Dr. Oliver Ziehm ist Vorsitzender der Landeselternschaft der nordrhein-westfälischen Gymnasien. Er bringt das Problem so auf den Punkt: „Die Teuerungsrate ist hoch, die Löhne steigen nicht proportional, die Fahrten werden auch teurer. Deshalb wird es immer mehr Familien geben, in denen die Finanzierung von Klassenfahrten ein Problem wird.“
Besonders betroffen seien dabei die, deren Einkommen zu hoch ist, um Gelder aus dem Bildungs- und Teilhabepaket beantragen zu können, allerdings zu niedrig, um solche Fahrten ihrer Kinder problemlos zu finanzieren. Für jene, die Hartz IV, Sozialhilfe, Wohngeld oder Hilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, trägt der Staat die Kosten der Klassenfahrten, für alle anderen nicht.
„Fördervereine können nicht immer einspringen“
„Es ist ein unangenehmer Punkt, wenn Familien es sich nicht leisten können und darauf angewiesen sind, dass andere einspringen“, sagt Ziehm. Schließlich sei bei vielen die Hemmung groß, zu sagen, dass sie es sich nicht leisten können. Im Übrigen könnten auch die Fördervereine nicht immer einspringen.
Dabei seien Klassenfahrten extrem wichtig: „Gemeinsame Klassen- und Studienfahrten in unbekannte Städte oder Länder sind ein elementarer Bestandteil im Schulleben und für immer prägende Erlebnisse. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung unserer Kinder“, sagt Ziehm, und ergänzt: „Es darf aber nicht sein, dass anstelle der Fahrt nach Berlin aus Kostengründen nur noch eine Fahrt nach Bonn übrig bleibt. Hier ist der Punkt erreicht, an dem sich das Land sehr schnell und deutlich stärker engagieren muss.“
Zweifache Forderung an das Land NRW
Und dabei gebe es einiges zu tun, sagt Ziehm und verweist auf eine Befragung von Schulleitern und Lehrern durch die Landeselternschaft. Dabei habe man einige Missstände entdeckt. Der Verdacht habe sich bestätigt, dass Teile der Lehrerkosten auf die Eltern abgewälzt würden. „Das geschieht nicht direkt, sondern etwa dadurch, dass ein Veranstalter zwei Freiplätze für Begleitpersonen anbietet.“ Die Kosten dieser Plätze würden dann auf die Schüler umgelegt.
Das aber könne und dürfe nicht sein, sagt Ziehm, die Kosten für die Lehrerinnen und Lehrer müssten vom Land getragen werden. Und es gehe auch nicht, dass Lehrer einen Teil der Fahrtkosten selbst tagen müssten, sagt Ziehm, der zwei ganz konkrete Forderungen an das Land hat. Erstens müsse er das Budget für die Reisekosten der Lehrerinnen und Lehrer so aufstocken, dass deren Kosten immer zu 100 Prozent daraus bezahlt werden könnten.
Seit Jahren liege das Budget des Landes dafür unverändert bei 13,5 Millionen Euro. Das aber reiche bei weitem nicht aus, um die Kosten zu decken. Zum anderen müsse das Reisebudget des Landes für Klassenfahrten insgesamt aufgestockt werden, damit alle Schulen bei Klassenfahrten finanziell vom Land unterstützt würden, um die Kosten für die Eltern in Grenzen zu halten.
Thema Klassenfahrten wird in Schulen diskutiert
„Nein“, sagt Birgit Völxen, Anrufe von Eltern habe sie noch nicht erhalten, aber: „Wir wissen, dass das Thema Klassenfahrten in den Schulen diskutiert wird.“ Birgit Völxen leitet die Geschäftsstelle der Landeselternschaft der Grundschulen in Bochum. Bei ihr kommen viele Informationen aus den knapp 2.800 Grundschulen in Nordrhein-Westfalen an.
Nun geht es in den Grundschulen nicht um teure Skifreizeiten oder Auslandstouren, sondern in der Regel um dreitägige Kurzfahrten. Trotzdem seien die Fahrtkosten auch schon vor Corona teurer geworden und ein Gesprächsthema gewesen. Das Ganze habe sich jetzt nach Corona und mit der steigenden Inflation noch verschärft.
Selbst gemachtes Problem: Was brauchen Kinder wirklich?
Zum Teil, sagt Birgit Völxen, seien stark gestiegene Preise aber auch selbst verursacht: „Es ist doch die Frage, was man einkauft. Wenn man neben der Unterkunft etwa in der Jugendherberge auch noch ein Programm einkauft, wird das natürlich teurer. Das kostet dann extra.“ Der Trend gehe eben auch bei Klassenfahrten dahin, dass man „etwas bieten“ müsse.
Wenn sie Eltern berate, sagt Birgit Völxen, stelle sie immer die Frage: „Was brauchen Kinder wirklich, um eine Klassengemeinschaften zu stärken? Um sich selbst beweisen zu können?“ Ihrer Einschätzung nach bedürfe es gar nicht großen Aufwands, um Kindern auch auf Klassenfahrten Freude zu bereiten, ohne dass die Qualität leide.
„Man braucht einen Ort mit möglichst viel Natur. Einen Ort, an dem sich Kinder bei aller Beaufsichtigung frei fühlen können, an dem ihre Neugierde geweckt wird, wo sie Gemeinschaft erleben können.“ Dazu müsse man nicht weit wegfahren, das könne auch in der Nähe sein und ein großes externes Programm sei auch nicht notwendig.
Eltern werden auf eigenen Urlaub verzichten müssen
In den Grundschulen gebe es ja keine teuren Auslands- oder Skifahrten, wohl aber in den weiterführenden Schulen. Darüber könne sie nicht als Vertreterin der Grundschulen, sondern nur aus eigener Erfahrung sprechen.
„Schon vor vielen Jahren war es so, dass Eltern für die Klassenfahrten ihrer Kinder – gerade, wenn man mehr als ein Kind hat – auf ihren eigenen Urlaub verzichtet haben“, sagt Völxen. Sie ist sicher: „Das wird jetzt mehr werden.“
Das Problem stelle sich auch nicht in erster Linie bei den ganz armen Betroffenen ein. Deren Fahrten würden über das Bildungs- und Teilhabepaket bezahlt. Problematisch seien die Familien, die so gerade ohne staatliche Unterstützung über die Runden kämen. Für sie seien teure Klassenfahrten eine erhebliche Belastung. „Daher plädiere ich dafür, die Rahmenbedingungen so zu stecken, dass möglichst wenige Eltern bei Fördervereinen um Unterstützung betteln müssen. Wir sollten uns gut überlegen: Wie viele Menschen machen wir mit der geplanten Klassenfahrt zu Bittstellern?“
Dabei müsse man auch berücksichtigen, dass der Druck innerhalb einer Klassen- oder Kursgemeinschaft immens stark sei. In einer solchen Gemeinschaft gebe niemand gerne zu, dass er sich eine solche Fahrt für seine Kinder nicht leisten kann“, sagt Birgit Völxen.
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