Für eine Marler Familie wird auch das neue Jahr überschattet von der Trauer um die eigene Tochter. Die Erinnerung an die traumatische Nacht vor fünf Monaten, in der sie aus dem Leben gerissen wurde, steigt immer wieder auf. Der Vater wurde wach und bemerkte einen Gasgeruch. Er fand seine 13-jährige Tochter leblos im Bad, gab verzweifelt alles, um sie zu reanimieren. Sie erlitt eine Kohlenmonoxidvergiftung. Offenbar hatte sie warmes Wasser einlaufen lassen. Dabei soll die Gastherme angesprungen sein.
Die kleinen Töchter, heute eineinhalb und zweieinhalb Jahre alt, schliefen im anderen Zimmer und konnten gerettet werden. Minuten danach hätte es auch für sie zu spät sein können, sie wurden mit Vergiftungen ins Krankenhaus gebracht. Wie die Familie wurden auch die Rettungskräfte in dieser Nacht von Notfallseelsorgern betreut - die Eltern arbeiten selbst für den Marler Rettungsdienst.

War die Gastherme defekt?
„Es wird Jahre dauern, das zu verarbeiten. Meine Frau und ich sind immer noch auf der Suche nach einer Therapie“, sagt der Vater. In dieser Zeit des Schmerzes lässt der Vermieter nicht mit hohen Nachforderungen locker. Obwohl ihm selbst ein Strafverfahren droht.
Mehrfach hatte ihn Rechtsanwalt Werner Krings im Auftrag der Familie darauf hingewiesen, dass die Gastherme defekt sei. Doch der Vermieter habe dies bezweifelt und keine Reparatur in die Wege geleitet. „Ich werde nichts ins Haus stecken, weil ich sowieso verkaufen will“, soll er gesagt haben. Das berichtet der Vater.
Staatsanwaltschaft und Polizei gaben Gutachten zur Therme und zum Schornstein in Auftrag. Sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind, wollen die Anwälte der Familie prüfen, ob sie ein Strafverfahren wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung einleiten.
Falls nachgewiesen wird, dass er die Reparatur unterlassen hat, um Kosten zu sparen, könnte der Vermieter sogar wegen Totschlags verurteilt werden. Dessen ungeachtet pocht er auf eine Nebenkosten-Nachzahlung in Höhe von 1487 Euro. Anwalt Werner Krings weist die Forderung zurück: Der Mehrverbrauch habe sich ergeben, weil die Therme defekt war. Also müsse der Vermieter die hohen Energiekosten tragen.
Schimmel im Schlafzimmer
Zusätzlich soll der Vermieter gefordert haben, dass die Familie unverzüglich die wegen gravierender Mängel einbehaltene Miete nachzahlt. Weil er ihre neue Adresse nicht kennt, habe er seine Forderung an die Eltern des Vaters geschickt und mit rechtlichen Schritten gedroht. „Das ist unverschämt, meine Eltern mit reinzureißen“, sagt der Vater. Ebenso unverschämt findet er es, dass der Vermieter trotz schlimmer Mängel in der Wohnung noch Geld kassieren wolle.
Im Mauerwerk seien Löcher, durch die Feuchtigkeit ins Haus drang. So habe sich im Schlafzimmer Schimmel gebildet. Die beiden jüngeren Töchter hätten deswegen mit einer Kehlkopfentzündung im Krankenhaus behandelt werden müssen, erzählt der Vater. Der Vermieter weise jede Verantwortung von sich: „Er stellt es so dar, als sei alles unser Verschulden.“
„Tickende Zeitbombe“
Zweimal habe der Vermieter Handwerker geschickt, die dem Vater unseriös vorkamen. Sie hätten von „Bedienungsfehlern“ bei der Therme gesprochen, die sonst „in Ordnung“ sei. Auf den Schimmel hätten sie eine Tinktur geschmiert und alles weggewischt. Aber der Schimmel blieb. Kurz darauf sei diese Sanitärfirma insolvent gewesen.
Später habe ein seriöser Meisterbetrieb aus Marl gewarnt, dass ein Notstopp nicht ansprang, wenn Gas austrat. Deshalb sei die defekte Therme eine tickende Zeitbombe und müsse ausgetauscht werden. Genau das geschah nicht, sagt der Vater.
Ins Leben zurückkämpfen
Ob die Vorwürfe zutreffen, werden Gutachten zeigen. Der Vermieter sagt dazu nichts: „Es ist ganz schlimm, was der Familie passiert ist. Da laufen Ermittlungen, vorher werde ich mich nicht äußern.“
Die Familie versucht, sich ins Leben zurück zu kämpfen. „Mit einer Spendenaktion haben uns Arbeitskollegen massiv unterstützt“, erzählt der Vater. So konnten Kosten für die Beerdigung und den Umzug in die neue Wohnung bezahlt werden. „Die Kollegen fragen immer noch, ob wir was unternehmen wollen, ob sie was für uns tun können. Aber es fällt uns schwer, die Nettigkeiten anzunehmen. Wir wollen niemanden belasten.“
„Die Bilder kann man nicht vergessen“
Denn die Psyche mache einen verrückt, fährt der Marler fort: „Bei jedem Duschen hat man Angst, das könnte wieder passieren. Man riecht überall Gas. Das ist psychisch verdammt schwer, wenn die Kleine sagt, sie möchte mit ihrer Schwester auf den Spielplatz schaukeln gehen. Was soll man darauf sagen!?“
Die jüngste Tochter wird von einer Traumatologin betreut, der Mann und seine Frau nehmen Psychopharmaka: Im Rettungsdienst können beide noch nicht arbeiten: „Das wird sicher einige Zeit dauern - wenn wir es überhaupt wieder können.“ Seine Psychotherapie muss das Paar wohl privat aus eigener Tasche bezahlen. Die von der gesetzlichen Krankenkasse finanzierte Behandlung wird erst in acht Monaten beginnen. „Aber wir brauchen jetzt jemanden, der uns konstant und dauerhaft unterstützt. Man sieht immer wieder die Bilder, bei jedem Schlafengehen, wie einen Film. Diese Bilder wird man nicht los.“