Zwei Mädchen in einem Garten.

Ihre Freundschaft und ihre Familien geben Mia und Emma die Kraft, das Erlebte zu verkraften. © Sebastian Balint

Vom Mitschüler verprügelt: Mia (10) und Emma (8) aus Datteln mussten ins Krankenhaus

rnGewalt unter Kindern

Seit Jahren terrorisiert ein Drittklässler seine Mitschüler an der Dattelner Böckenheckschule und in der OGS. Seine beiden jüngsten Gewaltausbrüche endeten für zwei Mädchen im Krankenhaus.

Datteln

, 27.06.2022, 17:06 Uhr / Lesedauer: 3 min

Auch wenn das Erlebte den beiden Mädchen noch sehr nah geht: Mia und Emma haben beschlossen, im Beisein ihrer Eltern, mit unserer Redaktion über die Gewalt, die ihnen widerfuhr, zu sprechen. Zu ihrer eigenen Sicherheit haben wir sie nur von hinten fotografiert und ihre Namen geändert.

Ein „ganz normaler Tag“ in der Dattelner OGS?

Es scheint ein ganz normaler Tag in der Offenen Ganztagsschule (OGS) an der Böckenheckschule in Datteln zu sein: Die zehnjährige Mia sitzt auf ihrem Stuhl: Mittagessen. Sie ahnt nicht, dass das, was sich gerade hinter ihrem Rücken abspielt, schwere Folgen für sie haben wird. Zwei Jungen geraten in Streit darüber, wer der stärkere von beiden ist. Das übliche „ich bin stärker“, „nein, ich“ weckt nicht gerade Aufmerksamkeit bei den OGS-Kindern. Dann sagt einer der Jungen, dass „sogar die Mia“ viel stärker als der angesprochene Junge sei. Die Situation eskaliert.

Kinderarzt ruft nach Untersuchung einen Krankenwagen

Mia hatte die Diskussion der beiden Jungen nur am Rande bemerkt, als plötzlich ihr Stuhl von einem der Jungen zur Seite, weg vom Tisch gedreht wird. Sie habe sich noch gewundert, was denn los ist, da nimmt einer der Streithähne schon Anlauf und springt ihr mit dem Fuß voraus, wie ein Karate-Kämpfer, in den Unterleib. Das Mädchen wird kurz darauf von ihrem Vater abgeholt. Doch zu Hause lassen die Schmerzen nicht nach. Im Gegenteil: Sie werden immer stärker.

Ein Schulgebäude in Datteln.

Die Böckenheckschule in Datteln. © Sebastian Balint

Ihr alleinerziehender Vater (36) beschließt tags drauf, Mia dem Kinderarzt vorzustellen. Der habe den Bauch der Zehnjährigen zuerst abgetastet. Dabei sei das Mädchen derart schmerzempfindlich gewesen, dass er Arzt eine Ultraschalluntersuchung machen lässt. Kurze Zeit später sitzen Mia und ihr Vater in einem Krankenwagen: Es geht mit Blaulicht uns Sirene nach Dortmund in die Kinderklinik. Die Befürchtung des Kinderarztes: innere Verletzungen.

Drei Tage verbringt Mia in der Dortmunder Kinderklinik, muss viele Untersuchungen über sich ergehen lassen. Der Verdacht, sie könnte Langzeitschäden von der brutalen und hinterlistigen Attacke davongetragen haben, bestätigt sich zum Glück nicht. Mit den Schmerzen hat sie dennoch einige Tage zu kämpfen. Und der Täter? „Der durfte zur Strafe ein paar Tage lang nicht kommen“, erinnert sich Mias Vater.

Emma wird wegen ihrer blonden Haare gemobbt

Aus seiner Sicht nicht nachvollziehbar, denn: Der Junge, der Mia brutal getreten hatte, terrorisiert einige Mitschüler - vorzugsweise Mädchen - wohl schon seit der ersten Klasse. Manchmal allein, manchmal zusammen mit anderen Jungs. Dann schubst die Truppe andere Kinder ins Gebüsch, schüttet ihre Tornister aus oder sie ziehen ihren Opfern die Schuhe aus, um sie dann wegzuwerfen. Besonders im Fokus des Jungen und seiner Schulhof-Gang: Emma.

