Urteil: Reitlehrer (64) vergreift sich an jungen Reiterinnen „Mit der Angst der Mädchen gespielt“

Urteil: Reitlehrer (64) vergriff sich an jungen Reiterinnen: „Mit der Angst der Mädchen gespielt“
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Ein Reitlehrer (64) aus Witten ist am Dienstag (18.2.) am Bochumer Landgericht zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Die Richter der 9. Strafkammer sahen es als erwiesen an, dass der Stallbetreiber zwei anfangs 15 und 17 Jahre alte Reiterinnen in Serie sexuell bedrängt, belästigt und begrabscht hat. Richterin Katja Nagel sprach beim Urteil von einer „perfiden Vorgehensweise“.

Trotz erdrückender Belastungen durch die zwei frühere Reitschülerinnen hatte der Turnierreiter Übergriffe bis zuletzt abgestritten. Dass sei selbstverständlich sein gutes Recht gewesen, hieß es. Es habe ihm aber auch jegliche Möglichkeit auf strafmildernde Umstände abgeschnitten.

Die Richter waren sich am Ende sicher, dass die zwei Reiterinnen im Prozess die Wahrheit gesagt haben. „Die Aussagen waren vollkommen glaubhaft“, hieß es. „Wir haben keine Zweifel, dass sich die Übergriffe so zugetragen haben, wie es uns hier geschildert wurde.“ Falschbelastungen seien absolut ausgeschlossen, beide Reiterinnen hätten den Reitlehrer größtenteils ja sogar noch in Schutz genommen.

Direkt in Richtung des Reitlehrers gerichtet sagte Richterin Katja Nagel in der Urteilsbegründung: „Sie haben die Vernarrtheit der jungen Frauen in den Reitsport für ihre eigenen Zwecke ausgenutzt. Sie haben letztlich mit der Angst der Mädchen gespielt. Sie haben ihnen ein Stück weit die Unbeschwertheit für ihr Hobby genommen, das sie so lieben.“

Die ältere der beiden Reiterinnen, eine Studentin (24) aus Bochum, hatte sich im Prozess an erste Übergriffe auf dem Wittener Reiterhof als 17-Jährige so erinnert: „Es hat sich für mich angefühlt wie Stunden. Er kam immer näher. ‚Lass mich doch mal fühlen, nur ganz kurz‘, hat er dann immer gesagt.“

Im Laufe der Zeit, so schilderte es die Zeugin, seien die Avancen des 64-Jährigen dann immer anzüglicher, seine Berührungen und Griffe an intimen Stellen immer intensiver geworden. Tatort seien mal die Sattelkammer, mal der Küchenvorraum am Reitstall gewesen.

Einzig die unmissverständliche Forderung des Reitlehrers, dass er etwas zurückhaben muss für das Turnierreiten und das Privileg, seine Jungpferde reiten zu dürfen, habe sie innerlich gebremst, sich zu wehren.

Der Prozess gegen den Reitlehrer fand am Bochumer Landgericht statt.
Der Prozess gegen den Reitlehrer fand am Bochumer Landgericht statt. © Bernd Thissen/dpa

Eine ähnliche innere Zerrissenheit hatte die jüngere Belastungszeugin, eine heute 18-Jährige aus Bochum, geschildert. Die Schülerin war laut Urteil ab 2021 in die Fänge des Reitlehrers geraten, hatte vor allem von Sex-Übergriffen während gemeinsamer Autofahrten zu Turnieren berichtet.

Daneben habe sie sich auch Klapsen auf den Po, anzüglichen Schmeicheleien („Du hast so schöne volle Brüste“), Verhütungs-Ratschlägen und Befragungen durch den Reitlehrer ausgesetzt gesehen.

Das Urteil lautet auf Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe durch Gewalt in insgesamt zwölf Fällen. Ursprünglich waren 23 Vorfälle angeklagt gewesen, in den übrigen elf Fällen wurde der 64-Jährige freigesprochen.

Zur Begründung verwies das Gericht darauf, dass bei einer der Frauen offensichtlich zwischenzeitlich ein deutlicher Verdrängungsprozess stattgefunden und „hier und da gewisse Details verloren gegangen sind“. Eine Falschaussage sei jedoch ausgeschlossen. Im Gegenteil: „Wir sind von weiteren unerlaubten Berührungen überzeugt, letztlich waren diese aber nicht sicher individualisierbar.“

Geht es nach den zwei Dortmunder Nebenklageanwältinnen, dann könne und solle der Prozess ein wichtiges Vorbild und Motivation für weitere mögliche Missbrauchsopfer sein.

Anwältin Charlotte Lehnert, die die jüngere Reiterin vertrat, zweifelte offen an, dass „die festgestellte Anzahl der Übergriffe mit Sicherheit nicht das abbildet, was tatsächlich passiert ist“.

Gab es weitere potenzielle Opfer?

Anwältin Gesine Ickert stellte auch offen die Frage, ob es in Witten womöglich weitere potenzieller Missbrauchsopfer gab. Auch während des Prozesses waren Namen von anderen Mädchen gefallen, die von dem Angeklagten angefasst worden sein sollen. Ickert: „Wir alle wissen nicht, ob es noch weitere Mädchen gibt, die ihren Traum vom Reiten nicht aufgeben wollen. Dabei ist es so wichtig, das Wort zu ergreifen.“

Neben der Haftstrafe verurteilten die Bochumer Richter den Wittener Reitlehrer zudem zur Zahlung von 5000 Euro Schmerzensgeld an die 18-jährige Reiterin. Im anderen Fall sei eine Bezifferung im Rahmen des Strafverfahrens nicht möglich gewesen - das soll eine Zivilkammer entscheiden.

Richterin Katja Nagel in Richtung des Angeklagten: „Aber auch dafür werden sie zahlen müssen. Das könne wir hier und heute feststellen.“

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.