Im bislang größten Nahverkehrs-Warnstreik des aktuellen Tarifkonflikts des öffentlichen Dienstes stehen heute Busse und Bahnen in den größten Städten Nordrhein-Westfalens still. Schwerpunkte sind das Ruhrgebiet und das Rheinland. Auch in anderen Bundesländern wird der Nahverkehr bestreikt.
„Unsere Kollegen, vor allem das Fahrpersonal, die sind am Limit“, berichtet Patrick Steinbach, seit 24 Jahren Mitarbeiter bei der Bogestra und Verdi-Vertrauensleutesprecher für den Verkehrsbetrieb. Die hohe Belastung durch Wechselschichten, Überstunden und unbezahlte Pausen setze den Mitarbeitern zu. „Das geht an die Substanz“, sagt der Betriebsrat.
Auf Dauer riskiere man, Mitarbeiter zu verlieren. „Und wenn der Arbeitsplatz nicht gut bezahlt ist, findet man auch keine mehr.“ Das könne sich der öffentliche Nahverkehr nicht erlauben, erklärt Verdi-Gewerkschaftssekretär Jürgen Schirmer und rechnet vor: Bis 2030 sollen bundesweit 74.000 Mitarbeiter in Rente gehen. „Und schon jetzt haben wir in Deutschland 15.000 unbesetzte Stellen“, sagt Steinbach.
Der Nahverkehr sei für viele Menschen aber nur dann eine Alternative zum Auto, wenn er verlässlich angeboten werde. „Viele Regionen sind sowieso noch unterversorgt, was den ÖPNV angeht“, ergänzt Schirmer. An Ziele der Verkehrswende wie den ÖPNV-Ausbau in diesen Regionen und eine allgemein engere Taktung des Nahverkehrs sei aber nur zu denken, wenn sich gleichzeitig auch die Arbeitsbedingungen verbesserten.
Streiks in NRW: Hier steht heute der Betrieb still
Die Warnstreiks sind Teil einer größeren Aktion im Nahverkehr - Verdi hat auch in mehreren anderen Bundesländern dazu aufgerufen. Die Aktion soll gemeinsam mit den Klimaaktivisten von Fridays for Future stattfinden, die für Freitag zu einem globalen Klimastreik aufrufen. Die Aktivisten wollen auf die Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs im Kampf gegen die Klimakrise aufmerksam machen. Verdi NRW geht von einer hohen Streikbeteiligung aus.
Nach einer Übersicht des Verdi-Landesbezirks werden heute folgende größere Nahverkehrsbetriebe in NRW bestreikt:
- DSW21 (Dortmund)
- Bogestra (Bochum)
- Ruhrbahn (Essen/Mülheim)
- VKU (Unna)
- Stoag (Oberhausen)
- HCR (Herne)
- DVG (Duisburg)
- Vestische (Recklinghausen)
- KVB (Köln)
- Stadtwerke Bonn
- Aseag (Aachen)
- Niag (linker Niederrhein)
- Stadtwerke Münster
- moBiel (Bielefeld)
- Hagener Straßenbahn
- Rheinbahn (Düsseldorf)
- WSW (Wuppertal)
Wie die Verkehrsunternehmen DVG und WSW mobil mitteilten, verkehren heute auch in Duisburg und Wuppertal keine Busse und (Schwebe-)Bahnen. In manchen der betroffenen Städte dürften dennoch einzelne Linien fahren, deren Betrieb an private Unternehmen vergeben wurde.
Kein öffentlicher Nahverkehr beim BVB-Spiel in Dortmund
BVB-Fans trifft der Streik besonders hart. Beim Bundesliga-Spitzenspiel zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig am Freitagabend müssen Fußballfans mit erheblichen Problemen bei der An- und Abreise rechnen. Das Dortmunder Nahverkehrsunternehmen DSW21 teilte mit, dass ein ganztägiger Warnstreik die Nahverkehrsverbindungen mit Bussen und Stadtbahnen komplett stilllegen werde. „Da geht dann tatsächlich unserseits gar nichts“, sagte ein Sprecher von DSW21 am Mittwoch.
Ungefähr 30.000 der 81.365 Zuschauern im ausverkauften Stadion kämen erfahrungsgemäß mit dem öffentlichen Nahverkehr inklusive der S- und Regionalbahnen zum BVB-Stadion, erläuterte der Sprecher von DSW21. Das Gros der Fans, die nicht mit dem Auto kommen, reise über drei Stadtbahnlinien des DSW21-Nahverkehrs an. Dabei werde üblicherweise ein Fünf-Minuten-Takt geboten. Nach dem Spielende sei der Takt dann noch einmal höher, da fahre meist gleich die nächste Stadtbahn nach einer Abfahrt ein.
