Simone Rund findet keine Wohnung „Ich glaube, es hat keiner mehr ein Herz für behinderte Menschen“

„Ich glaube, es hat keiner ein Herz mehr für behinderte Menschen“
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Es könnte alles so schön sein. Vor 15 Jahren hat Simone Rund für sich selbst und ihre mehrfach schwerstbehinderte Tochter Dorina eine Wohnung in Fröndenberg-Mitte gefunden. Die beiden haben sich dort eingelebt und eingerichtet, auch wenn längst nicht alles barrierefrei ist. Doch viel schlimmer ist nun ihre Angst, bald in einem Mehrfamilienhaus mit 32 leer stehenden Wohnungen leben zu müssen.

„Hier hatten wir vor 15 Jahren Glück“, erzählt Simone Rund, sitzt dabei am Küchentisch und schaut ihre Tochter an. „Stimmt’s, Dorina?“ Sie klopft der 20-Jährigen auf den Oberschenkel. Das spürt Dorina Rund, doch sie versteht keines der Worte, die ihre Mutter an diesem Freitagmittag spricht.

Die schwerstbehinderte Rollstuhlfahrerin Dorina Rund neben ihrer Mutter Simone in ihrem kleinen Zimmer in der Fröndenberger Wohnung.
Das Zimmer von Dorina Rund ist eigentlich viel zu klein für den Spezialrollstuhl der schwerstbehinderten jungen Frau. Für Mutter Simone Rund ist es stets ein Kraftakt, ihre Tochter in das Spezialbett zu heben. © Marcus Land

Schwierige Suche nach barrierefreier Wohnung

Schon damals sei es unheimlich schwierig gewesen, eine Wohnung zu finden, die zumindest so weit barrierefrei ist, dass sie ihre Tochter in ihrem Spezialrollstuhl überhaupt von einem Zimmer ins andere bewegen kann.

Doch die Neuapostolische Kirche willigte ein, dass die alleinerziehende Mutter die Drei-Zimmer-Wohnung in dem kleinen Wohnkomplex beziehen dürfe, der oberhalb des längst stillgelegten Haus Löhnbachtal liegt. Die Wohnungen waren mit dem früheren Seniorenheim verbunden; man konnte bei Bedarf im fortgeschrittenen Alter die eigenen vier Wände auf kürzestem Wege mit einem Platz in der Pflegeeinrichtung tauschen.

Dorina Rund ist schon seit Kindesbeinen an ein Pflegefall. Komplikationen bei der Geburt, eine Hirnblutung, danach noch eine Hirnhautentzündung führten dazu, dass sie heute praktisch rund um die Uhr betreut werden muss.

Simone Rund steht an einem Hebelifter in ihrer Wohnung in Fröndenberg, mit dem sie ihre Tochter Dorina auf das Sofa hieven kann.
In der Wohnung sind mehrere Hebelifter unter der Decke angebracht, damit Simone Rund ihre Tochter Dorina auf das Sofa im Wohnzimmer oder in die Badewanne hieven kann. © Marcus Land

Dorina Rund ist blind, kann nicht sprechen, sie leidet unter Epilepsie, kann weder stehen noch sitzen. Die junge Frau muss täglich gewickelt werden. „Sie ist eigentlich wie ein Baby“, sagt ihre Mutter.

„Viele stößt das ab“, sagt Simone Rund dann auch noch. Jedenfalls befürchtet sie, dass das so ist. Denn seit einem Jahr sucht sie in Fröndenberg vergeblich ein neues passendes Zuhause für die beiden.

Es sei praktisch noch nicht einmal annäherungsweise eine Wohnung unter den wenigen Angeboten gewesen, die die nötige Barrierefreiheit geboten hätte. Heutzutage werde ja barrierefrei gebaut, aber neue Wohnungen hätten auch ihren Preis. An der Miete könne es aber nicht scheitern, denn finanziell gehe es ihr gut.

Keine Nachmieter in Wohnungen am Haus Löhnbachtal

Auf die Suche hat sich Simone Rund begeben, weil sie sich große Sorgen macht. Vor einiger Zeit ist ihr von ihrem Vermieter ein neuer Mietvertrag vorgelegt worden: Der enthält eine Befristung bis 2027. Frei werdende Wohnungen werden seit Monaten nicht mehr vermietet, von 33 stehen inzwischen 13 leer.

