Lauter als Sylvia Zipp wohnt in Unna wohl niemand: Im stumpfen Winkel der Bahnlinie Hagen-Hamm und der A1 am Kreuz Dortmund/Unna liegt das Eigenheim der Familie. Die Zipps sind zwar an den Verkehrslärm der nahen Autobahn gewöhnt, doch seit die Deutsche Bahn eine neue Eisenbahnbrücke baut, steigert sich der Lärm durch ratternde Bagger, schlagende Hydraulikhämmer und dröhnende Bohrer. In diesen Tagen ist es besonders laut – und das liegt am großen Finale des Brücken-Mammutprojekts für den Umbau des Autobahnkreuzes Dortmund/Unna.
Wo die Zipps früher auf ein grünes Dickicht und eine Lärmschutzwand blickten, endet der Doppelhausgarten nun vor einem Bauzaun. Dahinter ragt zum Greifen nah ein 2000 Tonnen schweres, 15 Meter hohes und 124 Meter langes Ungetüm aus Stahl auf. Eine neue Eisenbahnbrücke ist in den vergangenen Monaten neben der Bahnlinie zusammengeschweißt worden, und an diesem Wochenende (6. bis 9.12.) wird die grau-weiße Fachwerkkonstruktion rund 200 Meter weit an ihren Platz über der A1 gefahren.
Wenn die Spezialisten der niederländischen Spezialfirma Mammoet die Brücke auf sogenannten Tausendfüßlern huckepack nehmen, besitzt Familie Zipp einen Logenplatz. Eine bessere Sicht als aus den Dachfenstern am Massener Kirchweg gibt es nicht. „Ich bin noch nicht sicher, ob wir zuschauen wollen oder ob wir lieber weglaufen“, sagt Sylvia Zipp nach den Erfahrungen des vorherigen Wochenendes.
Denn nur wenige Tage vor dem Einschub der neuen Stahlfachwerkbrücke wurde die alte Spannbetonbrücke abgerissen. Von Freitagabend (30.11.) bis Montagmorgen (2.12.) herrschte ein Höllenlärm, als Bagger den Beton zerbröselten. „Für uns war das unerträglich“, schildert Zipp. „Ich bin um halb drei nachts mit meiner kleinen Tochter zu meiner großen Tochter in die Stralsunder Straße gezogen. Es war wie ein Erdbeben.“
Die Baustelle ist so laut, dass die Bauherren den Lärm dokumentieren. Im Garten steht ein Mast mit einem Mikrofon. Der Schallpegel wird kontinuierlich gemessen. „Ob die Auswertungen dann zu unseren Gunsten genutzt werden, sodass wir eine Entschädigung für den Lärm bekommen, das wissen wir noch nicht“, sagt Zipp. Insgesamt seien 13 Häuser in der Nähe stark von der Baustelle betroffen.
Was die Anwohnerin „sehr traurig“ findet ist, dass den betroffenen Anliegern nichts Konkretes angeboten wurde, auch keine Hotelübernachtungen während der nächtlichen Abrissarbeiten. „Man muss eben selber sehen, wie man mit der Lautstärke klarkommt.“

Das gilt auch für die berufliche Situation. Sylvia Zipp betreibt sonst im Vorderhaus eine Kindertagespflege, aber betreut die Tageskinder jetzt woanders. Es sei den Kindern nicht zuzumuten, unter diesen Bedingungen im Garten zu spielen. Sie habe für die Tageskinder vorübergehend ein Apartment in Unna als Zweitwohnsitz angemietet. Es bleibt die Hoffnung, dass sie die Kosten dafür zumindest teilweise erstattet bekommt.

Die Familie hängt trotz der lauten Lage zwischen Autobahn, Gleisen und Flughafen-Einflugschneise an Haus und Grundstück. Der rund 150 Jahre alte Altbau mit Wintergarten wurde vor einigen Jahren mit Schallschutzfenstern ausgestattet, sodass es drinnen unter normalen Bedingungen erstaunlich ruhig ist.
Manchmal beschleichen die Zipps Zweifel. „Jetzt wo die Baustelle da ist, fragt man sich, ob man das richtig gemacht hat, dass man nicht vor Jahren vielleicht verkauft hat“, so die Anwohnerin.
Ihr Mann sei hier geboren und kenne das nicht anders, schon seine Eltern wohnten hier. „Es ist natürlich sehr laut, aber es wird auch wieder besser“, hofft sie. „Wir gucken alle nach vorne.“
Noch bis mindestens 2026, so Zipp, müsse die Familie mit dem Baustellenlärm leben, denn der große Umbau des Autobahnkreuzes Dortmund/Unna folgt erst noch. Für sie ist das Grundstück trotz aller Widrigkeiten „ein schönes Fleckchen Erde“. Ein Grundstück, das vorerst 120 Quadratmeter kleiner ist, weil ein Teil für die Baustelle genutzt wird.


Ein Video bei hellwegeranzeiger.de zeigt die Situation vor Ort