Beginnen wir mit einer schlechten Nachricht für die Fans des VfL Bochum: Ihr Verein muss in der kommenden Saison schon nach dem 33. Spieltag den Klassenerhalt sicher haben, sonst wird es ganz, ganz schwer: Am 34. und letzten Spieltag geht es für den VfL nämlich zu Werder Bremen – und dort hat man in 34 Erstliga-Auswärtsspielen nur einen einzigen Sieg geholt, bei 26 Niederlagen. Doch auf die schlechte Nachricht folgt sofort eine gute: Die Voraussetzungen, dass der VfL tatsächlich in den ersten 33 Begegnungen genug Punkte holt, könnten schlechter sein. Und für diese Aussage lassen sich eine ganze Reihe Argumente finden.
Galten die Bochumer nach ihrem Aufstieg 2021 und nach dem Aufstieg der finanzstarken Schalker und Bremer 2022 jeweils als Abstiegsanwärter Nummer eins, sind sie diese Rolle vor der Saison 2023/24 losgeworden. Die Aufsteiger Darmstadt und Heidenheim werden von den allermeisten Experten schwächer eingeschätzt als der VfL. Und dass die Bochumer Teams mit mehr Potenzial hinter sich lassen können, haben sie als 13. und 14. in beiden vergangenen Bundesliga-Spielzeiten ohnehin bewiesen.
Zeit für Optimismus
Doch die Bochumer müssen gar nicht nur auf ihre Gegner schauen, um optimistisch zu sein. Das beginnt bei der sportlichen Leitung: Hatten im vergangenen Sommer (zutreffende) Spekulationen um einen Wechselwunsch von Trainer Thomas Reis und die Kündigung von Sport-Geschäftsführer Sebastian Schindzielorz für erhebliche Unruhe bis über den Saisonstart hinaus gesorgt, sieht man sich nun im Management mit der Quasi-Doppelspitze Patrick Fabian und Marc Lettau sehr gut aufgestellt. Und Trainer Thomas Letsch steht nach dem Klassenerhalt bei Fans und Vereinsführung hoch im Kurs. Überhaupt die Fans: Dass der Verein keine frischen Dauerkarten auf den Markt gebracht hat, weil man lieber mehr Mitgliedern die Möglichkeit geben wollte, an Einzel-Karten zu kommen, hätte man sich in Bochum bis vor Kurzem kaum vorstellen können. Einzig die begrenzte Kapazität des Vonovia Ruhrstadions von 26.000 Plätzen verhindert einen höheren Zuschauerschnitt.
Leistungsträger sind geblieben
Auch sportlich geht der VfL stärker in diese Saison als in die vorherige. Wahrscheinlich verliert man keinen einzigen Leistungsträger. Das war vor zwei Jahren mit dem Weggang von Topscorer Robert Zulj anders, das war vergangene Saison nach dem Abgang der Stamm-Innenverteidiger Armel Bella-Kotchap und Maxim Leitsch ganz anders. Und jetzt?
Von der Startelf des 34. Spieltages sind neun Spieler noch da – Dominique Heintz und Saidy Janko hat der VfL freiwillig ziehen lassen. Der auf den ersten Blick wichtigste Verlust ist der ehemals schnellste Bundesliga-Profi Gerrit Holtmann. Dass er (zunächst leihweise) in die Türkei gewechselt ist, bedauern viele Fans, die sich an seine Traumtore gegen Mainz und später bei den Siegen gegen die Bayern und in Dortmund erinnern und die Holtmann als sympathischen und nahbaren Profi kennengelernt haben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die drei Tore in der Saison 2021/22 gefallen sind und Holtmann unter Trainer Thomas Letsch kein wichtiger Spieler mehr war.

Praktisch alle weiteren Abgänge waren vom Verein gewollt oder akzeptiert. Pierre Kunde, Vasilios Lampropoulos und Konstantinos Stafylidis ließ man ziehen, dem polnischen Mittelfeldspieler Jacek Goralski zahlte man sogar eine Abfindung, um seinen Vertrag auflösen zu können. Und der langjährigen Sturmhoffnung Silvère Ganvoula weint in Bochum niemand eine Träne nach – wenn Ganvoula auch merkwürdigerweise bei Young Boys Bern plötzlich wieder das Tor trifft. Bleibt Verteidiger Keven Schlotterbeck, der ausgeliehen war und um dessen Kauf vom SC Freiburg man sich nach wie vor bemüht, der aber auch kein Stammspieler war.
