Der Kreistag in Unna hat am Dienstag (14. Januar) in nicht-öffentlicher Sitzung einer Übernahme der Eurobahn durch den Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) für einen symbolischen Euro zugestimmt.
Wie aus sicherer Quelle zu erfahren war, haben 51 Abgeordnete mit ja, vier mit nein gestimmt, bei einer Enthaltung. Der Kreistag musste bei seiner Entscheidung offenbar ein millionenschweres Risiko von Rückforderungen in Betracht ziehen.
Laut einem streng vertraulichen Bericht an den NWL, der unserer Redaktion schon vor Beginn der Sitzung vorlag, kann die renommierte Wirtschaftskanzlei Heuking nicht abschließend beurteilen, ob 2023 an die Eurobahn ausgezahlte Fördermittel möglicherweise zurückgezahlt werden müssen.

Risiko einer Rückzahlung von 5,481 Millionen Euro
„Aus der Prüfung ergeben sich derzeit noch dem Grunde und der Höhe nach nicht abschließend bestimmbare rechtliche Risiken, die in einer Gesamtschau (...) der Entscheidung über den Kauf der Eurobahn zugrunde zu legen sind, soweit sie nicht noch durch die Eurobahn ausgeräumt oder reduziert werden“, heißt es wörtlich.
Die Verkäuferin der Eurobahn habe bis zum Stichtag am 2. Oktober 2024 „einige wesentliche Unterlagen und Informationen (...) nicht, unvollständig oder teilweise geschwärzt vorgelegt“, schreiben die Wirtschaftsanwälte der Kanzlei Heuking.
Der Bericht an den NWL stammt vom 1. Dezember 2024. Nach Informationen unserer Redaktion fehlen wesentliche Angaben der Eurobahn bis heute. Heuking hatte den Auftrag für einen sogenannten Due-Diligence-Bericht.
„Due Diligence“ bedeutet sinngemäß sorgfältige Prüfung und wird bei größeren Geschäftsübernahmen von der Käuferseite, also hier durch den NWL, in Auftrag gegeben, um Transaktionen mit großem Wirtschaftsvolumen abzusichern.
Die vom finanziellen Umfang her größten Risiken liegen laut Heuking bei Erleichterungen, die die Eurobahn 2023 nach dem Gesetz über die Strompreisbremse (StromPBG) in Anspruch genommen hat. In Raum steht dem Bericht zufolge eine Summe von rund 5,481 Millionen Euro.
Heuking: Eurobahn machte unvollständige Angaben
„Ob die Eurobahn KG weitere Erleichterungen nach dem StromPBG in Anspruch genommen hat und die Erleichterungen dem Risiko einer Rückzahlung unterliegen, ist aufgrund der Unvollständigkeit der vorgelegten Unterlagen nicht ersichtlich“, schlussfolgern die Gutachter.
Auch hinsichtlich der Umlage nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) bestünden Unklarheiten, weil Angaben dazu fehlten. Demnach sei der Eurobahn 2024 vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) auf ihren Antrag hin zunächst eine begrenzte Umlagehöhe gewährt worden.
„Es besteht ein hohes Risiko, dass das BAFA der Rechtsauffassung der Eurobahn KG nicht folgt und die vereinnahmten Erleichterungen zurückfordert“, warnen die Wirtschaftsanwälte. Die Höhe dieser Erleichterung sei nicht ersichtlich.

Ein weiteres Risiko einer Rückforderung besteht laut dem Heuking-Bericht auch wegen in Anspruch genommener Erleichterungen bei der Stromsteuer. Bereits in früheren Jahren habe die Eurobahn Rückzahlungen leisten müssen, weil sie nicht anspruchsberechtigt war.
„Obwohl wir sämtliche Unterlagen auch in Bezug auf die Jahre 2023 und 2024 abgefragt haben, liegen uns dazu keinerlei Information vor“, berichten die Gutachter und fügen hinzu: „Wir können daher nicht ausschließen, dass die Eurobahn KG in diesem Zeitraum Erleichterungen in Anspruch genommen hat, die sie (...) nicht hätte in Anspruch nehmen dürfen.“ Die Höhe der Steuererleichterungen, die zurückgefordert werden könnten, sei unbekannt.
