Der Deutsche Bundestag hat die Regelung bereits vor seiner konstituierenden Sitzung 2017 geändert: Alterspräsident war mit Hermann Otto Solms erstmals der dienstälteste Parlamentarier und nicht mehr das lebensälteste Mitglied – auf den Rat der Stadt Unna wird eine ähnliche Vorschrift zukommen.
Statt Solms (FDP) hätte nach der früheren Regelung Alexander Gauland von der AfD als damals 76-Jähriger die konstituierende Sitzung des Bundestages eröffnen und nach alter Tradition eine Rede halten dürfen.
Grüne zeigen auf warnendes Beispiel in Thüringen
Nicht mehr den Senior des Parlaments, sondern den erfahrensten Mandatsträger mit diesem Amt zu bekleiden, war vom Bundestag offiziell mit der größeren Gewähr für eine ordnungsgemäße Sitzungsleitung begründet worden – politische Motive waren dabei nicht ins Spiel gebracht worden, sie wurden aber vermutet.
Nach diesem Vorbild soll bereits in der neuen Wahlperiode nach der Kommunalwahl am 14. September per Landesgesetz eine eigene Vorschrift für den Altersvorsitz im Stadtrat gelten.

Der Altersvorsitzende vereidigt den gewählten hauptamtlichen Bürgermeister in der ersten Ratssitzung der neuen Amtsperiode. Ist der Bürgermeister verhindert, führt der Altersvorsitzende auch die Wahl der stellvertretenden Bürgermeister aus der Mitte des Rates durch. Es ist also ein wichtiges Amt mit allerdings einer überschaubaren Zahl von Aufgaben.
Laut Gesetzentwurf der Landesregierung, der aktuell in der Beratung ist, soll beim Altersvorsitz für Räte und Ausschüsse in Zukunft ausschlaggebend sein, welches Mitglied dem jeweiligen Vertretungsorgan am längsten ununterbrochen angehört.
Die Grünen im Landtag begründen dieses Vorhaben, das sie gemeinsam mit der CDU-Fraktion auf den Weg gebracht haben, recht unverblümt. Angeführt wird konkret der „Fall der zeitweisen Kaperung der konstituierenden Sitzung des thüringischen Landtags durch einen AfD-Alterspräsidenten“.
„Ältester muss nicht erfahrenster sein“
Vor diesem Hintergrund wolle man „die Abwehrkräfte unserer kommunalen Gremien gegen antidemokratische und destruktive Kräfte wie die AfD stärken“, heißt es weiter – das Argument notwendiger Erfahrung fehlt in einer „Kommunalinfo“ der Landesgrünen.
Obgleich auf Landesebene in Opposition hält der Unnaer Sozialdemokrat Sebastian Laaser das Vorhaben von Schwarz-Grün für „eine gute Idee“. Inhaltlich ergebe eine solche Regelung Sinn. „Das älteste Mitglied muss ja nicht das erfahrenste sein“, findet der SPD-Fraktionschef im Stadtrat.
Die Leitung einer konstituierenden Sitzung sei „nicht auf die leichte Schulter zu nehmen“. Das betrifft wohl das förmlich korrekte Handeln. Laaser räumt hingegen ein, dass nach seiner Erinnerung der Altersvorsitzende in der Vergangenheit in Unna kaum je politische Reden geschwungen habe.

Bei der Vereidigung von Dirk Wigants Vorgänger Werner Kolter habe der mittlerweile verstorbene damalige Altersvorsitzende Hans-Georg „Nino“ Matich „auf seine bergmännische Art warme Worte gesprochen“, erinnert sich Laaser. Allerdings habe der Fall in Thüringen vor Augen geführt, dass ein solches Ehrenamt politisch „instrumentalisiert“ werden könne. Insofern unterstütze er das Prinzip der wehrhaften Demokratie. „Die haben wir und dann darf sie sich auch wehren“, so Laaser.
