Warum sind so viele Männer unter den Badetoten? 80 Prozent der Badetoten sind männlich

Warum sind so viele Männer unter den Badetoten?: 80 Prozent der Badetoten sind männlich
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Mit den heißen Wochen kamen in diesem Jahr erneut Meldungen über in Seen und anderen Gewässern ertrunkenen Menschen. Am vergangenen Wochenende gab es mindestens vier Badetote, weitere Unfälle in Gewässern gingen gerade noch glimpflich aus.

Mit den Badeunfällen kommen auch die Fragen auf: Wie kam es dazu? Sind das alles Nichtschwimmer? Oder Alkoholisierte? Und wie konnte es zu dem Unglück kommen? Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) schlüsselt jedes Jahr auf, wie viele Menschen ertrunken sind, wo sie herkamen, wie alt sie waren, welches Geschlecht sie hatten, und auch wo sie ertranken. Es gibt zwar Erklärungsansätze, warum Menschen ertrinken, aber nicht immer eindeutige Antworten.

355 Badetote im vergangenen Jahr

Während für das Jahr 2023 und die gerade begonnene Badesaison noch keine aktuellen Zahlen vorliegen, gibt es ausführliche Auswertungen für das vergangene Jahr und die vorhergehenden. Demnach ertranken 2022 mindestens 355 Menschen. Das waren 19 Prozent mehr als im Vorjahr. In absoluten Zahlen sind das 56 Todesfälle mehr als 2021. Allerdings lässt sich daraus noch keine jahresübergreifende Entwicklung ablesen, denn es war der erste Anstieg seit vier Jahren, wie die Präsidentin der DLRG, Ute Vogt, erklärte. Gegenüber dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre gab es 2022 unterm Strich 16 Prozent weniger Opfer.

Zahl der Badetoten insgesamt rückläufig

Zurückzuführen ist der Anstieg 2022 laut Vogt auch auf die Pandemieeinschränkungen der vorherigen Jahre: „Während des langen warmen Sommers ohne nennenswerte corona­bedingte Einschränkungen sind die Menschen wieder mehr in zumeist unbewachten Seen und Flüssen schwimmen gegangen. Damit stieg auch das Risiko für Unfälle“, sagte sie über die Entwicklung 2022. Die meisten der Badetoten in dem Jahr starben in den Sommer­monaten Juni, Juli und August.

Die meisten Opfer im Sommer

Auch wo die meisten Menschen ertrinken, lässt sich mithilfe der DLRG-Statistik gut beantworten. „Mit deutlichem Abstand ereignen sich die meisten tödlichen Unfälle in nicht bewachten Gewässern, vor allem in Seen und Flüssen“, so ein Sprecher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) bei der Vorstellung der Bilanz für 2022. In Seen waren es 147 Menschen, in Flüssen 105. Die wenigstens ertranken im Schwimmbad – und dennoch gab es auch dort 13 Fälle, ein Anstieg zum Vorjahr. Und auch im Meer, was manche für gefährlicher als etwa Seen halten, ertranken mit 18 verhältnismäßig wenige Menschen.

Die meisten ertrinken in Seen

Nicht nur Kinder, die nicht oder nicht gut schwimmen gelernt haben, sterben im Wasser. Es sind Menschen aller Altersgruppen. Mit 20 Badetoten zwischen null und zehn Jahren und 26 Gestorbenen zwischen elf und 20 Jahren machten diese beiden jungen Altersgruppen lediglich 12,96 Prozent aller Badetoten 2022 aus. Der größte Anteil findet sich mit 48 Toten unter den 51- bis 60-Jährigen, gefolgt von 45 Ertrunkenen unter den 71- bis 80-Jährigen.

Badetote in allen Altersgruppen

Trotzdem sind keine oder nur geringe Schwimmfähigkeiten immer wieder der Grund für das Ertrinken von Menschen, sagt Martin Holzhause, Pressesprecher der DLRG, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Menschen, die nicht oder schlecht schwimmen gehen, wollen sich manchmal nur etwas abkühlen, geraten dann aber an eine Abbruchkante oder tieferes Wasser und ertrinken.“ Zudem gerieten sie wegen ihrer mangelnden Schwimm­fähigkeiten oft schneller in Panik, was auch zu einem schnelleren Untergehen führe.

Seit der Pandemie gebe es auch vermehrt Nichtschwimmer auf Stand-up-Paddleboards, die dann ins Wasser fallen und sich nicht retten können, berichtet Holzhause. Bei Menschen, die schwimmen können, sei beispielsweise das Unterschätzen von Strömungen ein Grund für das Ertrinken, außerdem auch Herz-Rhythmus-Störungen durch einen Kälteschock im Wasser. Letzteres passiere oft bei älteren Menschen, die an sich gut schwimmen könnten, aber dann wegen gesundheitlicher Probleme ertrinken.

