„Ich bin unschuldig!“ Auch nach 33 Jahren erinnert sich der deutsche Diplomatensohn Jens Söring noch ganz genau an diese Drei-Wort-Antwort, die er damals kurz vor der Urteilverkündung im Kreisgericht von Bedford County im US-Bundesstaat Virginia zu Protokoll gab. Doch Gericht und Jury glaubten nicht an die Unschuld des zur fraglichen Tatzeit 18 Jahre alten, selbsternannten „Nerds mit der Hornbrille“.
Zwei Menschen ermordet. Zweimal schuldig. Zweimal lebenslänglich. So lautete im Jahr 1990 das Urteil, gegen das der inzwischen 56-jährige Söring – seit Ende 2019 wieder frei – weiter ankämpft. Dass er sich bis heute in den USA schuldig verurteilter Doppelmörder nennen lassen muss, ist für ihn persönlich unerträglich.
„Das Schlimmste war die Hoffnungslosigkeit“
Frühjahr 2023 - US-Häftling meets Marl: Als Jens Söring kürzlich zu Gast in der Kanzlei der Strafverteidiger Hans Reinhardt und Burkhard Benecken war, wirkt der 33-Jahre-Häftling gelöst, aber dennoch zielstrebig, spricht immer wieder von einem Fehlurteil. „Das Schlimmste im Gefängnis war die Hoffnungslosigkeit“, sagt er.
Seine persönliche Gewissheit, unschuldig zu sein, sei dagegen ein Faustpfand gewesen. Söring: „Ich hatte einen Grund, jeden Morgen aufzustehen und zu kämpfen. Der Großteil meiner Mithäftlinge hatte diese Motivation nicht. Die sind Tag für Tag im Bett liegen geblieben, haben Drogen geraucht, Karten gespielt, ferngesehen. Jahrzehntelang.“
„Falsches“ Geständnis abgelegt
Inzwischen wird Jens Söring anwaltlich von Burkhard Benecken und Hans Reinhardt beraten. In „Unschuldig verurteilt“ (Benevento-Verlag, 24 €) beleuchten die Marler Strafverteidiger seinen Fall ausführlich – die Eltern von Sörings damaliger Freundin Elizabeth wurden im März grausam getötet, dabei verstümmelt und entstellt.
Sie positionieren sich dabei auch einhellig zur Schuld-Frage im Fall von Jens Söring, der seinerzeit bei einem Verhör sogar ein – wie er betont – falsches, taktisches (und später von ihm auch widerrufenes) Geständnis abgelegt hatte.

„Am Ende geht es immer um Gerechtigkeit, die Schuldfrage ist in vielen Fällen gar nicht seriös zu beantworten. Sie ist aber auch nicht entscheidend“, erklärt Hans Reinhardt. „Wenn man den Zweifelsgrundsatz ‚in dubio pro reo‘ ernst nimmt, hätte Jens Söring niemals verurteilt werden dürfen“, legt sich Burkhard Benecken fest.
Präsentation im Marler Stern
Am 14. Juni präsentieren die Anwälte ihr neues Buch in der Sternbuchhandlung Kemming im Marler Stern. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr, der Eintritt beträgt zehn Euro, Karten sind in der Buchhandlung erhältlich.
Mit „Unschuldig verurteilt“ wollen Hans Reinhardt und Burkhard Benecken Gerechtigkeitssinne schärfen. „Egal ob Geschworenengericht in den USA, Amtsgericht in Marl oder Recklinghausen oder Kammergericht in Berlin: Fehler, Irrtümer und Nachlässigkeiten sind menschlich. Richter, Staatsanwälte und Verteidiger sind nun mal keine programmierbaren ‚Rechtsautomaten‘“, sagen sie.
Das große „Aber“ liefern die Anwälte prompt nach: „Die deutsche Strafjustiz ist in sich instabil. Die Dunkelziffer falscher Schuldsprüche ist riesig. Für viele Fehlurteile gibt es handfeste Gründe und Erklärungen. Die Spuren führen mal zur Richterbank, mal zur Staatsanwaltschaft. Auch Polizisten, Angeklagte, Zeugen, ja sogar die eigenen Pflichtverteidiger sind nicht selten dafür verantwortlich.“
In elf Kapiteln wollen Benecken und Reinhardt in ihrem Buch Fehleranfälligkeiten enthüllen, aufzeigen, warum es hierzulande täglich zu Justizirrtümern kommt. Die Fallbeispiele sind authentische Fälle aus der Marler Kanzlei, spielen vielfach in der Region. Vom Bottroper Bauernhofmord, über die festgeklemmte Geldbombe in einem Ruhrgebiets-Discounter, den Stadtparkmord von Recklinghausen bis hin zum Hertener „Satans-Mörder“.
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