Im Kreistag geht die Sorge vor der Belastung der Kommunen mit Millionensummen um. Auslöser für die Beunruhigung im Kreis Unna ist die im Raum stehende Übernahme der Eurobahn durch den in Unna ansässigen Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) – und das womöglich schon sehr kurzfristig.
Grund für Befürchtungen bietet offenbar die wirtschaftliche Situation bei der Eurobahn. Das staatliche französische Verkehrsunternehmen Keolis hatte sich Ende 2021 von seiner deutschen Tochter getrennt, weil sie Dauerverluste einfuhr. Ursache war vor allem, dass Personal- und Energiekosten stark angestiegen waren.

Eurobahn wird treuhänderisch verwaltet
Seither ist ein Tochterunternehmen der unter anderem in Düsseldorf ansässigen Anwaltskanzlei Noerr, die TEAM Treuhand GmbH, Eigentümerin der Eurobahn GmbH. Mit Wirkung zum 1. Januar 2022 wurde die Noerr-Tochtergesellschaft TEAM Treuhand GmbH wiederum über eine Tochtergesellschaft, die SG eurobahn UG (haftungsbeschränkt), neue Gesellschafterin der Eurobahn GmbH & Co. KG.
Ziel ist es laut Noerr, „die Eurobahn zukunftsfähig aufzustellen, Stabilität und Leistungsfähigkeit zu sichern und dabei die Wirtschaftlichkeit herzustellen, um die Weichen für einen neuen, strategischen Investor in der Zukunft zu stellen“.
Die Eurobahn fährt im Kreis Unna auf den Linien RB 50 Münster-Dortmund („Der Lüner“), RB 59 Dortmund-Unna-Soest („Hellweg-Bahn“), RE 3 Düsseldorf-Hamm („Rhein-Emscher-Express“) sowie RE 13 Venlo-Düsseldorf-Hamm („Maas-Wupper-Express“).
Wegen angespannter Personallage hatte die Eurobahn in ihrem Netz im Münsterland bereits im April ihre Taktung bei der RB 65 (Münster–Rheine), RB 66 (Münster–Osnabrück) und RB 67 (Münster–Warendorf–Bielefeld) ausgedünnt. Auch im Kreis Unna gab es massive Probleme.
Man habe aber zuletzt auch Erfolge bei der Personalgewinnung gehabt, berichtete Eurobahn-Sprecherin Elke-Katharina Sajovitz im August. Auch in Ostwestfalen/Teutoburger Land fährt die Eurobahn und ist damit einer der größten Zugbetreiber in NRW.
NWL kündigte Übernahmegespräche an
Der NWL hatte wegen der Probleme bereits im Juni gegenüber unserer Redaktion angekündigt, das Bahnunternehmen übernehmen zu wollen. Gegenüber den Westfälischen Nachrichten hatte NWL-Geschäftsführer Joachim Künzel schon kurz nach Einführung des Notfahrplans im Münsterland deutlich gemacht: Das Streichen von Fahrten sei als Sparmaßnahme nicht geeignet.
Große Skepsis bei Kreispolitikern in Unna herrscht angesichts der unklaren wirtschaftlichen Situation bei der Eurobahn. SPD-Fraktionsvorsitzender Hartmut Ganzke machte am Montag (9.12.) in der Sitzung des Kreisausschusses erstmals öffentlich, dass er im schlimmsten Fall hohe Kosten für Kreis und Kommunen befürchte.
„Wenn wir das machen, dann haben wir eine neue Millionen-Umlage“, warnte Ganzke am Dienstag im Gespräch mit unserer Redaktion. Als derart unwägbar schätze er jedenfalls das wirtschaftliche Risiko einer Eurobahn-Übernahme ein.
Der Grund für Ganzkes Drohszenario: Weil der Kreis Unna gemeinsam mit 18 weiteren Kreisen und kreisfreien Städten in Westfalen-Lippe Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs ist, stecken die Kommunen des NWL im Krisenfall in einer Haftung.
