„Wir lassen uns verführen“ Anita Horn im Interview: So kann man dem „Winterspeck“ vorbeugen

„Wir lassen uns verführen“: So kann man dem „Winterspeck“ vorbeugen
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Anita Horn ist Buchautorin, Journalistin und Food-Coach. Mit uns spricht sie über schlechte Ess-Gewohnheiten, leckere Gurken-Snacks und kleine Bewegungsinseln.

Anita Horn kennt sich auch mit dem Thema Bewegung aus. Als leidenschaftliche Sportlerin ist sie viel draußen.
Anita Horn kennt sich auch mit dem Thema Bewegung aus. Als leidenschaftliche Sportlerin ist sie viel draußen. © JORICS J. Riese Creative Studio

Jedes Jahr im Herbst bekomme ich riesigen Appetit auf Süßes, Deftiges und Fettiges - diese ganzen ungesunden Dickmacher. Woran liegt das? Ist das so ein Urinstinkt, der mir sagt: „Iss dich mal lieber jetzt satt, wenn es noch was gibt, und präpariere dich für den langen, harten Winter!“?

Die Genetik, die Evolution, spielt da sicherlich auch eine kleine Rolle. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das Ganze auch gesellschaftlich gemacht wird: Uns werden jetzt wieder Weihnachtssüßigkeiten im Supermarkt untergejubelt, wir kriegen andere Werbung vorgesetzt. Darüber hinaus haben wir natürlich Gewohnheiten und gibt es Traditionen, die über Jahre und Jahrzehnte entstanden sind und die eben besagen, dass es in den dunkleren Monaten hier und da mal die eine oder andere Schlemmerei gibt. Außerdem bewegen wir uns jetzt weniger. Und wenn der Organismus herunterfährt, neigt man oft dazu, aus Langeweile zu essen. So nach dem Motto: „Wenn ich hier eh schon zu Hause herumsitze...“

Im Herbst und Winter geht es ja oft auch mit der Stimmung bergab: Die Tage werden kürzer, das Sonnenlicht fehlt. Da komme ich schon auch mal auf die Idee, mir gute Laune übers Essen zu holen, mich zu belohnen - und dabei denke ich dann nicht an Obst oder Gemüse.

Ja, das passiert wohl eher selten, dass man sagt: „Ich habe jetzt Appetit - also gönne ich mir mal so eine richtig leckere Gurke.“ Wobei man sich mit Gurken tatsächlich ganz tolle Snacks machen kann. Aber ich bin da sowieso irgendwie anderes: Mich kann man im Winter mit diesem ganzen typischen Süßkram wie Lebkuchen oder Waffeln mit heißen Kirschen nicht locken. Vielleicht habe ich Glück, dass mich das nicht so interessiert. Aber ich glaube, dass das auch gelernt ist: Ich weiß einfach, dass mir ein gutes, scharfes Curry besser schmeckt, dass es mich von innen wärmt und länger satt hält.

Ich weiß auch gar nicht, ob „Belohnen“ hier der richtige Ausdruck ist. Ich glaube, es geht eher um Gewohnheiten, Zeitvertreib, Langeweile: Man ist eben mehr zu Hause, sitzt vielleicht abends ein bisschen früher vorm Fernseher und hat dann einfach auch die Sachen da, die einem im Supermarkt vor die Füße fallen. Wir lassen uns im Prinzip verführen von den ganzen ungesunden Dingen, die der Lebensmittelindustrie eine Menge Geld einbringen. Wenn man das versteht und weiß, was eigentlich viel leckerer ist - und das dann auch zu Hause hat -, ist es eigentlich gar nicht so schwer, auf Plätzchen oder Chips zu verzichten. Ich mache mir zum Beispiel gerne Blumenkohl mit Zimtsauce oder -pulver. Das hat auch etwas herbstliches oder weihnachtliches, befriedigt meine Gelüste, macht satt - und trotzdem habe ich noch das Gefühl, mir etwas Gutes getan zu haben.

