Strengere Sanktionen beim Bürgergeld So viele Menschen im Kreis Unna lehnen Arbeitsplatz ab

Bezieher von Bürgergeld lehnen nur selten einen Arbeitsplatz ab
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Bekanntlich plant Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), die Sanktionen für Bezieher von Bürgergeld zu verschärfen, die die Aufnahme von Arbeit dauerhaft verweigern. Vorausgegangen war u.a. Kritik von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der davon sprach, dass ein nennenswerter Anteil an Menschen das System ausnutze. NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) verglich das Bürgergeld mit einem „bedingungslosen Grundeinkommen“.

Der Bundesarbeitsminister positioniert mittlerweile sehr prominent auf der Internet-Startseite seines Ministeriums einen Fakten-Check zum Bürgergeld. „Hier stellen wir gängige Falschaussagen und Richtigstellungen gegenüber“, heißt es dort – dieser journalistische Ansatz ist wohl eine eher ungewöhnliche Vorgehensweise für eine Bundesbehörde.

Nur 30 Pflichtverletzungen

Fakten liefert definitiv das Jobcenter im Kreis Unna zum Bezug des Bürgergeldes zwischen Selm und Schwerte. Die Zahl derjenigen Empfänger dieser Sozialleistung, die die Aufnahme einer angebotenen Arbeitsstelle verweigert haben und dafür sanktioniert worden sind, mag überraschen.

Im Dezember 2023 waren beim Jobcenter 23.377 erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Rechtskreis des SGB II gemeldet. Daneben betreute das Jobcenter Ende des vergangenen Jahres 9.141 nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte; die Menschen lebten in 16.963 Bedarfsgemeinschaften, also in Partnerschaften oder Familienverbänden.

Die Gesamtzahl der Bezieher von Bürgergeld war im Vergleich zu den Zahlen bei Hartz IV im Laufe des Jahres 2023 gestiegen.

Gegen erwerbsfähige Bürgergeldbezieher sind in den Monaten Mai bis September 2023 insgesamt 30 Sanktionen ausgesprochen worden (Mai: 4; Juni: 12; Juli: 7; August: 3; September: 4). Im März gab es keine Sanktion, im April lag sie im datenschutzrechtlich nicht zu erfassenden Bereich, also bei weniger als drei. Zahlen für Oktober bis Dezember 2023 liegen noch nicht vor.

Außerdem galt bis Februar 2023 noch ein Sanktionsmoratorium, demnach wurden Pflichtverletzungen wegen der Umstellung von Hartz IV auf das heutige Bürgergeld zum 1. Januar 2023 nicht oder eingeschränkt geahndet.

Gründe für Sanktionen

Grund für die Sanktionen: Die Sozialleistungsempfänger hatten entweder die Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit verweigert oder sich entsprechend unkooperativ hinsichtlich einer Ausbildung, einer Arbeitsgelegenheit oder einer Weiterbildungsmaßnahme gezeigt.

Bei der ersten Pflichtverletzung, etwa der Ablehnung eines zumutbaren Arbeitsangebotes, wird der Regelbedarf um zehn Prozent für einen Monat gemindert. Bei einer zweiten Pflichtverletzung sind es 20 Prozent für zwei Monate und in der dritten Pflichtverletzung 30 Prozent für drei Monate.

Das Bundeskabinett hat am 8. Januar 2024 beschlossen, dass Jobcenter künftig Betroffenen das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen können, wenn sie die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit beharrlich verweigern.

Am Donnerstag (18. Januar) wurde bekannt, dass es die schärferen Sanktionen einem Kompromiss zufolge zunächst nur befristet für zwei Jahre geben soll. Das wurde dem ARD-Hauptstadtstudio aus Regierungskreisen bestätigt.

Umgekehrt gibt es mitunter auch Klagen auf höhere Bürgergeldsätze von Berechtigten, die im Kreis Unna allerdings meistens erfolglos verlaufen.