Dem Vernehmen nach sind diese Risiken den Fraktionen des Kreistags von NWL-Geschäftsführer Joachim Künzel durchaus mitgeteilt worden. Der NWL beruft sich für die angestrebte Übernahme der Eurobahn auf das Gesamturteil im Gutachten, wonach es hierzu keine Alternative gebe, wolle man die Zugverkehre der Eurobahn auch künftig sicherstellen.
Verkehrsministerium: Bestandsverkehre bis 2027 abgesichert
Zu der Frage, wie lange dies nach einer Übernahme möglich sein wird, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Als sicher gilt ein Zeitraum bis 2027. „Aufgrund der bisherigen Prognosen sind die Bestandsverkehre in NRW bis zum Jahr 2027 finanziell abgesichert“, lautete insofern auch eine Antwort des NRW-Verkehrsministeriums am Montag (13. Januar) auf eine acht Tage alte Anfrage unserer Redaktion.
Die Landesregierung kümmere sich grundsätzlich darum, die Bestandsverkehre zu sichern. „Das gilt auch für die Eurobahn. Deshalb stehen wir in einem engen Austausch mit dem Aufgabenträger NWL. Wir halten den eingeschlagenen Weg des NWL für plausibel“, teilte die Pressestelle des Ministeriums weiter mit.
Laut NWL könnten, eine Zustimmung sämtlicher 19 Trägerkommunen des NWL vorausgesetzt, die „aktuell stark defizitären Verkehrsverträge der Eurobahn“ angepasst und neu ausgeschrieben werden. NWL-Geschäftsführer Joachim Künzel wörtlich: „Der Betrieb wäre bis zum Auslaufen des letzten Verkehrsvertrages 2032 gesichert.“
Neben den von Heuking aufgerufenen Rückzahlungsrisiken von Fördermitteln, die den NWL bei einer Übernahme treffen könnten, schlägt den Kreistagspolitikern und dem Vernehmen nach auch dem Landrat eben diese Ungewissheit einer Sicherstellung der Zugverkehre bis 2032 auf den Magen.
Sollte die optimistische Prognose des NWL, die Verkehrsverträge bis 2032 erfolgreich neu ausschreiben zu können, nicht eintreffen, müssten teure Notvergaben der Linien des Eurobahnnetzes an Eisenbahnunternehmen erfolgen.
Landrat: Kommunen könnten am Ende im Regen stehen
Die Kosten träfen, folgt man der Argumentation aus Politikerkreisen, dann die Kommunen, weil sie laut ÖPNV-Gesetz in NRW finanzieller Gewährsträger für den Schienenpersonennahverkehr sind.
Die Pressestelle des Ministeriums äußerte sich mit keiner Silbe zu dieser Frage unserer Redaktion: „Schließt die Landesregierung aus, dass es im Fall NWL/Eurobahn zu einer Umlage der Städte und Gemeinden in den 19 Verbandskommunen kommen wird?“
Dieses Risiko sieht jedenfalls die SPD-Fraktion im Kreistag. In einer Pressemitteilung vom vergangenen Wochenende wird Fraktionsvorsitzender Hartmut Ganzke zitiert: „Die Rettung der Eurobahn darf nicht allein auf den Schultern der Kreise und kreisfreien Städte in Westfalen-Lippe lasten.“
Dem Vernehmen nach hat Landrat Mario Löhr bereits am vergangenen Mittwoch (8. Januar) in einer Sitzung des Ältestenrates des Kreistages ebenfalls seine dringende Sorge bekundet, dass die Kommunen am Ende vom Land im Regen stehen gelassen werden könnten.
Denn ob man der Übernahme der Eurobahn durch den NWL zustimme oder nicht – die Politik könne es fast nur falsch machen, weil entweder die Finanzierung nicht länger als bis 2027 reicht oder, wenn der NWL nicht übernimmt, teure Notvergaben für die Eurobahn-Strecken schon sofort drohen könnten. Insofern war gar von einer „Gewissensentscheidung“ der Kreistagsmitglieder die Rede – diese ist nun pro Eurobahn-Übernahme ausgefallen.
Es stehen nun die noch fehlenden Entscheidungen in den Kreistagen in Soest, Meschede und Höxter an. Schließlich müssen Beschlüsse in den fünf Mitgliedszweckverbänden ZRL (Ruhr-Lippe), ZVM (Münsterland), VVOWL (Ostwestfalen-Lippe) NPH (Paderborn/Höxter) und ZWS (Westfalen-Süd) sowie abschließend in der NWL-Verbandsversammlung im Januar 2025 erfolgen.