Aber heißt es nicht auch, dass man auf seinen Körper hören soll? Kann er nicht auch recht haben, wenn er mir sagt, dass er jetzt Süßes, Deftiges oder Fettiges will?

Ja, das kann er. Definitiv. Aber das Problem ist, dass wir dann halt nicht nur ein Stück Schokolade essen oder eine Handvoll Chips, sondern meistens die ganze Tafel oder die ganze Tüte. Natürlich kann der Körper nach etwas schreien. Aber was ist das denn am Ende? Zucker, irgendetwas Fettiges oder Salziges - also selten etwas, das unserem Körper ernsthaft fehlt. Es sind eher die Gewohnheiten, die da nach etwas schreien, die Langeweile, der Stress oder das gemütliche Beisammensein. Ein Klassiker geht ja so: Man sitzt im Büro und arbeitet und dann kommt das Tief - und dann ist es einfach eine Gewohnheit, dass man sich einen Kaffee mit Milch und Zucker holt, ein süßes Teilchen und dann vielleicht noch Weingummi aus der Schublade. Und es ist sicherlich nicht so, dass der Körper das, was im Weingummi steckt, dringend braucht. Ich sage mal so: Wenn die Basis stimmt, wir zu 80 oder 85 Prozent gesund essen - viel Gemüse, viel Vollkorn, Hülsenfrüchte -, und wir dann solche Gelüste stillen, ist das total in Ordnung. Aber wenn jetzt mein Körper dummerweise jeden Tag lauthals nach Schokolade und Chips oder in der Adventszeit Gebäck ruft, ist das anders - und dürfte das eher selten etwas damit zu tun haben, dass ihm irgendwelche Mineralstoffe fehlen.

Hat denn die Gewichtszunahme in den dunklen Monaten - der Winterspeck - eher mit der Ernährung zu tun oder damit, dass man sich weniger bewegt?

Sowohl als auch. Die wenige Bewegung plus ein Zuviel an Kalorien ergibt natürlich eine sehr explosive Mischung. Ein Problem dabei ist auch, dass die wenigsten von uns noch ernsthafte Essenspausen einlegen, wir snacken den ganzen Tag, der Körper hat nie Pause. Aber immer, wenn wir etwas zu uns nehmen, entsteht Blutzucker, Insulin wird ausgeschüttet. Und immer wenn Insulin im Blut arbeitet, wird die Fettverbrennung gehemmt. Das heißt, am Ende ist dieses Mehr an Kalorien sogar doppelt schlimm. Wenn wir zu viel essen, das nicht durch Bewegung verarbeiten und dann noch zwischendurch immer so eine Kleinigkeit zu uns nehmen, sind das drei Faktoren, die ganz von alleine für eine Gewichtszunahme sorgen. Um dagegen anzugehen, finde ich es hilfreich, wirklich mal eine Woche aufzuschreiben: Was esse ich? Wann esse ich? Und vor allem auch: Was und wann trinke ich? Weil viele ja sagen: „Ist ja nur ein Smoothie“ oder „Ist ja nur ein Milchkaffee“ oder „Ist ja nur das eine kleine Bierchen“. Denn diese Dinge haben natürlich genauso Einfluss auf den Blutzuckerspiegel wie Essen auch. Mal so einen Status Quo zu erheben, wäre total wichtig. Und dann könnte man sich für die Herbst- und Weihnachtszeit ja vornehmen: Okay, am Wochenende darf geschlemmt werden - man gönnt sich also so eine Art Sonntagsbraten -, aber unter der Woche esse ich gesund. Damit man dann nicht im Januar dasteht und denkt: „Ach ja, schon wieder der gleiche Mist.“

Das Rezept für dieses gesunde Thaicurry ist in Anitas Horn Buch „Is(s) gut jetzt!“ zu finden.
Das Rezept für dieses gesunde Thaicurry ist in Anitas Horn Buch „Is(s) gut jetzt!“ zu finden. © Jörg Riese

Und welche Rolle spielt die Bewegung, mit der es in der dunklen Jahreszeit ja nicht so einfach ist?

