkt äußert sich die Stadt auf Nachfrage nicht. Fürstenberg übt massive Kritik an Bürgermeister Tesche und Feuerwehr-Chef Thorsten Schild: „Der Bürgermeister vollendet so das persönliche Ziel von Herrn Schild, das dieser wohl schon seit über eineinhalb Jahren verfolgt hat“, schreibt Fürstenberg und fährt fort: „Welches öffentliche Signal wird von dieser Entscheidung des Bürgermeisters ausgehen? An all die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, sei es bei der Feuerwehr, Polizei oder in der Verwaltung, die Zeuge von Fehlern werden oder Kritik äußern wollen? Sie werden nun höchstwahrscheinlich vor Ausgrenzung und beruflichen Konsequenzen Angst haben und schweigen.“
Er sei „fassungslos und wütend“, wie die Stadt mit Dr. Segbers umgehe, schreibt Fürstenberg, und: „Dies alles geschieht, obwohl Herrn Dr. Segbers fachlich nichts vorgeworfen wird und sein Verhalten in 10 Jahren als Notarzt im Dienst der Stadt Recklinghausen in tausenden von Einsätzen einwandfrei war. Mit Professionalität und Engagement hat Dr. Segbers seine Patienten behandelt, Leben gerettet und schweres Leiden gelindert, bei Tag und Nacht. Dr. Segbers hat sich um die Gesundheit der Bürger der Stadt Recklinghausen verdient gemacht.“
„Rausschmiss gefordert“
Im Übrigen sei auch er in die Schusslinie geraten: „Ich selbst war auch direkten Angriffen von Führungspersönlichkeiten der Feuerwehr Recklinghausen ausgesetzt, die von meinem Arbeitgeber meinen ‚Rausschmiss‘ gefordert hatten, nachdem der Vater des geretteten Jungen sich öffentlich bei mir dafür bedankt hatte. Sogar der Bürgermeister persönlich hat versucht, meine Glaubwürdigkeit und meine Aussagen bei meinem Arbeitgeber in Zweifel zu ziehen.“
Online-Petition für Dr. Segbers gestartet
Fürstenberg wurde es zu viel. Er kündigte und arbeitet jetzt in einer anderen Stadt. Sein Einsatz für Dr. Segbers aber hält an. Er startete eine Online-Petition, in der die Wiedereinsetzung von Dr. Segers als Notarzt gefordert wird. Innerhalb von zwei Tagen haben bereits 172 Menschen unterschrieben. Das ist auch möglich, ohne dass der eigene Name veröffentlicht wird.

Und was ist jetzt mit Dr. Segbers?
Und was ist jetzt mit Dr. Segbers? Sein Arbeitgeber, das Elisabeth-Krankenhaus, will sich dazu nicht äußern und teilte lediglich mit: „Wir schätzen Herrn Dr. Segbers weiterhin als kompetenten Mediziner, weshalb wir auch an einer weiteren Zusammenarbeit mit ihm in unserem Hause interessiert sind.“ Im Übrigen erteile man Dr. Segbers keine Freigabe für ein Gespräch mit unserer Redaktion.
Mit Rücksicht auf seine berufliche Zukunft respektieren wir das selbstverständlich, zumal das Rede-Verbot zumindest eines bestätigt: Dr. Segbers ist weiter Angestellter des Krankenhauses.
Dieser Artikel erschien ursprünglich am 13. Dezember 2024.