Sein CDU-Kollege Rudolf Fröhlich verweist auf die noch fehlende Meinungsbildung in seiner Fraktion, persönlich sei er schon immer der Meinung gewesen: „Alter ist kein Verdienst.“ Die Stoßrichtung des Gesetzes halte er daher für richtig.
„In jeder Fraktion gibt es schräge Vögel“
Man müsse sich klar machen, dass es „nicht steuerbar“ sei, „wer in den Rat kommt“, so Fröhlich, der zugibt: „Sie können in jeder Fraktion schräge Vögel haben, die sie gar nicht wollen.“ Insofern dürfe beim Altersvorsitz künftig „keine Willkür“ herrschen, vielmehr müsse „ein klares Regelwerk“ her – ohne explizite Bezugnahme auf irgendwelche politischen Ausschlussgründe.
Davon abgesehen seien die Kompetenzen stark begrenzt. Der Altersvorsitzende komme zum Beispiel bei der Sitzungsleitung des Rates praktisch immer nur dann ins Spiel, wenn sowohl Bürgermeister und Erster Beigeordneter sowie die stellvertretenden Bürgermeister verhindert seien. „Er ist in der Nahrungskette ganz unten“, formuliert Fröhlich.
Dennoch, die Gelegenheit, eine Zeitlang den gewählten Ratsvertretern vorzusitzen und das Mikrofon auf dem Tisch eventuell für krude politische Statements zu nutzen, habe ein Altersvorsitzender, räumt Fröhlich ein, und zwar wohl ungehindert, denn „dem wird ja dann auch keiner den Saft abschalten.“
Selbst die Grüne Claudia Keuchel hält es für eher nicht geschickt, wie ihre Landespartei Haltung und Gebaren von AfD-Politikern öffentlich als Motivation für die Gesetzesänderung zu benennen. Es sei doch plausibel, wenn man sich ein solches Amt im wahrsten Sinne des Wortes durch langjährige Ratsarbeit verdiene. „Es muss eine vernünftige Lösung auf Sachebene gefunden werden“, fordert die Fraktionschefin im Rat jedenfalls – auch wenn für sie klar sei, dass sich die Rechtsaußen so oder so als Opfer darstellen würden.
Altersvorsitz bringt kraftvolle Bilder
Ebenso deutlich geworden sei in der Vergangenheit, dass sie bei der AfD „ältere Herrschaften auf ihre Listen lassen, um an diese Position zu kommen“. Denn auch wenn es nur eine Alterspräsidentschaft mit wenigen Rechten sei – „es geht um die Kraft der Bilder“, meint Keuchel, wenn etwa dem Bürgermeister die Amtskette von einem rechtsextremen Altersvorsitzenden des Rates umgehängt werde.
Keuchel macht sich allerdings keine Illusionen darüber, dass künftige Wahlen zum Bürgermeisteramt Ergebnisse zeitigen könnten, die ihr und anderen auch nicht angenehm, aber zu akzeptieren wären: „Die Frage ist irgendwann vielleicht, wem man die Amtskette umhängen muss.“
Was Sebastian Laaser als Fall für die wehrhafte Demokratie ansieht, bezeichnet Claudia Keuchel als das Schließen von Einfallstoren in die Demokratie – die Mütter und Väter des Grundgesetzes hätten eben noch nicht an alles denken können.
Inzwischen ist im aktuellen Unnaer Rat der nachgerückte Rentner Paul Müller von der CDU Altersvorsitzender; Dirk Wigant war 2020 noch von seinem bis dahin lebensältesten Parteifreund im Rat Werner Clodt (Jahrgang 1948) vereidigt worden.
Die Fraktionsvorsitzenden sind schon heute ziemlich sicher, wer nach einer Neuregelung künftiger Altersvorsitzender des Unnaer Rates sein wird: Klaus Tibbe von der SPD, der seit 1994 ununterbrochen ein Mandat innehat und im September erneut kandieren will.