Über die Kommunen soll ein Füllhorn ausgeschüttet werden. Wie viel von den Milliardenkrediten des Bundes im Kreis Unna ankommt, steht allerdings noch in den Sternen. Wenn es darum geht, wofür das Geld am dringendsten benötigt wird, gibt es eine klare Antwort: Wohnungsbau.
Zumindest leitet Landrat Mario Löhr den neuen Masterplan Wohnen des Kreises mit einem eindeutigen Satz in seinem Vorwort ein: „Kaum etwas Anderes ist so wichtig für die Menschen wie die Frage nach passendem und bezahlbarem Wohnraum.“
11.500 Wohnungen in 19 Jahren
In ihrer Ist- und Soll-Analyse der Wohnbebauung im Kreis Unna stellt die Kreisverwaltung jetzt auch einigermaßen harte Zahlen beim Neubaubedarf vor: Seit 2022 bis zum Jahr 2040, also innerhalb von gut 19 Jahren, müssten in den zehn Städten und Gemeinden rund 11.500 Wohnungen errichtet worden sein.
Rechnerisch wäre das ein Neubau von etwa 600 Wohnungen pro Jahr. Dies ist die mittlere von drei Prognosen. Betrachtet man die Bautätigkeit in der Vergangenheit, erscheint dieses Ziel erreichbar. Denn zwischen 2011 und 2023 sind pro Jahr im Kreis Unna durchschnittlich 700 Wohnungen fertiggestellt worden.

Die Analysten des Kreises weisen jedoch auf ein notwendiges viel höheres Tempo beim künftigen Neubau hin: Weil es einen Nachholbedarf beim Wohnungsbau gebe, der kurz- bis mittelfristig – bis 2030 – zu befriedigen ist, müssten über 1.000 Wohnungen pro Jahr bis dahin fertiggestellt werden.
Das hieße dann gleichzeitig, dass in den Jahren danach rein rechnerisch keine weiteren Wohnungen gebaut werden müssten, man ab 2030 also in der Lage sei, ein bedarfsgerechtes Wohnungsangebot im Kreis Unna vorhalten zu können.
Wäre die Bauwirtschaft aber überhaupt in der Lage, so viele Neubauten in kurzer Zeit im Kreis Unna hochzuziehen – angesichts von Fachkräftemangel, Materialknappheit oder „vollen Auftragsbüchern“?
Wohnungsbaufirmen stehen in Startlöchern
„Wenn wir jetzt den Wohnungsbau ankurbeln, haben wir kein Problem, Firmen zu finden“, versichert Björn Wißuwa. Die Hochbausparte warte derzeit geradezu auf Aufträge. „Sie befindet sich in einer schwierigen Situation“, so der Regionalleiter Westfalen der IG BAU im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern habe längst noch nicht wieder das Niveau der lange währenden Niedrigzinsphase erreicht.
Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) hat bereits vor der Bundestagswahl einen Fond für den Sozialwohnungsbau gefordert. Förderungen für private Häuslebauer sind ebenso willkommen. Neben der Forderung nach diesem notwendigen Konjunkturprogramm für die Bauwirtschaft legt Björn Wißuwa den Finger in einige Wunden.

Es müsse nun vor allem schnell gehen, fordert Björn Wißuwa. Die Baukosten seien ohnehin noch immer höher als vor dem Ukraine-Krieg. Immerhin waren aber die Zinsen zuletzt gesunken. Mit zunehmender Staatsverschuldung, so Wißuwa, drohten künftig aber auch die Kreditzinsen wieder zu steigen.
Am nicht mehr so ganz fernen Horizont könne zudem ein Fachkräfteproblem auftauchen – dann nämlich, wenn ein ja durchaus zu wünschender Friedensprozess eingeleitet werde und Ukrainer in ihre Heimat zurückkehren wollen. „Der Markt ist sehr schwierig“, sagt Wißuwa mit Blick auf die heute in Deutschland arbeitenden Schutzsuchenden, die je nach internationaler Entwicklung plötzlich nicht mehr zur Verfügung stünden.
Abspecken bei Standards für den Wohnungsbau
Und, ergänzt der Unnaer, im Tiefbau versuchten Unternehmen bereits, Handwerker aus dem Hochbau abzuwerben. Denn die Auftragsbücher für Straßenbau und Infrastrukturmaßnahmen seien voll – ein personeller Aderlass bei den Hochbauunternehmen könne letztlich auch zu Verzögerungen im Wohnungsbau führen.
Als Gewerkschafter habe er natürlich immer auch zu fordern, dass öffentliche Aufträge ausschließlich an Unternehmen vergeben werden, die tarifgebunden sind – insofern stehen naturgemäß weniger Baufirmen zur Verfügung.
Auf weitere Faktoren bei der Geschwindigkeit von Bauvorhaben hätten Behörden, Architekten und Häuslebauer selbst Einfluss. „In Deutschland besteht immer noch der Anspruch, ein Haus fürs Leben zu bauen“, sagt Wißuwa.
Das sei grundsätzlich auch nicht falsch, aber zum einen zeige der Trend zum vergleichsweise winzigen Tiny House, dass auch extrem abgespeckte Versionen der eigenen vier Wände Freunde finden. Zum anderen „treibt das Hochschrauben der Ansprüche an die Standards die Kosten in die Höhe“, findet Wißuwa. Dass Bauen billiger werden muss, fordern inzwischen auch Architekten. „Dreifachverglasung ist Unsinn“ gehört beispielhaft zu ihrer Kritik.
Björn Wißuwa will die Stimmung nicht schlechtreden, der Baubranche gehe es insgesamt durchaus gut. Es müsse aber eben auch sehr bald eine Bauoffensive eingeleitet werden: „Wir müssen Tempo auf die Schiene bekommen.“