„Stolzmonat“ statt Pride Month Wie Rechte den Kampf für Gleichberechtigung kapern wollen

„Stolzmonat“ statt Pride Month: Wie Rechte den Kampf für Gleichberechtigung kapern wollen
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Alljährlich im Juni verändert sich die Welt in den sozialen Medien. Die Profilbilder zahlreicher Privatpersonen, Politikerinnen und Politiker sowie Unternehmen hüllen sich in Regenborgenfarben. Sie zelebrieren den Pride Month, um an den Kampf für Gleichberechtigung der LGBTQIA+-Community zu erinnern.

In diesem Jahr ist noch eine andere Flagge in den Profilbildern zu sehen. User von Twitter und Facebook präsentieren sich mit einer Abfolge von Schwarz-, Rot- und Gelbtönen. Sie zelebrieren den „Stolzmonat“. Was zunächst nur eine wörtliche Übersetzung des Pride Month ist, hat eigentlich ganz andere Ziele.

Wo die Ursprünge der Kampagne liegen, ist nicht ganz klar. Bei Twitter findet sich der Begriff „Stolzmonat“ nicht vor 2019. Zunächst wurde er auch überwiegend als Übersetzung für den Pride Month benutzt. Spätestens 2021 setzte dann die rechte Umdeutung ein: Die Junge Alternative Sachsen-Anhalt – die Jugendorganisation der AfD – teilte im Juni ein Bild mit der abgewandelten Deutschland-Flagge und dem Text „Auch wir möchten uns an #Pride2021 beteiligen und unseren #Nationalstolz zum Ausdruck bringen“. Ein Retweet eines Users brachte dann erstmals Flagge und Begriff zusammen: „Stolzmonat, meine Freunde“, schrieb er.

Trend oder koordinierte Kampagne?

Der Twitter-Nutzer, der sich Marius nennt, legt seine Weltsicht in seinem Profil offen: „Ein weiterverbreitetes Problem in der Rechten ist mangelnde Kenntnis linker Taktiken & Strategien. (…) Linke deuten Begriffe gerne still und heimlich um und manipulieren so Diskurse in ihre Richtung. Wir müssen das erkennen lernen“, heißt es in einem Tweet, der ganz oben in seinem Profil angepinnt ist. Ist der „Stolzmonat“ also ein Versuch, eine angeblich linke Begriffsumdeutung rückgängig zu machen?

Die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl macht die Emotionalisierung und Polarisierung der gesellschaftspolitischen Agenda als Ziel der Kampagne aus. „Das ist der Versuch, sich selbst als unterdrückte Gruppe zu markieren“, schreibt sie in einem Text für das Momentum-Institut über den „Stolzmonat“. Die Rechten würden ihre Identität von den Personen bedroht sehen, die eigentlich den Pride Month feierten. „Jedes Sichtbarmachen einer marginalisierten Gruppe wird als Angriff auf die Mehrheit gewertet. Die Kulturkampfrechte schwingt sich zu den Verteidigern dieser Mehrheit auf und begibt sich in eine Opferposition“, erklärt Strobl.

Veronika Kracher, die unter anderem zu rechten Phänomenen im Internet forscht, schreibt in einem Beitrag für die Amadeu-Antonio-Stiftung: „Suggeriert werden soll die organische Entstehung eines Trends, der von vielen Menschen getragen wird. Dies ist aber nicht wirklich der Fall, sondern es gibt Hinweise auf eine Koordinierung.“

Diejenigen, die offensiv für den „Stolzmonat“ werben, sind vor allem Blogger, Youtuber und Podcaster aus der rechten Szene. Unter ihnen ist auch Martin Sellner, Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung. „Wenn Menschen fragen, wieso man auf sein Land stolz ist, frage sie zurück, wieso sie auf ihre Queerness stolz sind“, fordert er in einem Video auf.

Rechte kapern Abstimmung zum Jugendwort des Jahres

Kracher macht als zentrales Element der Kampagne einen „memetic warfare“ aus – also einen Krieg der humoristischen Bildchen. „User*innen können sich alle aktiv an der Hetze beteiligen, Memes erstellen, sich vernetzen und daran erfreuen, andere zu ‚triggern‘“, schreibt sie. Auf einer Website zum „Stolzmonat“, die mittlerweile nicht mehr verfügbar ist, gab es einen Bildgenerator, mit dessen Hilfe man sein Profilbild mit einem Hintergrundbild aus den deutschen Nationalfarben hinterlegen konnte. Aber auch ohne die Website sind zahlreiche Memes zur Aktion im Umlauf.

Zur Kampagne gehörte auch der Versuch, den „Stolzmonat“ zum Jugendwort des Jahres zu machen. Zahlreiche Twitter-Nutzerinnen und ‑Nutzer riefen dazu auf, das Wort auf der Website des Langenscheidt-Verlags, der die Abstimmung organisiert, vorzuschlagen. Der Verlag ließ das nicht zu: „Einreichungen mit beleidigendem, rassistischem, sexistischem und homophobem Bezug sowie offensichtliche Kampagnen einzelner Personen(gruppen) oder Organisationen, deren Wörter nicht als repräsentativ für die Jugend in Deutschland anzusehen sind, werden im Rahmen der Ermittlung der Top 10 ausgeschlossen“, heißt es in einem Statement.

Bodo Ramelow wird wegen Regenbogenflagge angefeindet

Alles dient dem Zweck, die Bewegung größer erscheinen zu lassen, als sie eigentlich ist. Eine Schneeballaktion soll die Deutschland-Flagge auch physisch auf die Straße bringen: Jeder soll jeweils drei Freunde nominieren, die innerhalb von 72 Stunden ein Foto mit der Fahne machen müssen – und wiederum drei Personen nominieren sollen. Björn Höcke hat teilgenommen, ebenso wie viele seiner Parteifeundinnen und ‑freunde. Und in Österreich wird die Kampagne ebenfalls befeuert: Beispielsweise Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) twitterte zum „Stolzmonat“.

Für diejenigen mit der echten Regenbogenflagge im Profil hat die Aktion unangenehme Auswirkungen: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) schreibt auf Twitter, er werde mit Hass überschüttet, seitdem er ein Bild mit der bunten Fahne gepostet habe. Er erklärt: „Accounts, die mit #Stolzomat gekennzeichnet sind, versuchen mich einzuschüchtern. Gerade deshalb erkläre ich mich mit der Pride solidarisch. Dafür muss ich nicht schwul sein, nur weltoffen und solidarisch!“

RND

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