Im Hinblick auf einen möglichen anstehenden Verkauf werde nicht mehr nachvermietet, bestätigt Frank Schuldt von der Neuapostolischen Kirche. Auch Simone Rund hatte zuvor einen unbefristeten Mietvertrag. Sie könne mit ihrem schwerbehinderten Kind ja gar nicht auf die Straße gesetzt werden, ist sie schon beruhigt worden.

Die 57-Jährige schüttelt den Kopf. Sie habe eine ganz andere Sorge. „Ich habe Angst, dass das Haus bald ganz leer steht“, sagt sie – fast leer, bis auf Mutter und Tochter Rund. „Das ist kein schönes Gefühl.“ Die Wohnanlage hat viele Gänge und Flure, kleine Sitzgruppen für die Gemeinschaft der Nachbarn stehen da.

Gemeinschaft sei da aber kaum noch. Ein Ehepaar, sie 72, er 73, wohnt auch noch im Haus. „Das sind die Jüngsten, alle anderen sind über 80, 90 – dann wissen Sie, wie schnell das Haus leer ist“, fürchtet sich Simone Rund vor ungebetenen Gästen und der gespenstischen Atmosphäre in einem verlassenen Gebäude.

Auf die Breite der Türrahmen kommt es an

Gemeinschaft – das bedeutet für Simone und Dorina Rund vor allem, aneinander als Mutter und Tochter zu haben. Für Mutter Simone bedeutet es, ihrer Tochter Dorina wenigstens solche Eindrücke zu verschaffen, die ihr Kind glücklich machen. Um 16.30 Uhr kommt die 20-Jährige zurück aus der Werkstatt in Unna.

Wenn das Wetter schön ist, geht ihre Mutter dann oft mit ihr spazieren. „Oder wir sitzen hier zusammen und singen laut Michelle“, sagt Simone Rund. Während Dorina auf keine anderen Töne aus Radio oder Fernsehen reagiere, strahle sie bei Liedern der Schlagersängerin immer.

Simone Rund wirkt ebenfalls wie eine eigentlich fröhliche Frau. Doch in letzter Zeit habe sie schlaflose Nächte gehabt, gesteht sie. Alles habe sie ja schon versucht; stehe auf allen Listen der Wohnungsbaugesellschaften, nur tue sich rein gar nichts.

Natürlich gebe es Bedingungen, damit ihre Tochter in der neuen Wohnung überhaupt zurechtkommen könne. Die Türrahmen müssen wegen des Rollstuhls mindestens 80 Zentimeter breit sein, eine ebenerdige Dusche sei da fast schon ein Traum. Trotz des strapaziösen Hineinhebens hätten sich beide auch an eine Badewanne schon gewöhnt.

Umzug ist Belastung für Dorina Rund

Was die Wohnungssuche sicherlich nicht einfacher macht: Ebenerdig soll sie sein, vor einem Aufzug habe sie größte Bedenken: Der dürfe schließlich in einem Brandfall nicht benutzt werden – aber was dann mit einer Person, die völlig unfähig ist, sich über Treppen zu bewegen wie Dorina Rund?

Für ihre Tochter werde ein Wohnungswechsel ohnehin zu einer großen Belastung. „Sie kommt mit anderen Stimmen nicht klar“, erklärt Simone Rund. Sie selbst, das gibt sie zu, kann sich keine andere Heimat als Fröndenberg vorstellen, wohin sie als Fünfjährige mit ihren Eltern aus Unna gezogen war.

Auf einem Schild in einem Hausflur in Fröndenberg steht "Aufzug im Brandfall nicht benutzen".
Ein Aufzug spricht zwar für Barrierefreiheit. Simone Rund fürchtet aber, dass sie in einem Brandfall mit ihrer Tochter im Rollstuhl in der Wohnung gefangen wäre. © Marcus Land

So fantastisch seien diese Bedingungen doch gar nicht. Und doch endeten die ganz wenigen bisherigen Besichtigungen in Ernüchterung: Eine Wohnung im Erdgeschoss in der Stadtmitte war nur über drei Treppenstufen am Hauseingang zu erreichen. Auf die Idee einer Rampe reagierte der Vermieter unwirsch.

Simone Rund gibt die Hoffnung trotzdem nicht auf. Auch wenn sie nach den enttäuschenden Erfahrungen zu einem traurigen Schluss kommt: „Ich glaube, es hat keiner mehr ein Herz für behinderte Menschen.“

Wer Simone und Dorina Rund mit einer passenden Wohnung in Fröndenberg-Mitte helfen kann, schreibt eine E-Mail an froendenberg@hellwegeranzeiger.de. Die Redaktion leitet die Kontaktdaten dann weiter.