Jobcenter bedauert polarisierende Debatte

Das Jobcenter im Kreis Unna bedauert angesichts der recht geringen Zahl von Sanktionen in seinem Zuständigkeitsbereich polarisierende Schlagzeilen vor allem in Boulevard-Medien.

„Man kann nicht alle Bürgergeldempfänger in eine Schublade stecken, man kann nicht sagen: Bei uns im Kreis sind alle faul“, so Pressesprecherin Antonia Mega im Gespräch mit dieser Redaktion.

Antonia Mega, Pressesprecherin des Jobcenters im Kreis Unna.
Antonia Mega ist Pressesprecherin des Jobcenters im Kreis Unna. © Montage: Marcus Land

Im Zeitraum von September 2022 bis September 2023 seien zwar über alles 1.936 Sanktionen ausgesprochen worden. Schwerpunktmäßig gehe es dabei aber meist um Meldeversäumnisse bei Maßnahmen von Weiterbildungsträgern, nicht um die Verweigerung von Arbeit. Bei einem Meldeversäumnis wird der Regelbedarf um zehn Prozent für einen Monat gemindert.

Wer Bürgergeld beziehe, stehe in einem engen Kontakt mit seinem Arbeitsvermittler. „Man erarbeitet Perspektiven“, so Mega. Da gehe es um die Frage, wie die erwerbslose Person passgenau auf eine offene Stelle vermittelt werden könne, eventuell nachgeschult werden oder zunächst gar eine Ausbildung durchlaufen müsse.

Wichtige Vermittlungsarbeit bei Bürgergeldbeziehern

„Wichtig ist eine gute Vermittlungsarbeit. Dann kommt es vielleicht auch nicht so häufig zu einer Weigerung“, sagt Antonia Mega. Die Polarisierung der Meinungen bei diesem Thema sei jedenfalls nicht zielführend und habe auch gar keine reale Grundlage. Mega: „Die Menschen sind nicht demotiviert, das stimmt einfach nicht.“

Ein Arbeitsplatz bedeute, auch viele soziale Kontakte zu haben. „Es ist bewiesen, dass langjährige Arbeitslosigkeit krank macht, psychische Auswirkungen haben kann“, gibt Mega zu bedenken. Insofern stelle man beim Jobcenter fest, dass sich der ganz überwiegende Teil der Klienten eine erfolgreiche Vermittlung wünsche.

Eine Verschärfung der Sanktionen laufe daher beim Jobcenter im Kreis Unna mehr oder weniger ins Leere. Denn eine beharrliche Verweigerung gebe es kaum einmal. Die öffentliche Debatte der vergangenen Wochen habe leider viele Menschen und auch das Jobcenter als „negative Behörde“ abgestempelt. „Es ist unser Ansinnen, dagegen anzugehen“, so die Pressesprecherin.

Zum Thema

Sanktionen bei Pflichtverletzungen

  • Nach dem zweiten Sozialgesetzbuch wird u. a. das Bürgergeld geregelt. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es laut Gesetzestext „Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht“.
  • Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen sind von Beginn des Leistungsbezugs an möglich. Bei einem Meldeversäumnis wird der Regelbedarf um zehn Prozent für einen Monat gemindert.
  • Bei der ersten Pflichtverletzung, etwa der Ablehnung eines zumutbaren Arbeitsangebotes, wird der Regelbedarf um zehn Prozent für einen Monat gemindert. Bei einer zweiten Pflichtverletzung sind es 20 Prozent für zwei Monate und in der dritten Pflichtverletzung 30 Prozent für drei Monate.
  • Das Bundeskabinett hat am 8. Januar 2024 in der Formulierungshilfe für den Entwurf des Haushaltsfinanzierungsgesetzes eine weitere Sanktionsregelung beschlossen: So sollen Jobcenter künftig Betroffenen das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen können, wenn sie die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit beharrlich verweigern.

Geldscheine in einer Brieftasche
Alleinstehende bekommen seit dem 1. Januar 2024 einen erhöhten Satz von 563 Euro statt bislang 502 Euro Bürgergeld. © Monika Skolimowska/dpa