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Verheerende Corona-Zahlen: Schließt sofort Läden, Kitas, Schulen und Friseure!
Meinung
Die Corona-Zahlen haben verheerende Höchststände erreicht. Die Zeit des Zauderns und Zögerns ist vorbei, meint unser Kommentator und fordert einen kompletten Lockdown im ganzen Land bis 10. Januar.
Vor einigen Wochen beklebten Grafiker die Flure unseres Medienhauses mit großformatigen Sprüchen. Viele kluge Sätze sind darunter. Einer hat mich dennoch ein wenig irritiert: „hope is not a strategy“.
Ich bin von Grund auf ein optimistischer Mensch und finde, dass Hoffnung eine der besten Tugenden ist, die einem Menschen mit auf den Weg gegeben werden kann. Davon bin ich zwar weiterhin überzeugt, aber seit einigen Tagen denke ich, dass Verantwortliche bei uns im Land es mit der Hoffnung in gefährlicher Weise übertreiben.
Die Lage gerät außer Kontrolle
Die Hoffnung darauf, dass der Teil-Lockdown doch noch hilft und die Corona-Zahlen zumindest nicht weiter steigen. Die Hoffnung darauf, dass schon alles gut werden würde, wenn wir zu Weihnachten die Kontaktbeschränkungen ein wenig lockern. Die Hoffnung, dass es reichen wird, die Kinder zwei Tage länger aus der Schule zu nehmen und in die Geschäfte ein paar weniger Menschen reinzulassen.
Diese Art von Hoffnung ist, da gebe ich dem Spruch auf dem Flur unseres Hauses mittlerweile aus tiefstem Herzen recht, keine Strategie. Sie führt dazu, dass die Infektions- und Todeszahlen von Tag zu Tag neue Rekordhöhen erreichen. Am Freitag wurden 29.875 neue Fälle und 598 Tote in Zusammenhang mit Covid 19 registriert. Die Lage droht angesichts solcher Steigerungsraten völlig außer Kontrolle zu geraten, wenn sie es nicht schon längst ist. Wir können es uns aber nicht leisten – wirtschaftlich, gesellschaftlich und moralisch erst recht nicht, dass derzeit Woche für Woche so viele Menschen an Covid 19 sterben wie sonst in einem ganzen Jahr bei Verkehrsunfällen in unserem Land.
Es gibt nur eine Lösung
Da bleibt nur eins: Das öffentliche Leben in unserem Land muss – am besten bundesweit – sofort komplett runtergefahren werden. Und „sofort“ heißt hier allerspätestens ab dem kommenden Montag.
Sämtliche Läden - mit Lebensmitteln und Apotheken als einzigen Ausnahmen - müssen ebenso geschlossen werden wie Kitas. Sämtliche Schulen dürfen nur noch Home-Schooling anbieten. Ein striktes Verbot zum Verzehr von Alkohol in der Öffentlichkeit muss her – und zwar ganztägig, damit die Treffs ein paar Schritte abseits der Glühweinbuden aufhören.
Fürchterlich harte Maßnahmen
In der Öffentlichkeit sollten sich nur noch maximal zwei Menschen aus unterschiedlichen Hausständen begegnen dürfen. Mit den Kirchen und religiösen Gemeinschaften muss vereinbart werden, dass diese sämtliche Gottesdienste mit Gläubigen in den Gotteshäusern absagen. Auf Sternsinger-, Tannenbaum- oder andere Aktionen muss verzichtet werden. Auch Friseure müssen Kamm und Schere beiseite legen. Um es auf den Punkt zu bringen: Alles, was nicht dem puren Überleben dient, muss unterbleiben. Am besten gleich drei Wochen lang bis zum 10. Januar. Anfang Januar kann man dann überlegen, wie es weitergehen kann.
Ich weiß, dass sind fürchterlich harte Maßnahmen. Aber wir befinden uns gerade in diesem kleinen Zeitkorridor um die Jahreswende, der so gut wie kein anderer in einem Jahr dazu geeignet ist, das öffentliche Leben herunterzufahren: Es läuft ja ohnehin auf Sparflamme.
Großzügigkeit und Klugheit sind jetzt gefragt
Dabei ist es wichtig, dass die Gesellschaft jetzt großzügig und klug handelt, damit die Akzeptanz für diese Maßnahmen hoch bleibt. Bei großzügig denke ich etwa an eine Freistellungs-Regelung für Eltern, die ihre Kinder betreuen müssen, weil sie nicht in die Kita oder Schule können.
Bei „klug“ denke ich beispielsweise daran, dass sich die Einzelhändler etwas einfallen lassen müssen. Gerade die letzten zwei Wochen vor Weihnachten zählen zu den umsatzstärksten im ganzen Jahr. Niemand will, dass unsere Innenstädte weiter ausbluten und noch mehr Läden in die Insolvenz gehen. Da kann der Staat zwar helfen – etwa mit Kurzarbeitergeld – aber die Händler können auch selbst etwas tun. Eine Idee: Sie sollten ab sofort eine Gutschein-Aktion starten, indem sie offensiv über ihre Internetseite Gutscheine verkaufen, die die Kunden dann zu Hause ausdrucken, unter den Weihnachtsbaum legen und im neuen Jahr einlösen können. Und um das Ganze attraktiv zu machen, könnten sie anbieten, dass ein Gutschein über 100 Euro vielleicht nur 95 Euro kostet. Das wäre eine Chance, damit der Umsatz – wenn auch nicht im Dezember, so doch Anfang des neuen Jahres – in den Läden der Städte verbleibt und nicht zu Amazon & Co. abwandert.
Sonntag ist schon zu spät
Im Moment sieht es so aus, als wollten sich Bund und Länder erst am Sonntag zum Gipfel treffen. Ich denke, dass das nicht reicht. Die Hoffnung, dass es dann noch früh genug ist, ist ein schlechter Ratgeber, eben keine Strategie.
Damit sich Hoffnungen erfüllen können, muss man auch selbst etwas tun. Wer als Schüler nur darauf gehofft hat, dass die Mathe-Arbeit auch ohne mühsames Lernen schon klappen werde, hat diesen Grundsatz sehr schnell verinnerlicht. Die Verantwortlichen in unserem sollten daher handeln und zwar jetzt, sofort und gründlich. Eine solche Strategie wäre dann auch ein guter Nährboden für die Hoffnung, dass im nächsten Jahr alles besser wird.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