Zudem biete das Nahverkehrsunternehmen normalerweise auch einen Shuttleservice zwischen den Uni-Parkplätzen und dem BVB-Stadion an, der an diesem Freitag aber ebenfalls ausfalle. DSW21 verwies aber auch darauf, dass S-Bahnen und Regionalzüge nicht betroffen sind von dem Warnstreik am Freitag, die üblicherweise ebenfalls von Fans zur An- und Abreise genutzt werden. Deutschlands größtes Fußballstadion hat einen eigenen Haltepunkt für Züge im Regionalverkehr.

Die Dortmunder Polizei geht angesichts des Warnstreiks im öffentlichen Nahverkehr davon aus, dass mehr Fans mit dem Auto zum Stadion fahren wollen. Sie rät deshalb, gar nicht erst das Stadion und die umliegenden Parkplätze mit dem Auto anzusteuern, weil diese sehr schnell voll sein dürften. Mit dem Auto anreisende Fans sollten weiter entfernt parken und sich auf einen Fußweg von vielleicht 45 oder 60 Minuten einstellen.
„Das Fahrrad oder die eigenen Füße - das sind die Transportmittel der ersten Wahl am Freitag“, sagte ein Sprecher. Laut Einschätzung des BVB kann es „zu Verkehrssituationen kommen, die den Besuchern ein Höchstmaß an Geduld abverlangen und die zuständigen Institutionen möglicherweise zwingen werden, kurzfristig sehr unpopuläre Entscheidungen treffen zu müssen“.
Um Probleme zu vermindern, bat der BVB die Fans um einen frühzeitigen Aufbruch Richtung Stadion.“ Auch beim Verlassen der Arena sei Vorsicht geboten. „Habt keine Eile, bewahrt Ruhe, kalkuliert auch längere Warte-/Verweilzeiten mit ein und denkt bei all Euren individuellen Planungen immer auch an Euch möglicherweise begleitende Kinder und Jugendliche sowie deren Sicherheit“, teilte der Revierclub am Mittwoch mit.
Warnstreiks in Kitas und sozialen Einrichtungen am Mittwoch
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat für den kommenden Mittwoch (8.2.) zu bundesweiten Warnstreiks in Kitas und sozialen Einrichtungen aufgerufen. Die Warnstreiks seien eine Reaktion „auf das völlig unzureichende Angebot der Arbeitgeber aus der zweiten Verhandlungsrunde für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst“, teilte Verdi am Freitag in Berlin mit. Demnach könne es zu Einschränkungen des Betriebes sowie zu Schließungen kommen.
Die Warnstreiks finden laut Verdi am Internationalen Frauentag statt, da mit einem Anteil von 83 Prozent in der Sozialen Arbeit überwiegend Frauen arbeiteten. Die Gewerkschaft organisiert außerdem auch in diesem Jahr am 8. März gemeinsam mit den Frauenorganisationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sowie feministischen Bündnissen Demonstrationen und Kundgebungen in ganz Deutschland.
In Nordrhein-Westfalen geht Verdi für Mittwoch von flächendeckenden Warnstreiks in kommunalen Einrichtungen und Dienststellen des Sozial- und Erziehungsdienstes aus. Im bevölkerungsreichsten Bundesland sind laut dem Verdi-Landesbezirk an diesem Tag in mehr als 15 Städten Kundgebungen und Aktionen im Rahmen der Warnstreiks vorgesehen, zu denen mehrere Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet würden. Darunter sind Aachen, Köln, Ratingen, Essen, Dortmund und Münster.
„Der internationale Frauentag steht seit über 100 Jahren dafür, Gleichberechtigung und eine faire Bezahlung von Frauen durchzusetzen“, sagte Landesbezirksfachbereichsleiterin Andrea Becker. Sie verwies darauf, dass in der Sozialen Arbeit überwiegend Frauen arbeiteten etwa in Kindertageseinrichtungen, Jugendämtern und Beratungsstellen. Dabei seien die Arbeitsbedingungen häufig prekär. Ob in Teilzeit oder als befristet Beschäftigte, spürten Frauen die Folgen der aktuellen Krisen am deutlichsten. Es mangele vielfach auch an finanzieller Anerkennung für die Arbeit in den sozialen Berufen.
Verdi und der Beamtenbund dbb fordern für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Bei der zweiten Verhandlungsrunde hatte es vergangene Woche trotz eines Arbeitgeberangebotes keine Annäherung gegeben.
Fridays for Future und Verdi streiken zusammen
Mehrere Tausend Menschen haben zudem am Freitag auch in Nordrhein-Westfalen für mehr Klimaschutz demonstriert. Größere Kundgebungen und Demozüge gab es etwa in Köln, Bonn, Bochum und Dortmund. Die Aktionen liefen störungsfrei ab, wie Polizeisprecher am frühen Nachmittag übereinstimmend berichteten. In Düsseldorf war für den Nachmittag noch eine Demonstration vor dem Landtag geplant.
Vielerorts wurden die Kundgebungen zusammen mit der Gewerkschaft Verdi organisiert, die für Freitag zu umfangreichen Warnstreiks im öffentlichen Nahverkehr aufgerufen hatte. Mit dem gemeinsamen Aktionstag wollten Klimaaktivisten, Gewerkschaft und Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe auf eine ökologische und sozial gerechte Verkehrswende als gemeinsames Ziel hinweisen.
