Wo die wilden Kerle wohnen Konwitschny inszeniert „Rheingold“ in Dortmund

Wo wilde Kerle wohnen
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Ein „Schöner wohnen“-Abo haben die Figuren in Peter Konwitschnys Inszenierungen von Wagners „Ring des Nibelungen“ alle nicht: Siegfried wuchs bei Mime in einem Containerdorf auf, Hunding und Sieglinde fristeten ein bescheidenes Dasein in einer Waldhütte. Im „Rheingold“ lässt der 69-jährige Regie-Altmeister die Götter wie Neandertaler in Lehmhütten und Tipi residieren und in Felljacken mit Keulen aufeinander losgehen: Dort, wo die wilden Kerle wohnen, bittet Wotan Geröllheimer an den Holztisch zum Met (Bühne und Kostüme: Jens Kilian).

Konwitschny würfelt die Reihenfolge der Tetralogie durcheinander; seine „Walküre“ und den „Siegfried“ haben wir schon gesehen. Aber wie Wotan dann in Konwitschnys „Walküre“ zu Neureichtum mit Luxus-Einbauküche gekommen ist, ist dem Regisseur offenbar völlig wurscht. Für ihn sind die vier Oper eigenständige Teile.

Kapitalismus und Atom

Und damit unterhält er glänzend; das „Rheingold“ waren am Himmelfahrtstag zweieinhalb kurzweilige Stunden. Im zu 97 Prozent ausverkauften Dortmunder Opernhaus gab es Buhs für die Regie, aber überwiegend großen Jubel.

Dem Regisseur geht es um die Natur (und immer wieder fällt der Ast der Weltesche), um Konsum- und Kapitalismus-Kritik. „Falsch und feig ist, was dort oben sich freut!“, steht auf Transparenten und Zetteln, die ins Publikum fliegen, in dem auch „die da oben“ sitzen, denen Konwitschny den Spiegel vorhält. Und er recycelt auch nachhaltig: Auf der Leiter, auf der sich Siegmund und Sieglinde nahe kamen, klettern nun die Rheintöchter.

Das Gold, das sich der zauselige Rhein-Angler Alberich in Form eines glänzenden Tuchs schnappt und damit unter die Bühnendecke fliegt (optisch eindrucksvoll!) besteht später aus einem Hort von Atomraketen. Aber die Handelsware von Wotan und den Walhall-Bauer-Riesen bleibt ein Ring; da ist Konwitschny konservativ.

Sein Nibelheim ist ein Loft-Labor in einer Wolkenkratzer-Schlucht – mit Atom kann man wohl reich werden. Die Götter gehen später daran zugrunde, sitzen am Schluss im Rollstuhl, hängen am Tropf, den die Rheintöchter-Krankenschwestern nachfüllen. Dass Freia ihr Entführungsdrama oder die Atom-Verseuchung nicht überlebt, wundert Wagnerianer seit dem letzten Bayreuther „Ring“ nichts mehr.

Das Bühnenbild zeigt Nibelheim, ein Atom-Labor, in dem Alberich reich geworden ist.
Nibelheim ist ein Atom-Labor, in dem Alberich (Joachim Goltz) reich geworden ist. © TMJ

Viel Humorvolles ist Konwitschny eingefallen: Erda vagabundiert mit einer großen Kinderschar (der stumme Opernkinderchor) auf die Bühne, aber die Verwandlungsszene in Nibelheim ist unkreativ. Da hat Alberich ein Tablet in der Hand, mit dem man prima Illusionen schaffen könnte, aber mehr als Schattentheater ist Konwitschny nicht eingefallen.

Die Dortmunder Philharmoniker unter Leitung von Generalmusikdirektor Gabriel Feltz sind das musikalische Gold der Premiere. Aus dem Nichts bringen sie die Musik zum Wogen, glänzendes Blech hört man aus dem Graben und Feltz bringt die Musik zum Glühen und Lodern.

Zwerg Alberich ganz groß

Joachim Goltz ist als Alberich – noch vor Tommi Hakala als Wotan – der herausragende Solist in dem Ensemble, das durchweg hochkarätig und mit vielen hauseigenen Solisten besetzt ist. Groß ist auch der Fafner von Artyom Wasnetsov, und Matthias Wohlbrecht zeigt an der Zigarettenspitze ziehend als Loge sehr schön die Dekadenz der Götter – selbst in der Jurte.

Konwitschnys „Götterdämmerung“ kennen wir: Das wird eine Übernahme seiner Inszenierung aus dem Jahr 200 in Stuttgart sein. Und (Achtung Spoiler): Da werden wir das Bärenfell wiedersehen.