
Es ist wie im Kino. Der Film steuert auf den Höhepunkt zu. Gut und Böse stehen sich gegenüber. Der ultimative Showdown. Nur einer überlebt. Nur wer? Das Gute? Das Böse? Wer auf unser Land schaut, könnte sich in einem solchen Film wähnen. Zwei Ideen ringen miteinander.
Die eine skandiert: „Rettet unser Klima!“ Die andere: „Rettet unseren Wohlstand!“ Wobei drei Dinge offen sind: Wie konnte es soweit kommen? Wer ist gut, wer böse? Und: Kann es wirklich nur einen Sieger geben?
Die Gründe für eine Entwicklung, die sich im AfD-Boom einerseits, in mit Sekundenkleber geführten Klimaprotesten andererseits manifestiert, haben eine gemeinsame Wurzel. Es ist die Angst vor dem Verlust des Selbstverständlichen.
Aufs Ganze gesehen geht es den meisten von uns traumhaft. Verglichen mit mehr als 90 Prozent der Weltbevölkerung sind unsere Alltagssorgen banal. Wir leben in Sicherheit, erhalten auskömmliche Einkommen, müssen im Winter nicht frieren, haben genug zu essen, ein funktionierendes Gesundheits- und Sozialsystem. Zweimal im Jahr in Urlaub zu fahren, betrachteten wir schon fast als unser Naturrecht.
Die 7 größten Ängste der Deutschen
Corona und Ukraine-Krieg aber haben Selbstverständlichkeiten ins Wanken gebracht. Die größten Ängste der Deutschen drehen sich inzwischen, das zeigt beispielsweise eine Umfrage der R+V-Versicherung von Ende 2022, um Geld.
Die Plätze 1 bis 5 auf dieser Angst-Skala belegen die Angst vor Inflation, höheren Lebenshaltungs- und Wohnungskosten, einer schlechteren Wirtschaftslage, Steuererhöhungen und der EU-Schuldenkrise. Erst auf Platz 6 kommt die Angst vor Naturkatastrophen und Wetterextremen und auf Platz 7 die Angst vor autoritären Herrschern.
Was alles nicht mehr selbstverständlich ist
Auf der anderen Seite machen wir inzwischen aber auch ganz persönlich die Erfahrung, dass sich das Klima wandelt. Dass unerträgliche Hitze die verregneten Sommer unserer Kindheit abgelöst hat, dass Überschwemmungen und verdorrte Wälder nur zwei Folgen einer einzigen Katastrophe sind.
Dass es eben nicht selbstverständlich ist, dass Wasser aus dem Hahn fließt, dass wir nach Belieben duschen und den Garten wässern können. Wir lernen, dass Strom nicht einfach aus der Steckdose kommt, sondern produziert werden muss. Dass es der Umwelt schadet, wenn wir dafür Öl, Gas und Kohle in Kraftwerken verfeuern.
Das sind schmerzhafte Lernprozesse. Dieser Verlust von Selbstverständlichem ruft zwei gegenteilige Reaktionen hervor. Die einen verteidigen ihren Wohlstand mit Macht. Die Angst vor persönlichen Einschränkungen, das zeigt die Umfrage mehr als deutlich, ist uns viel näher als es die Sorge um ein kollabierendes Klima je sein könnte.
Die Rechtfertigungs-Gedanken im eigenen Kopf
Letzteres ist abstrakt und weit weg. Und dann wirbeln da diese Rechtfertigungs-Gedanken im Kopf herum: „Dagegen kann ich nichts tun. Woanders ist es schlimmer. Was hilft es, wenn ich eine Wärmepumpe kaufe und die anderen..?“ Sie kennen diese Ausflüchte.
Wer so denkt, ist empfänglich für AfD-ler, die das Blaue vom Himmel versprechen. Die sagen, dass der Klimawandel eine pure Erfindung sei. Dass wir Gas von Russland kaufen sollten, was geht uns die Ukraine an? Dass uns Regierungs-Ganoven alles wegnehmen wollen, unser Geld, unser gewohntes Leben und am Ende unsere Freiheit.
Auf der anderen Seite stehen Menschen, die in den Folgen des Klimawandels eine existenziell Bedrohung sehen. Die fürchten, dass wir – wenn wir weitermachen wie bisher – uns bald nicht mehr sorgen müssen um Gartenbewässerung, Urlaub oder Job, sondern nur noch ums nackte Überleben.
Klimaschützer und „Wohlstandsbewahrer“ scheinen sich unversöhnlich gegenüberzustehen. Muss das sein? Fest steht doch: Auch Menschen, die das Klima schützen wollen, wünschen sich Frieden, Freiheit und Wohlergehen. Sie sind nur überzeugt, dass der Kern allen Übels tiefer liegt, als es Parolen-Politiker hinausposaunen.
Was bei einem Leck im Boot am wichtigsten ist
In dieser Situation bräuchten wir ein neues Zeitalter der Aufklärung. Wir bräuchten Menschen, die überzeugend erklären: Unseren Wohlstand retten wir nur, wenn wir das Klima retten. Beides hängt zusammen. Was wir nicht brauchen, sind Weltuntergangs-Prediger und Scharfmacher, die unsere Gesellschaft spalten wollen. Kleinkariertes Parteiengezänk ist ein überholtes Relikt, das wir uns nicht länger leisten können.
Klimaschützer und Wohlstandsbewahrer sitzen im selben Boot. Wenn ein Boot ein Leck hat, ist es unsinnig, darüber zu streiten, wie lange man sich damit noch über Wasser halten kann. Sinnvoller ist es, das Leck zu stopfen – und zwar gemeinsam.