„Die ärgern mich seit der ersten Klasse“, berichtet das Mädchen traurig. „Mal wegen meiner blonden Haare oder weil ich Locken habe.“ Auch sie sei mehrfach im Gebüsch gelandet. „Die haben sie sogar mit mehreren in ein Gebüsch gezogen und gewürgt“, berichtet Emmas Mutter. Die Sorge um ihre Tochter steht ihr ins Gesicht geschrieben.

Emma ist einiges aus zurückliegenden Jahren gewohnt. Doch wenige Tage vor den Sommerferien musste sie erleben, dass es noch schlimmer geht.

Mutter erkennt Anzeichen für eine Gehirnerschütterung

„Ich habe mich mit einem Jungen auf dem Schulhof gestritten“, erzählt Emma. „Dann kam eine Lehrerin und hat den Streit geschlichtet.“ Für die Achtjährige hat sich die Geschichte damit erledigt - sie spielt auf dem Schulhof weiter. Plötzlich habe derselbe Junge vor ihr gestanden, der ihrer Freundin Mia in den Unterleib getreten hatte. Er und der Junge, mit dem Mia sich gestritten hatte, sind befreundet. Der Junge bedroht die sitzende Emma, beschimpft sie. Dann tritt er der Achtjährigen mehrfach ins Gesicht. Emma fällt hinten über. Ihr Kopf schlägt gegen eine Eisenstange. Ihre Lippe springt durch die Tritte ins Gesicht auf - es fließt Blut.

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Emmas Mutter ist zu diesem Zeitpunkt ohnehin bereits auf dem Weg zur Schule, um ihre Tochter abzuholen, als ihr Telefon klingelt. „Sie müssen schnell kommen. Ihre Tochter muss vielleicht ins Krankenhaus. Sie blutet. Ein Junge hat sie getreten“, wurde mir am Telefon gesagt, erinnert sich Emmas Mutter. Sie selbst arbeitet in der Pflege, ist medizinisch geschult.

Zu Hause beobachtet sie, dass Emma sehr schläfrig ist. „Sie klagte über Kopfschmerzen und war orientierungslos“, berichtet sie. Emma kommt ins Krankenhaus. Aufgrund der vorliegenden Symptome entscheiden die Ärzte, dass die Achtjährige sofort in „die Röhre“ soll, also im MRT untersucht werden soll. Der Verdacht der Mutter bestätigt sich: Emma hat eine Gehirnerschütterung von den Tritten ins Gesicht davongetragen. Vier Tage verbringt sie im Krankenhaus. Erst am Nachmittag des letzten Schultages wird sie wieder entlassen.

Mädchen fürchten sich vor dem ersten Schultag nach den Ferien

Die Bitte um eine Stellungnahme von Peter Wenzel, Leiter des Dattelner Jugendamtes, blieb bislang unbeantwortet. Schulleiterin Birgit Schneider, erklärt auf Nachfrage, dass sie sich zu dem Fall nicht äußern dürfe.

Mias Vater und Emmas Mutter sind nach wie vor schockiert über das, was ihren Kindern widerfahren ist. Sie ärgern sich aber auch darüber, dass zu keinem Zeitpunkt Maßnahmen ergriffen wurden, die eine solche Eskalation hätten verhindern können. Natürlich hätten sie an der Schule um Hilfe gebeten. Nur passiert sei nichts. Ihr sei gesagt worden, dass der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) der Stadt Datteln schon lange eingeschaltet worden sei, sagt Emmas Mutter. Passiert sei offensichtlich aber nichts. Der Junge besuche nach wie vor die Schule und werde wohl auch nach den Ferien wieder dort sein.

Nun sind Mia und Emma zwar erst einmal in den Ferien und somit sicher. Aber vor dem 10. August, dem ersten Schultag in der Klasse vier der Böckenheckschule, haben Mia und Emma Angst.

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