Ziemlich alte Mannschaft
Dass bislang niemand einen Leistungsträger des Bundesliga-14. geschnappt hat, mag daran liegen, dass der VfL eine eher alte Mannschaft auf den Platz schickt, viele Spieler deshalb nicht sonderlich attraktiv sind. Der einzige halbwegs ernsthafte Kandidat auf einen Weggang vor dem Ende der Transferperiode dürfte Erhan Mašović sein. Doch selbst wenn es zu einem Angebot käme, „wäre das ein Zeichen für uns, dass eine gewisse Qualität da ist“, wie VfL-Sportchef Patrick Fabian im Vorfeld sagte. Außerdem strebe man durchaus an, Transfererlöse zu generieren. Sportlich wäre ein Abgang des Innenverteidigers kurz vor Ende der Transferperiode allerdings ein Schlag für den VfL.
Umgekehrt hat der VfL zwar keine allzu spektakulären Neuzugänge unter Vertrag genommen. Aber obwohl man wohl nur für Moritz-Broni Kwarteng vom 1. FC Magdeburg eine siebenstellige Ablösesumme bezahlt und alle anderen Neuen für weniger Geld oder ablösefrei bekommen hat, ist der Kader in der Breite sicher stärker geworden.
Als stärkster Neuer darf der slowakische Nationalspieler Matúš Bero gelten, der auf diversen Mittelfeldpositionen spielen kann. Allerdings standen weder Bero oder der seit Wochen verletzte Kwarteng im ersten Saison-Pflichtspiel in Bielefeld in der Start-Aufstellung noch, logischerweise, der erst nach dem Pokal-Aus gekaufte Hoffnungsträger Maxi Wittek – wohl aber in Lukas Daschner, dem vom BVB geholten Felix Passlack und dem frisch von RB Salzburg gekauften Verteidiger Bernardo drei andere Neue. Bero hat sich unter der Woche im Training verletzt und wird auch zum Saisonauftakt beim VfB Stuttgart (Samstag, 19. August, 15.30 Uhr) fehlen,
Pokal-Aus „ein Nackenschlag“
Ein positiv gestimmtes Umfeld, ein höherer Etat, ein besserer Kader – wäre es also an der Zeit, vom VfL mehr zu erwarten als den erneuten Kampf um den Klassenerhalt? Die ehrliche Antwort muss heißen: Das wäre vermessen. Ein erstes Zeichen, wie schwer es wird, war das Pokal-Aus bei Drittligist Arminia Bielefeld – „ein Nackenschlag“, wie es Patrick Fabian formulierte. Hinzu kommt die finanzielle Komponente: Man steht zwar besser da als Darmstadt und Heidenheim, aber es klafft doch eine große Lücke zu allen anderen Vereinen. Hoffen muss man (wieder) darauf, dass andere Vereine schwächeln, etwa der FC Augsburg, Borussia Mönchengladbach, der 1. FC Köln oder vielleicht Werder Bremen. In einem Interview hat Trainer Letsch die Ausgangslage auf den Punkt gebracht: „Wir sollten demütig bleiben.“
Gerade nach dem Pokal-Aus stellt sich zudem die Frage: Wie gut ist die Mannschaft im neuen und von Trainer Thomas Letsch bevorzugten 3-5-2-System? Nach der Vorbereitung und dem Pokalspiel gibt es Anzeichen, dass auf manchen Positionen (noch) das geeignete Personal fehlt. Geholfen hat allerdings Witteks Kauf, der von vielen Fans mit großer Erleichterung und Freude aufgenommen wurde. Dennoch bleibt die Frage, ob alles zusammenpasst und ob es zum Beispiel noch Verstärkung vorne nötig ist. Fakt ist: Aktuell kommen bei Mittelstürmer Philipp Hofmann kaum Flanken an, die er aber bräuchte, um seine acht Tore aus der Vorsaison zu wiederholen.
Ziemlich sicher abgeschlossen sind die Personalplanungen hingegen im Mittelfeld, in dem es wegen der Neuzugänge, des gesetzten Kapitäns Anthony Losilla und des gleichfalls hoch geachteten Spielmachers Kevin Stöger vor allem zentral eher ein Überangebot an guten Kräften gibt. Und auch im Tor steht Manuel Riemann nach seinem starken Saison-Finish nicht infrage, zumal Ersatzmann Michael Esser nicht ins Tor drängt und der neue dritte Mann Niclas Thiede noch nicht weit genug ist.
Zusammengefasst ist der VfL Bochum besser aufgestellt als 2021 oder 2022. Trotzdem muss die Mannschaft wieder über sich hinauswachsen, um der Relegation zu entgehen. Doch um mit gleich zwei guten Nachrichten zu enden: Dazu hat sie – anders als die Statistik glauben macht – mehr als 33 Spieltage Zeit.
Und: Trotz eines anspruchsvollen Start-Programms mit Spielen gegen Dortmund und in München, Leipzig und Freiburg kann der VfL Bochum kaum schlechter starten als 2022. Da holte man aus acht Spielen genau einen Punkt.