Nato-Staaten machen jetzt Tempo bei der Ausrüstung der Ukraine mit westlichen Kampfflugzeugen: Der Transfer von F-16-Jets sei bereits im Gange, kündigten die USA, die Niederlande und Dänemark am Dienstag in einer gemeinsamen Erklärung am Rande des Nato-Gipfels in Washington an. Damit könnten die Maschinen noch diesem Sommer zur Abwehr des russischen Angriffskrieges zum Einsatz kommen.
Das Bündnis sichert der von Russland angegriffenen Ukraine zudem zu, dass sie auf ihrem Weg in das Verteidigungsbündnis nicht mehr aufgehalten werden kann. In dem Text für die Abschlusserklärung des Spitzentreffens wird der Pfad zur Mitgliedschaft als „irreversibel“ bezeichnet, wie die Deutsche Presse-Agentur nach Abschluss der Verhandlungen über das Dokument erfuhr.
Die USA verstärken außerdem die militärische Abschreckung zum Schutz der Nato-Partner in Europa. Dazu sollen in Deutschland von 2026 an zeitweise Marschflugkörper vom Typ Tomahawk und andere weitreichende Waffen stationiert werden, hieß es in einem gemeinsamen Statement der USA und Deutschlands, das am Rande des Nato-Gipfels in Washington veröffentlicht wurde.
Scholz zu Luftverteidigung: Prozess nicht abgeschlossen
In dem Text der Abschlusserklärung wird noch einmal betont, dass eine formelle Einladung zum Nato-Beitritt der Ukraine erst ausgesprochen werden kann, wenn alle Alliierten zustimmen und alle Aufnahmebedingungen erfüllt sind. Dazu zählen Reformen im Bereich der Demokratie und Wirtschaft sowie des Sicherheitssektors.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellte der Ukraine unterdessen weitere Hilfe in Aussicht und bezeichnete die bisherige Unterstützung für das Land mit Luftverteidigungssystemen als „großen Schritt“.
Beitrittsperspektive bleibt Streitthema
Der Text für die Abschlusserklärung ist ein Kompromiss, der die unterschiedlichen Positionen im Bündnis zum Nato-Beitrittsprozess abbildet. Die Nato-Perspektive für die Ukraine ist innerhalb der Allianz seit langem ein Streitthema. So lehnen es Länder wie Deutschland und die USA ab, in der derzeitigen Situation eine formelle Einladung zum Beitritt auszusprechen. Grund ist vor allem die Sorge, dass ein solcher Schritt zu einer weiteren Eskalation des Ukraine-Krieges führen könnte.
Auf der anderen Seite stehen etliche andere Alliierte, die argumentieren, dass Russland klar und deutlich gezeigt werden sollte, dass es einen Nato-Beitritt der Ukraine nicht wird verhindern können. In dieser Logik besteht die Hoffnung, dass eine Einladung der Ukraine in die Nato sogar zu einem schnelleren Ende des Krieges führen könnte.
Die deutsch-amerikanische Position ist für die Ukraine vor allem deswegen problematisch, weil sie für Moskau ein Argument gegen die Aufnahme von Verhandlungen sein könnte. Eines der erklärten Kriegsziele von Kremlchef Putin ist die Verhinderung eines Nato-Beitritts des Nachbarstaates. In dem Text für die Abschlusserklärung wird der Ukraine zudem zugesichert, dass sie auch innerhalb des nächsten Jahres wieder Militärhilfen im Wert von mindestens 40 Milliarden Euro erhält.
F-16-Jets für die Ukraine aus Dänemark und den Niederlanden
Bei der neuen Lieferung geht es nun um F-16-Jets aus amerikanischer Produktion, die von Dänemark und den Niederlanden bereitgestellt werden. „Das Übergabeverfahren für diese F-16 ist jetzt im Gange, und die Ukraine wird diesen Sommer einsatzbereite F-16 fliegen“, hieß es in der Erklärung. Die drei Staaten dankten außerdem Belgien und Norwegen für die Zusage, weitere Flugzeuge für Kiew zur Verfügung zu stellen.
Die Ausbildung ukrainischer Piloten und Bodenmannschaften für diesen Flugzeugtyp läuft seit Monaten. Doch bislang war noch keiner der Jets in der Ukraine eingetroffen. Sie sollen vor allem die ungehinderten Bombenabwürfe russischer Flugzeuge unterbinden.
US-Präsident tritt ohne Panne auf
US-Präsident Joe Biden kündigte bei dem Festakt zum 75-jährigen Bestehen des Verteidigungsbündnisses an, die USA und weitere Nato-Staaten wollten Kiew zusätzliche Ausrüstung zur Abwehr russischer Luftangriffe liefern. Biden, der nach seinem verpatzten TV-Duell unter besonderer Beobachtung steht, brachte seinen Auftritt fehlerfrei über die Bühne, allerdings mithilfe eines Teleprompters. Der Demokrat, der in diesem Jahr Gipfel-Gastgeber ist, kämpft derzeit an allen Fronten darum, seine Kandidatur für die Präsidentenwahl im November zu retten.
Selenskyj: Brauchen mindestens 128 Kampfjets
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte die Verbündeten am Rande des Gipfels zuvor um westliche Kampfjets in hoher Stückzahl gebeten. Selenskyj sagte am Vorabend der Ankündigung bei einer Rede in der Ronald-Reagan-Stiftung in Washington, die Ukraine hoffe in diesem Sommer auf die ersten einzelnen Maschinen vom Typ F-16. Dabei brauche sein Land mindestens 128 Kampfflugzeuge. Russland könne täglich 300 Flugzeuge zu Angriffen auf die Ukraine einsetzen.
Nach ukrainischen Medienberichten fand Selenskyj einen originellen Vergleich für das Warten auf die Entscheidungen der Partner: „Wissen Sie, wir warten immer. So wie meine Mutter früher nach der Schule auf mich gewartet hat, und ich immer einen Grund fand, später zu kommen. Das ist dasselbe, nur viel ernster.“
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Dritte wichtige Nachricht war die strategische Stationierung von Waffen in der Bundesrepublik. Genannt wurden neben Tomahawk-Marschflugkörpern auch Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte Überschallwaffen, „die eine deutlich weitere Reichweite haben als gegenwärtige landgestützte Systeme in Europa“.
Die Marschflugkörper („Cruise Missiles“) sind wie auch das deutsche Waffensystem Taurus in der Lage, im Tiefflug weit in gegnerisches Gebiet einzudringen und wichtige Ziele zu zerstören. Dazu können Kommandostellen, Bunker und Radaranlagen gehören. Dabei wird der Tomahawk von Schiffen oder U-Booten eingesetzt, während der Taurus von Flugzeugen aus gestartet wird.
US-Präsident Joe Biden hatte seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine die Truppenpräsenz in Deutschland und Europa verstärkt, um das Nato-Territorium besser zu schützen. Biden versichert immer wieder, die Vereinigten Staaten stünden unumstößlich zu ihren Bündnispflichten in der Militärallianz und würden jeden Zentimeter von Nato-Territorium verteidigen. Mit einem Machtwechsel im Weißen Haus könnte sich das aber ändern.
dpa