Es ist ein Kinobesuch, der das Leben des jungen Sammy Fabelman für immer verändert.
Eigentlich hat er Angst vor dem dunklen, riesigen Saal, von dem seine Eltern ihm erzählt haben, aber ihn lockt auch die Aussicht auf den versprochenen Zirkus: „Die größte Schau der Welt“ von Cecil B. DeMille steht auf dem Programm.
Er muss Filmemacher werden
Aber nicht die überlebensgroßen Trapezkünstler und Clowns ziehen Sammy nachhaltig in den Bann. Sondern eine Szene, in der ein Auto von einem heranrasenden Zug erfasst und in die Luft geschleudert wird. Was für eine Wucht!
Zum nächsten Fest wünscht sich der Junge eine elektrische Eisenbahn – und dreht die Szene mit der Super-8-Kamera seines Vaters nach. Keine Frage: Er muss selbst Filmemacher werden.
Ehe der Eltern
Mit dieser Liebeserklärung an die Leinwand beginnt das Melodram „Die Fabelmans“, in dem der heute 76-jährige Steven Spielberg den eigenen Werdegang und die Geschichte seiner Familie beleuchtet.
Der Regisseur erzählt, wie der heranwachsende Sammy (Gabriel LaBelle) seine ersten Horrorfilme mit Ketchup-Effekten und frühe Western dreht (wobei ins Filmmaterial gepikste Löcher den Effekt von abgefeuerten Waffen herstellen).
Zugleich rückt die schwierige Ehe der Eltern in den Fokus.
Die Kamera erzählt Geschichten
Sammys Vater Burt (Paul Dano) ist ein Computerpionier und Workaholic, fast nie daheim, die Mutter Mitzi (Michelle Williams) spielt Klavier und wollte ursprünglich selbst Künstlerin werden – ein nie ganz verwundenes Versäumnis.
Die Kamera hilft Sammy, Geschichten zu erzählen, die seine Ängste bannen. Sie legt ihm aber auch ein Familiengeheimnis offen. Auf Material, das er bei verschiedenen Ausflügen gedreht hat, erkennt der Junge am Schneidetisch, wie nahe sich seine Mutter und Bennie stehen – ein Arbeitskollege seines Vaters und Freund der Fabelmans (Seth Rogen), den die Kinder „Onkel Bennie“ nennen.
Bittersüßer Humor
Irgendwann lassen sich Sammys Eltern scheiden, was Spielberg nicht als großes Drama zeigt, sondern wehmütig geschehen lässt.
Überhaupt sind Sammys Coming-of-Age-Erfahrungen – die Entwurzelung durch verschiedene Umzüge, Antisemitismus an der High School, eine scheiternde erste Liebe – berührend melancholisch inszeniert, auch mit bittersüßem Humor.
Kinoträume haben ihren Preis
Spielberg, der das Drehbuch zusammen mit dem Dramatiker Tony Kushner („Angels in America“) verfasst hat, erzählt davon, wie die Kunst hilft, den Schmerz zu verarbeiten – und dass letztlich das eine nicht ohne das andere zu haben ist.
Kinoträume haben ihren Preis. Aber sie sind es wert, wahr zu werden. Daran lässt der Schöpfer von Werken wie „E.T.“, „Der weiße Hai“ oder „Jurassic Park“ keinen Zweifel.

Besuch vom Onkel
Am Schluss darf Sammy dem glühend verehrten Hollywood-Haudegen John Ford gegenübertreten (gespielt von David Lynch!), der ihm buchstäblich den Filmhorizont erweitert. Eine herrliche Hommage, bigger than life.
Einmal, in einer der schönsten Szenen des Films, bekommen die Fabelmans Besuch vom schrulligen Onkel Boris (Judd Hirsch), in dessen Adern echtes Zirkusblut fließt.
Der Kopf im Raubtier-Rachen
Auch von ihm lernt Sammy eine Lektion fürs Leben, beziehungsweise fürs Showbusiness: „Du denkst, den Kopf ins geöffnete Löwenmaul zu stecken, ist Kunst?“, fragt Boris. „Nein, dafür zu sorgen, dass der Löwe nicht zubeißt – das ist Kunst!“.
Steven Spielberg, so viel steht fest, hat seinen Kopf noch immer erfolgreich aus dem Raubtier-Rachen gezogen.
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