80 Prozent der Badetoten sind männlich

Was manch einen überraschen könnte: Der Anteil der männlichen Badetoten ist über alle Altersgruppen hinweg mit 80 Prozent sehr hoch. In Zahlen bedeutet das: Im vergangenen Jahr starben 284 Personen männlichen Geschlechts, 62 weiblichen Geschlechtes und neun Personen, bei denen das Geschlecht unbekannt ist.

Mehr Männer unter den Opfern

„Schon seit mehr als 20 Jahren, seitdem wir die Statistik führen, ist jedes Jahr ein Großteil der Badetoten männlich“, sagt DLRG-Sprecher Holzhause dazu. Doch wie lässt sich das erklären? „Männer sind oft weniger risikobewusst und dafür risikofreudiger“, meint er. Dazu komme, dass gerade junge Männer auch immer wieder nach Alkoholkonsum ins Wasser gingen.

Gehen Männer mehr unnötige Risiken ein?

Dass Risikofreude ein maßgeblicher Faktor ist, sieht nicht nur der DLRG-Sprecher so: „Grundsätzlich kann man schon aus der Männlichkeitsforschung sagen, dass ein erhöhtes Risikoverhalten bei Männern stärker verbreitet ist. Bei männlichen Jugendlichen sehr stark, und bei jungen Männern und Männern insgesamt auch stärker als bei Frauen“, sagt Sozialpsychologe Prof. Rolf Pohl von der Leibniz Universität Hannover dem RND. Er befasst sich seit Jahren mit Männlichkeits- und Geschlechterforschung.

Gerade mit Blick auf männliche Jugendliche spricht er von „Abenteuerlust, Risikoverhalten, Risikobereitschaft und Mutproben“. Das werde in der Geschlechterforschung auch als Versuch der Erlangung von Männlichkeit bezeichnet. „Damit ist ein gewisses Risiko behaftet, weil damit tendenziell eine Überschätzung der eigenen Fähigkeiten einhergeht“, erklärt er. Was im schlechtesten Fall mit dem Tod enden kann.

„Die Jungs, jungen Männer oder Männer identifizieren sich sehr stark mit dem Bild von dem stärkeren, überlegeneren, mutigeren, unternehmenslustigeren, aktiveren Geschlecht. Dieses Bild ist bei uns nach wie vor kulturell und gesellschaftlich sehr stark verbreitet und wird auch immer wieder neu erworben und verinnerlicht von den heranwachsenden, jungen Männern.“ Das sei immer noch der Fall, obwohl sich gleichzeitig geschlechterpolitisch in den vergangenen Jahrzehnten viel getan habe – Pohl nennt etwa die Einführung der Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe und die Abschaffung des alleinigen Bestimmungsrechts des Mannes über Ehefrau und Kinder.

Der Druck, seine Männlichkeit zu beweisen

Dieses Risikoverhalten weise auch ein Stück weit darauf hin, dass Männlichkeit in unserer Gesellschaft ein Problem sei, so Pohl. „Also dass es immer noch ein vorherrschendes Bild von Männlichkeit gibt, das mit diesen Tugenden was zu tun hat und das danach drängt, bestätigt zu werden. Besonders wenn es in eine Krise gerät oder glaubt, in eine Krise geraten zu sein, wird der Druck, Männlichkeitsbeweise zu entwickeln, größer.“

Mit der Verunsicherung werde oft nicht umgegangen, in dem gesellschaftliche Lösungen gesucht würden. „Viele machen stattdessen die Frauen, den Feminismus und die gleich­stellungs­politischen Fortschritte verantwortlich dafür“, sagt er. Daraus resultiere dann das Gefühl, die Männlichkeit sei in Gefahr und müsse bewiesen werden – etwa durch die Suche eines hohen Risikos, was im schlimmsten Fall zum (Ertrinkungs-)Tod führt. „Dieser Druck ist bei Mädchen und Frauen nicht so stark ausgeprägt.“

„Dieses Muster, dass Männlichkeit sich unter Beweis stellen muss, ist die Ursache für die erhöhte Risikoneigung von Männern und die bleibt auch im höherem Alter“, so Pohl. „Dann kommt der Aspekt dazu, dass man möglicherweise seine körperliche Leistungsfähigkeit oder seine Grenzen falsch einschätzt.“

RND

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