Bislang reichten die vom Land fließenden sogenannten Regionalisierungsmittel für den Schienenverkehr aus, ohne dass Kreise, Städte und Gemeinden mit Kosten belastet worden waren – mit Blick auf die im Raum stehende Übernahme der angeschlagenen Eurobahn könnte sich das ändern.
Land NRW soll Bürgschaft übernehmen
Jedenfalls sind die Bedenken nun so groß geworden, dass der Kreistag am Dienstag (10.12.) zwei Tagesordnungspunkte aus dem nicht öffentlichen Teil seiner Sitzung absetzte: darunter der eine beredte Sprache sprechende Punkt „Aktuelle Entwicklungen im Markt des Schienenpersonennahverkehrs und Maßnahmen zur Risikovermeidung“.
Stattdessen ist nach Informationen unserer Redaktion eine Sondersitzung des Kreistages am 14. Januar vorgesehen. Eigentlich war am Dienstag wohl bereits ein Grundsatzbeschluss des Kreistages pro Übernahme der Eurobahn durch den NWL vorgesehen gewesen. Für ein solches Geschäft des Nahverkehrsverbandes ist ein einstimmiges Votum aller 19 kommunalen Träger erforderlich; in sämtlichen Räten und Kreistagen stehen daher in diesen Tagen Abstimmungen an.
Die Absetzung folgte nach Hinweisen von Hartmut Ganzke. Der Abgeordnete des Landtages kündigte an, dass in den nächsten Wochen im Landtag auf eine Patronatserklärung des Landes NRW hingewirkt werden soll.
Ähnlich einer Bürgschaft würde das Land dadurch für eventuell entstehende Zahlungsverpflichtungen der NWL-Kommunen nach Übernahme der Eurobahn finanziell einstehen. Die Landesregierung versperre sich bislang jedoch einer solchen Lösung.
Ganzke: Bahnbetrieb zu groß für NWL
Im Gespräch mit unserer Redaktion untermauerte Hartmut Ganzke die Sorgen des Kreistages. Es bestünden, so Ganzke, schon erhebliche Zweifel daran, dass der NWL überhaupt in der Lage sei, ein Verkehrsunternehmen wie die Eurobahn zu betreiben. Die Eurobahn hat rund 850 Mitarbeiter und macht im Jahr 240 Millionen Euro Umsatz. Der NWL ist bislang vor allem für die Vergabe von Linien zuständig. Mit Lokwerkstätten etwa kennt sich der Verband nicht aus.
Im Insolvenzverfahren des Bahnunternehmens Abellio, von dem vor allem der VRR betroffen war, habe das Land NRW, so Ganzke, 2021/2022 eine Bürgschaft von 450 Millionen Euro übernommen – eine solche Gewährleistung durch Düsseldorf sei auch im Falle der Eurobahn erforderlich.
Alternativen scheint es nach Informationen unserer Redaktion kaum zu geben. Kenner des Marktes gehen davon aus, dass sich kein privatwirtschaftlich betriebenes Unternehmen finden lassen werde, das die Eurobahn übernehmen wird. Die im schlimmsten denkbaren Fall allein sonst noch möglichen sogenannten Notvergaben der Eurobahn-Linien an andere Unternehmen wie die DB, um den Zugverkehr aufrechterhalten zu können, könnten, so heißt es, dagegen doppelt so teuer werden.
Ein ÖPNV-Gesetz, das die Kommunen mit den Aufgaben des Schienenpersonennahverkehrs betraut, gibt es außer in NRW sonst in keinem Bundesland. Nach Meinung von Ganzke wird eine staatliche Aufgabe unzulässiger Weise „kommunalisiert“. Der SPD-Fraktionschef: „Es kann nicht Aufgabe von Kommunen sein, dass sie Züge fahren lassen sollen.“
Um Stellungnahmen zum Stand der Übernahmeverhandlungen sind der NWL und die Eurobahn GmbH & Co. KG am Dienstag (10.12.) von unserer Redaktion gebeten worden.