Die kleine Gemeinde Raesfeld (11.500 Einwohner) im Kreis Borken verkündete vor wenigen Tagen stolz, dass sie auch nach 30 Jahren trotz enormer Investitionen im Jahr 2023 schuldenfrei sein werde. Dafür müsse sie aber den Hebesatz der Grundsteuer B leicht von 464 auf 493 Prozent anheben.
Von Raesfeld ist man innerhalb weniger Autominuten im Kreis Recklinghausen, genauer gesagt in Dorsten. Auch dort hat der Stadtrat getagt – und die Erhöhung gleich von drei Steuerarten beschlossen. Eine davon ist die Grundsteuer B, deren Hebesatz in diesem Jahr um stattliche 90 Punkte auf 870 Prozent steigen soll. Und von Schuldenfreiheit können die Dorstener - sowie alle anderen Kommunen im Kreis Recklinghausen - sowieso nur träumen. Obwohl die Lippestadt seit 2011 mehr als ein Drittel ihrer Kassenkredite abbauen konnte, lasten immer noch 121 Mio. Euro dieser Schulden auf dem Haushalt. Das sind Darlehn, die privaten Dispokrediten ähneln und aufgenommen werden mussten, um Pflichtaufgaben zu finanzieren. Schon seit vielen Jahren beklagen die Städte im Vest, dass Bund und Land sich nicht angemessen an der Finanzierung der sozialen Lasten beteiligen.
Trotzdem waren wie Dorsten auch weitere Städte im Kreis Recklinghausen beim Schuldenabbau auf einem guten Weg (siehe Grafik: „Verschuldung der Städte“). Kreisweit konnte der Berg an Kassenkrediten von 2011 bis Ende 2021 von 1,514 Milliarden Euro auf 1,33 Milliarden Euro reduziert werden (minus 12,1 Prozent). Doch Corona- und Ukraine-Aufwendungen, steigende Zinsen und Energiepreise bremsen den Konsolidierungsprozess brutal aus. Ohne die Möglichkeit, die Millionen-Kosten für Pandemie und Kriegsflüchtlinge zu „isolieren“ und über einen generationenübergreifenden Zeitraum abzuschreiben, wäre keine Stadt im Kreis RE in der Lage, für 2023 einen halbwegs soliden Haushalt auf die Beine zu stellen.
Gladbeck jetzt kreisweit an der Spitze
Manchenorts reicht auch das nicht. Neben Dorsten werden ebenfalls Herten und Gladbeck an der Grundsteuer-Schraube drehen. Herten wird in diesem Jahr einen Hebesatz von 920 Prozent erreichen (2022: 790), Gladbeck sich mit 950 Prozent (2022: 850) kreisweit an die Spitze setzen. Beide Städte generieren auf diese Weise rund zwei Millionen Euro Mehreinnahmen.
Nach Meinung von Gladbecks Kämmerer Thorsten Bunte ist jedoch nicht der Hebesatz, sondern das Pro-Kopf-Aufkommen das entscheidende Maß – also das Gesamtaufkommen der Grundsteuer B geteilt durch die Einwohnerzahl. Nach dieser Berechnung werde Gladbeck selbst nach der Steuererhöhung mit 228 Euro noch unter dem bisherigen Kreisdurchschnitt (236 Euro) rangieren, erläutert er. Spitzenreiter sei Haltern am See mit einem Pro-Kopf-Wert von 290 Euro.
Entwicklung hat etwas Tragisches
Für die Städte im Kreis Recklinghausen hat die jüngste Entwicklung fast schon etwas Tragisches. Als Teilnehmer des NRW-Stärkungspaktes Stadtfinanzen waren die Kommunen seit 2011 nicht nur zu schmerzhaften Sparmaßnahmen gezwungen, sondern auch gehalten, alle Einnahmequellen auszuschöpfen. Das ist der Grund, warum Gewerbe- und Grundsteuerhebesätze im Vest sowieso schon zu den höchsten im Lande zählen. Seit 2010 haben sich die Grundsteuer-Hebesätze im Kreis RE nahezu verdoppelt (siehe Grafik: „Grundsteuer B im Kreis Recklinghausen“). Bitter: Die Opfer, die Städte und Bürger gemeinsam gebracht haben, reichen nicht, um wieder mehr Spielräume für Investitionen und kommunale Angebote oder gar für Steuersenkungen zu gewinnen.
Im Gegenteil: Die Aussichten sind düster. Allein die steigenden Zinsen drohen die Haushalte zu sprengen. Jetzt rächt es sich, dass Bund und Land sich in der Null-Zinsphase nicht auf eine Entschuldung der Kommunen verständigen konnten. Und auch heute ist – trotz entsprechender Absichten in Koalitionsverträgen – keine Altschuldenlösung in Sicht.
Dorsten, Herten und Gladbeck werden deshalb voraussichtlich nicht die letzten Städte im Vest sein, die sich gezwungen sehen, massiv Steuern zu erhöhen. In Raesfeld wird man sich derweil für 30 Jahre ohne Schulden auf die Schulter klopfen.
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