Vize-Landrat Martin Wiggermann lässt mit einem dringenden Appell aufhorchen. Bei der Aktivierung und Vermittlung von Bürgergeld-Beziehern in Arbeit müsse mehr getan werden. „Ich habe die Sorge, dass die Jobcenter zu einer Art Verwahranstalt werden“, so der SPD-Politiker aus Kamen.
Martin Wiggermann ist mit einer vierjährigen Unterbrechung seit 2005 Vorsitzender der Trägerversammlung des Jobcenters Kreis Unna, das neben dem Kreis von der Agentur für Arbeit Hamm getragen wird.
Jobcenter muss Fördermaßnahmen beschneiden
Wiggermann, der auch Mitglied der SPD-Fraktion im Kreistag ist, knüpft daran an. Es müsse immer mehr Geld, das dem Jobcenter vom Bund zur Verfügung gestellt wird, in den Verwaltungshaushalt verschoben werden, weil auch die Personal- und andere Kosten der Behörde stiegen.

„Es sind grundsätzlich Millionen, die uns fehlen. Wir können damit keine aktive Arbeitsmarktpolitik machen“, warnt Wiggermann im Gespräch mit dieser Redaktion. Aktive Arbeitsmarktpolitik sei personalintensiv.
Die Zahl der Empfänger von Bürgergeld war vor allem im vergangenen Jahr im Kreis Unna auch wegen der Anspruchsberechtigten aus der Ukraine gestiegen. Uwe Ringelsiep hatte vor wenigen Wochen auch darauf hingewiesen, dass jeder Arbeitsvermittler des Jobcenters rechnerisch 400 Kundinnen und Kunden zu betreuen habe – also theoretisch 20 Gespräche am Tag zu führen hätte.
Diese Quote sei nicht hinnehmbar, findet Martin Wiggermann. Langzeitarbeitslose seien nur dann für den Arbeitsmarkt aktivierbar, wenn man ihnen eine adäquate Stelle anbieten könne.
Kaum offene Stellen für gering Qualifizierte
Offene Stellen müssten aber gerade in einem Segment mit vielen schwach oder gar nicht qualifizierten, noch zumal vielen Menschen ohne Schulabschluss oder Berufsausbildung, erst einmal akquiriert werden.
Vermittlung heiße nichts anderes, als Arbeitnehmer und Arbeitgeber „aktiv“ zusammenzubringen. „Dazu muss ich aber als Vermittler Arbeitgeber auch persönlich kennen“, so Wiggermann, der früher selbst als Arbeitsvermittler tätig war. Es gehe also um eine Art Klinkenputzen bei Unternehmen.
Fakten aus dem Jobcenter Kreis Unna
- Die Trägerversammlung des Jobcenters Kreis Unna setzt sich aus sechs stimmberechtigten Vertretern der Vertragspartner zusammen. Davon benennen jeweils drei Mitglieder die Agentur für Arbeit Hamm sowie der Kreis Unna.
- Die Trägerversammlung bestimmt die strategischen Leitlinien des Jobcenters Kreis Unna im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und Zielvorgaben des Bundes.
- Ein Ziel des Jahres 2024 ist die Vermeidung von langfristigem Leistungsbezug. Verstanden werden darunter Leistungsbezieher, die in den vergangenen 24 Monaten mindestens 21 Monate im Leistungsbezug waren.
- Im September 2024 waren im Kreis Unna 24.557 Menschen arbeitssuchend (minus 1,7 Prozent im Vergleich zu August 2024) und 15.733 Menschen arbeitslos (minus 4,0 Prozent) gemeldet. Langzeitarbeitslos, also länger als zwölf Monate arbeitslos, waren davon 6.029 Personen (38,3 Prozent).
- Im September 2024 gab es folgende Leistungsberechtigte im Kreis Unna: 4.430 Bezieher von Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, 23.687 erwerbsfähige Leistungsberechtigte, 8.926 nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte, 17.063 Bedarfsgemeinschaften (Haushalte mit Bürgergeld). Bestand an offenen Stellen im September: 2.863.
„Ich habe selbst eine Zeitlang Schwerbehinderte vermittelt, für die es auch keine Stellen gibt. Da bin ich getingelt“, schildert Wiggermann. Wie schwierig es sei, passende Stellen für gering qualifizierte oder lange nicht mehr im Berufsleben stehende Menschen zu finden, habe eine gemeinsame Episode mit der Bundesagentur für Arbeit gezeigt.
Ein zwischenzeitlich gemeinsam betriebener Arbeitgeber-Service von Jobcenter und Agentur habe nahezu ausschließlich Stellen für die Kurzzeitarbeitslosen, also Kunden der Agentur, eingebracht.
Job-Turbo soll für alle Arbeitslosen erhalten bleiben
Da Betriebe oft keine konkreten Stellenangebote mit geringen Anforderungen ausschrieben, seien die persönlichen Kontakte zu den Personalchefs oft Gold wert. Aus solchen Gesprächen seien schon häufig Stellen herausgekommen, indem zum Beispiel einzelne Tätigkeitsfelder zu einem Arbeitsplatz zusammengelegt wurden.
Es gehe dann aber sicherlich auch nicht ohne Fördermittel, die man Arbeitgebern anbieten können müsse, damit sie Langzeitarbeitslosen eine Chance für den Wiedereinstieg in ihrem Unternehmen geben.
Ein internes Problem der Jobcenter sei, dass über die Jahre diese aktive Vermittlungsarbeit nicht mehr geschult worden sei. „Wir brauchen wieder mehr Außendienstmitarbeiter“, fordert Martin Wiggermann.
Der „Job-Turbo zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten“, den das Bundesarbeitsministerium vor einem Jahr vorgestellt hat, sei „ganz wichtig“, sagt Wiggermann. Vor allem wegen des wieder verstärkten Einsatzes von Arbeitsvermittlern. „Diese Truppe wollen wir nach wie vor haben“, fordert der Chef der Trägerversammlung. Was aus dem Job-Turbo wird, ist allerdings offen.
1000-Euro-Prämie für Langzeitarbeitslose „ein Witz“
Er wende sich aus einem weiteren Grund an die Öffentlichkeit, so Martin Wiggermann: Den überwiegenden Teil der Bürgergeld-Bezieher sehe er in ein schiefes Licht gerückt. „Ich bekomme da immer das kalte Frieren, wenn in Talkshows gesagt wird, wer angeblich alles nicht arbeiten will“, kritisiert der Kamener. Das Jobcenter hatte schon vor einiger Zeit offengelegt, wie viele Menschen im Kreis Unna angebotene Arbeit ablehnen.
Hinter dem Postulat „Fördern und fordern“ stehe er voll und ganz. Fordern könne man Arbeitslose aber nur, wenn man ihnen auch Angebote mache. Er sage als Sozialdemokrat aber ausdrücklich auch: „Es gibt kein Recht auf Faulheit.“ Ungerecht sei es aber, die Mehrheit mit der kleineren Zahl von Arbeitsunwilligen über einen Kamm zu scheren.
Der Großteil der Arbeitslosen wünsche sich vielmehr, dass ihr Leben durch Arbeit wieder sinnvoll ausgefüllt wird. Von einer 1000-Euro-Prämie für Langzeitarbeitslose, die einen Job annehmen, halte er daher auch überhaupt nichts. Martin Wiggermann: „Das ist ja ein Witz. Man unterstellt damit, dass man nur wegen der Prämie arbeiten will.“