Wenn wir es schaffen, die zusätzlichen Kalorien wirklich zu verarbeiten - indem wir unsere 10.000 Schritte am Tag gehen, vielleicht laufen oder schwimmen - und eben nicht diese zusätzlichen Pfunde ansetzen, die wir dann ab Januar hektisch wieder abzutrainieren versuchen, ist ja alles in Ordnung. Zumal ich persönlich, wenn ich mich bewege, auch automatisch mehr Lust auf gesunde Sachen habe.

Aber wer feste Büro- oder Arbeitszeiten hat und in den nächsten Monaten draußen aktiv sein möchte, dem bleibt oft nur eine bewegte Mittagspause: Ich empfehle einen strammen Spaziergang. Und dann kann man natürlich versuchen, morgens oder abends ins Fitnessstudio oder Schwimmbad zu gehen und dort dann 30 Minuten wiederum stramm etwas zu machen. Überhaupt helfen kleine Bewegungsinseln im Alltag mehr, als wenn ich irgendeinen Kurs besuchen will, für den ich am Ende mit Umziehen und allem Pipapo zwei Stunden brauche. Das schafft man oft nicht. Sich zwischendurch mal eine halbe Stunde Zeit zu nehmen, aber schon. Wenn man am Handy herumspielen möchte, geht das ja auch.

Sie kommen in den nächsten Monaten zweimal in Ihre alte Heimat Waltrop. Am 6. Februar reden Sie bei „Menschen bei Mittelbach“ über Bewegung und Ernährung und am 3. April stellen Sie auf Einladung der VHS Ihr Buch „Is(s) gut jetzt!“ vor. Gesunde Ernährung ist Ihr großes Thema.

Ja, und es gibt so tolle Möglichkeiten, sich gesund zu ernähren, ohne dass jetzt irgendwie alles nur „öko“ und „grün“ und was weiß ich nicht ist. Schlemmen steht für mich schon auch hoch im Kurs. Ich bin Stier vom Sternkreis, eine absolute Genießerin. Ich esse auch gerne viel. Und wenn man sich dann entsprechend bewegt, kann man sich das eigentlich auch ganz gut erlauben. Und wenn man über den Winter zwei, drei Kilo zunimmt, die man dann im Sommer wieder verliert, ist das ja auch in Ordnung, auch ein Stück weit normal. Aber ich finde, es sollte nicht ausarten, weil es dann irgendwann einfach schwierig wird, die Pfunde wieder loszuwerden - und es für den Körper zur puren Belastung wird. Also zu viel Zucker, diese ganzen Farbstoffe und alles, was sonst noch in diesen ungesunden Klamotten drin ist, tun uns auf Dauer nicht gut. Die Quittung dafür kriegen wir oft erst Jahre später.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 6.10.2024

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Anita Horn

Anita Horn, Jahrgang 1982, ist in Waltrop aufgewachsen, hat am THG ihr Abitur gemacht. Sie arbeitet als Buchautorin, Journalistin und Food-Coach. Ihr aktuelles Buch „Is(s) gut jetzt!“ ist im April erschienen. Darin befasst sie sich u. a. mit den Tricks und Kniffen der Lebensmittelindustrie. Und vertritt die These, dass Gesundheit kein Zufall ist, sondern sie jeder in seiner Hand hat - bzw. auf seinem Teller. Anita Horn ist auch leidenschaftliche Sportlerin, macht seit 2013 Triathlon. Anfang Oktober nimmt sie am Ultraswimm 333 teil, einem Etappen-Langstreckenschwimmen über vier Tage in Montenegro.

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