In Köln beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter rund 6000 Menschen an den Protesten, die Polizei ging von einer niedrigen vierstelligen Zahl aus. In der Stadt gab es mehrere Demonstrationen, die später auf der Deutzer Werft zusammengeführt wurden.

„Wenn wir die Verkehrswende umsetzen wollen, braucht es nicht nur mehr Busse und Bahnen, sondern auch Menschen, die diese fahren“, sagte Pauline Brünger, Sprecherin der Bewegung Fridays for Future Köln. Das sei nur durch faire Löhne und Arbeitsbedingungen zu erreichen. An einer Demonstration in Dortmund auf dem Friedensplatz nahmen nach Polizeiangaben 1700 Menschen teil.
In Bonn waren es 1250 Teilnehmer bei einer Kundgebung auf dem Münsterplatz, wie ein Polizeisprecher sagte. Bereits am Vormittag war ein Demozug, bestehend aus Klimaaktivisten und Gewerkschaftsmitgliedern, gemeinsam zum Münsterplatz gezogen. In Bochum kamen zu einer Kundgebung in der Innenstadt insgesamt 800 Menschen zusammen, von denen laut Polizei etwa 550 den Aktivisten von Fridays for Future angehörten und 250 der Gewerkschaft.
Die immer engere Zusammenarbeit mit der Jugendorganisation werde innerhalb der Gewerkschaft positiv wahrgenommen, hatte Jürgen Schirmer, Verdi-Gewerkschaftssekretär für den Bezirk Mittleres Ruhrgebiet, am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur gesagt.

Der Aktionstag am Freitag war dabei nicht der erste gemeinsame Auftritt von Klimaaktivisten und Gewerkschaftern. Schon 2020 beschlossen Verdi und Fridays for Future eine Zusammenarbeit. Für die Gewerkschaft sei im Vorfeld des Aktionstags wichtig gewesen, dass sich Fridays for Future von umstrittenen Protestformen anderer Klimaaktivisten distanziere, sagte Frank-Michael Munkler, Gewerkschaftssekretär Verdi Köln, am Freitag im WDR5-Morgenecho.
„Das ist eine der Voraussetzungen, dass man Protest friedlich und demokratisch macht.“ Weltweit hatte Fridays for Future wieder zum „Globalen Klimastreik“ aufgerufen. Weitere Aktionen gab es in NRW unter anderem in Münster, Essen, Gelsenkirchen und Krefeld. Deutschlandweit sollten am Freitag Proteste an 250 Orten stattfinden.
Tarifstreit: Verdi fordert 10,5 Prozent mehr Einkommen
Mit dem jetzigen Einkommen sei bereits die heutige Verkehrsleistung im ÖPNV nicht zu halten, wurde Verdi-Verkehrsexperte Peter Büddicker in einer Mitteilung zitiert. Viele Beschäftigte kehrten der Branche den Rücken. Für Beschäftigte von Verkehrsunternehmen, die in kommunaler Hand liegen, gilt der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes im Nahverkehr.

Verdi fordert in den Tarifverhandlungen für die Beschäftigten bei Bund und Kommunen neben 10,5 Prozent mehr Einkommen eine Erhöhung der Ausbildungsentgelte, Studienvergütungen sowie Entgelte für Praktikantinnen und Praktikanten um 200 Euro monatlich und eine unbefristete Übernahme. Auszubildende und dual Studierende treffe die hohe Inflation besonders. Nach den Reallohnverlusten des vergangenen Jahres seien für die unteren Lohngruppen „deutlich zweistellige“ Erhöhungen nötig.
Die Arbeitgeber hatten ein Angebot vorgelegt, dass die Gewerkschaften bereits als unzureichend zurückwiesen. Das Angebot umfasst eine Entgelterhöhung von insgesamt fünf Prozent in zwei Schritten und Einmalzahlungen von insgesamt 2500 Euro.
Die Lage im Ruhrgebiet: Einzelne Städte im Überblick
In Castrop-Rauxel stehen im Jahr 2023 am Freitag (3.3.) erstmals alle Busse still. Die Fahrer von HCR, Vestische Straßenbahnen, Bogestra und DSW21 legen die Arbeit nieder. Alle Buslinien in der Stadt und den Nachbarstädten fallen aus.
Auch Schwerte ist von den Streiks betroffen. Die Dortmunder Linien 430, 435 und der Nachtexpress 25, die auch in Schwerte fahren, beteiligen sich am Streik.
Auch in Recklinghausen fällt der komplette Busverkehr der Vestischen aus.
Der Dorstener Ortsverband der Gewerkschaft Komba allerdings hat für den 3. März keine Aktionen geplant und auch zu keinen Warnstreiks aufgerufen.
Auch die Kreisverwaltung in Recklinghausen ist dieses Mal nicht von den Streiks betroffen.
dpa/rej
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