„Ich habe meine Frau getötet“ Leiche im Kanal - erst Freispruch, dann neun Jahre Haft

Leiche im Dortmund-Ems-Kanal: Erst Freispruch, dann neun Jahre Haft
Lesezeit

„Es ist immer der Ehemann“, den Spruch haben unzählige True-Crime-Fans bereits das ein oder andere Mal gehört. Denn die meisten Mordfälle sind Beziehungstaten. Ermittler schauen sich zuerst innerhalb der Familie nach einem potenziellen Täter oder einer Täterin um und fragen sich: Wer hatte ein Motiv? Das bestätigt auch Gerichtsreporter Jörn Hartwich.

Er behandelt gemeinsam mit Kollege Martin von Braunschweig und den Moderatorinnen Alicia Theisen und Nora Varga in dem Podcast „Ohne Bewährung – True Crime von hier“ die spannendsten Kriminalfälle in und um Waltrop. Die Folge „Ich habe meine Frau getötet“ erschien am 30. August 2022 und beschäftigt sich mit einer Frauenleiche im Dortmund-Ems-Kanal.

Gerichtsreporter Jörn Hartwich.
Jörn Hartwich hat den Prozess als Gerichtsreporter begleitet. Bis zur Urteilsverkündung habe es Monate gedauert. © Archiv

„Ein Bild, das man so schnell nicht aus dem Kopf bekommt. Der Fall hat für viel Entsetzen bei uns in der Region gesorgt“, beschreibt Theisen das Ende einer unglücklichen Ehe. Am 10. Juni 2015 haben Spaziergänger eine Leiche – mit dem Kopf im Wasser liegend – im Dortmund-Ems-Kanal bei Waltrop entdeckt. Schnell ist klar: Es handelt sich um eine 25-jährige Frau aus Oer-Erkenschwick, Mutter einer achtjährigen Tochter.

Sie wurde umgebracht und erst zwei Tage nach ihrem Tod von der Oberwieser Brücke in den Kanal geworfen. Erst dreieinhalb Jahre nach der Tat – am 9. November 2018 – hatte das Landgericht Bochum ein endgültiges Urteil gefällt. Denn die Beweislage war äußerst dünn.

Ein Angeklagter, zwei Prozesse

„Es hat zwei Prozesse mit unterschiedlichem Ausgang gegeben“, erklärt Jörn Hartwich. Der Angeklagte war in beiden Fällen der Ehemann der Toten. Er wurde beim ersten Prozess freigesprochen und war mehrere Monate auf freiem Fuß. Beim zweiten Mal haben ihn die Richter wegen Todschlags zu neun Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Doch was war passiert?

Lange war nicht klar, wie die Frau ums Leben gekommen ist. „Eines der ganz großen Rätsel in diesem Fall“, sagt der Gerichtsreporter. Das Problem: Es gab keinerlei Spuren. Es hätte sich auch um einen Selbstmord oder Unfall handeln können, zumal die 25-Jährige nicht schwimmen konnte.

Nachdem der damals 42-Jährige seine Frau als vermisst gemeldet hatte, haben die Polizeibeamten zunächst die Wohnung und den Keller durchsucht. Im Anschluss haben sie ein Bewegungsprofil der Oer-Erkenschwickerin erstellt. Es wurde ermittelt, in welchem Funkmast das Handy des Opfers eingeloggt war. Ein weiteres Problem: Die Stimbergstadt ist keine Großstadt. Das Handy habe sich ausschließlich am Berliner Platz befunden, da der Mast einen großen Bereich der Stadt abgedeckt hat.

Taucher am Dortmund-Ems-Kanal in Waltrop.
Taucher am Dortmund-Ems-Kanal in Waltrop auf der Suche nach Gegenständen, die im Zusammenhang mit der Leiche, die am 10. Juni 2015 aus dem Kanal geborgen wurde, stehen. © Archiv

Darüber hinaus haben die Ermittler das Handy des Ehemanns und weiterer Familienangehöriger abgehört. „Es ist überhaupt nicht getrauert worden“, hatte ein Beamter seine Eindrücke vor Gericht geschildert. Die Frau geriet in Vergessenheit. Niemand habe versucht, herauszufinden, was passiert ist.

Ein halbes Jahr nach dem Fund wurde der Ehemann dann wegen Mordes festgenommen. Polizei und Staatsanwaltschaft waren sich sicher, dass er die 25-Jährige mit einem Kissen erstickt, zwischengelagert und im Anschluss in den Kanal geworden hat. Das Motiv: Der 42-Jährige hatte eine Geliebte. Und das wusste die Oer-Erkenschwickerin. Aber warum hat sich keiner von beiden getrennt? „Es war ein klassischer Fall von Zwangsheirat“, so Moderatorin Nora Varga.

Erneute Festnahme am Frühstückstisch

Schlussendlich habe es zu viele offene Fragen gegeben. Der Mann kam frei. Und das, obwohl der Staatsanwalt vier Tage lang plädiert hat, um den Richter von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen. Zudem hatte er einen Beschwerdebrief (über 100 Seiten) an das Oberlandesgericht Hamm geschickt. „Ich weiß nicht, ob ich so etwas noch einmal erleben werde“, sagt Jörn Hartwich in der Podcastfolge.

Der zweite Prozess kam zustande, weil besagter Staatsanwalt Revision eingelegt und der Bundesgerichtshof das Urteil gekippt hat. Vor den Augen seiner Tochter wurde der Oer-Erkenschwicker festgenommen. „Ja, ich habe meine Frau getötet“, hatte er vor Gericht – zur Verwunderung aller – zugegeben. Der Grund: Ein Streit, bei dem die 25-Jährige gedroht habe, mit dem Kind in die Türkei zurückzugehen. Die Strafe – neun Jahre und drei Monate Haft – kam dank eines Deals zwischen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht zustande. „Bei solchen Prozessen, wo jemand umgebracht wird, ist das absolut ungewöhnlich“, erklärt Hartwich.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 30. August 2024.