Warnhinweise auf Bier, Wein und Schnaps wie bei Tabak? Alkoholmissbrauch bekämpft man anders

Warnhinweise auf Bier, Wein und Schnaps wie bei Tabak?: Alkoholmissbrauch bekämpft man anders
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Ulrich Breulmann

Wir warnen uns zu Tode. Neuestes Beispiel: Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, fordert: Auf Bier, Wein und Schnaps sollen Warnhinweise gedruckt werden, wie sie schon seit Oktober 2003 bei Zigaretten verpflichtend sind.

Sind solche Warnhinweise sinnvoll? Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages untersuchte die Frage schon 2017 für Warnhinweise auf Tabakwaren und urteilte über deren Wirksamkeit: Die Frage sei in Bezug auf Schockbilder in vielen Studien untersucht worden – ohne eindeutiges Ergebnis. Andere Faktoren könnten eine größere Rolle spielen wie etwa höhere Preise, hieß es. Warum sollte es beim Alkohol anders sein?

Richtig ist, dass schon lange vor der Einführung der Schockbilder die Zahl der Raucher stark gesunken ist. 2000 lag ihre Zahl in Deutschland noch bei 22,2 Millionen. 2025, so zitiert das Statistikportal Statista die Weltgesundheitsorganisation WHO, werde die Zahl der Raucher in Deutschland auf 16,2 Millionen sinken. Dieser Rückgang dürfte kaum in erster Linie den Schockbildern zu verdanken sein.

1975 trat das Werbeverbot für Zigaretten im Rundfunk und Fernsehen in Kraft und wurde seither immer weiter ausgedehnt. Bis dahin lag der Pro-Kopf-Verbrauch pro Jahr noch bei 2.566 Zigaretten, dreimal so hoch wie heute (824).

Eine deutlich größere Rolle beim Rückgang als die Warnhinweise dürfte der Preis spielen. 2002 kostete eine Zigarette im Schnitt 15,8 Cent. Heute sind es 35 Cent. Trotzdem sind Zigaretten in Deutschland im weltweiten Vergleich noch immer günstig.

Statista hat 2024 den Preis für eine Schachtel Marlboro mit 20 Zigaretten verglichen. Der Preis in Deutschland: 8,20 Euro. Viel teurer ist eine Schachtel etwa in Australien (28 Euro), Irland (16 Euro) und Großbritannien (15,98 Euro).

Die Wirkung ist enorm: Die Zahl der Raucher hat sich in Australien in den vergangenen 20 Jahren halbiert. Der Griff an den Geldbeutel funktioniert also, Warnhinweise tun dies eher nicht. Warum sollte man beim Alkohol nicht daraus lernen?

Fest steht: Alkohol ist ähnlich schädlich wie das Rauchen. Die WHO berichtete Mitte 2024 von jährlich 2,6 Millionen Menschen, die an den Folgen von Alkoholmissbrauch sterben. Für Deutschland geht man von 40.000 Todesfällen im Jahr aus, von den mehr als 1,5 Millionen Alkoholikern hierzulande reden wir erst gar nicht.

Und da sollen Warnhinweise helfen? Ich zweifle. Wie bei Zigaretten halte ich neben einem echten Werbeverbot vor allem zwei Maßnahmen für erfolgversprechender: Erstens müsste der Zugang zu Alkohol erschwert werden. In Norwegen, Finnland und Schweden ist Alkohol ab einem bestimmten Alkoholgehalt nur in speziellen Läden und erst ab 18 Jahren zu kaufen. In den USA geht ohne Ausweiskontrolle für unter 21-Jährige nicht ein Bier über den Tisch.

Der zweite Hebel ist der Preis. In vielen Staaten ist Alkohol deutlich teurer als bei uns, etwa in Norwegen, Dänemark und Irland. Also: Werbeverbot, Zugang beschränken und höherer Preis. Das wären drei sinnvolle Schritte gegen den Alkoholmissbrauch.

Der Handlungsbedarf ist groß. Das sieht übrigens auch die Mehrheit der Deutschen so. Laut einer vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Auftrag gegebenen Umfrage von 2023 sprechen sich 64 Prozent für ein Werbeverbot für Alkohol aus. 70 Prozent sind dafür, dass Menschen unter 18 Jahren Alkohol weder kaufen noch konsumieren dürfen.

Im Juli stellte die WHO fest, dass weltweit im Schnitt jeder Mensch ab 15 Jahren pro Jahr 9,2 Liter an reinem Alkohol trinke. In Deutschland liegt der Wert sogar bei 12,2 Litern. Das wären 488 große Bier pro Kopf, hat das ZDF errechnet. Vor Deutschland liegen in Europa nur Lettland (13,1), Tschechien (13,3), Georgien (14,3) und Rumänien (17,0). Nichts, worauf wir stolz sein sollten.

Und da sollen uns Warnhinweise den Griff zur Flasche vergällen? Wer glaubt denn sowas? In einer Studie für das Bundes-Gesundheitsministerium empfehlen die Wissenschaftler 2023 „ein vollständiges Marketingverbot“. Folgen hatte dieser Ratschlag bis heute nicht. Die Alkohol-Lobbyisten haben sehr, sehr großen Einfluss.

Der Generaldirektor der WHO fordert „mutigere Maßnahmen gegen den Alkoholkonsum“, wobei er Werbeverbote, Verkaufsbeschränkungen und hohe Preise als wirksame Mittel nennt. Von Warnhinweisen spricht er nicht.

Mich erinnert die Diskussion um Warnhinweise auf Alkoholika an die Verkehrszeichen mit Ausrufezeichen und dem Hinweis „Straßenschäden“. Jedes Mal denke ich: Stellt keine Schilder auf, repariert endlich die Straße! Die Schilder sind doch nur ein Alibi zur Vermeidung von Schadenersatzklagen. Sie beseitigen kein einziges Schlagloch.

Beim Alkohol gilt ebenso: Warnt nicht länger, sondern verteuert den Sprit, erschwert den Zugang und stoppt die Werbung. Das wird nicht alle Probleme lösen, wäre aber ein kluger Anfang.