
© Marcel Drawe
Spielen „auf Krankenschein“ und eine Tordifferenz von minus 202: „Es ging um unsere Ehre“
Fußball
218 Gegentore kassierte Billmerichs Reserve in der Spielzeit 2014/15. Ein „Zeitzeuge“ erinnert sich an diese Horrorsaison und erklärt, wie aus der schlechtesten die beste Verteidigung der Liga wurde.
Es war ein Einsatz für die Ehre, meint der „Zeitzeuge“ - angesprochen auf die Saison 2014/15. Diese Spielzeit ging bei den Fußballern von Blau-Rot Billmerich unfreiwillig in die Geschichtsbücher ein. Der Verein aus dem Unnaer Süden stand damals vor der absoluten Existenznot. Diese Tatsache spiegelte sich auch in den Ergebnissen wider.
Der Klub befand sich damals vor einem großen Umbruch: Fast die gesamte erste Mannschaft hatte sich nach dem erfolgreichen Aufstieg in die Kreisliga A zurückgezogen, viele Spieler haben den Verein gewechselt. Man hatte sich die Aufgabe in der Eliteliga auf Kreisebene nicht so recht zugetraut.
Mit der eigentlichen Reservemannschaft in der Kreisliga A
Billmerich hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch drei Mannschaften im Spielbetrieb gemeldet. Die Dritte existierte für zwei Jahre, die - man kann es nicht anders sagen - nicht wirklich von Erfolg gekrönt waren. In den Spielzeiten 2012/13 und 2013/14 belegte das Team jeweils den letzten Platz in der Kreisliga C und D, holte insgesamt nur zwei Siege und ein Remis. Nach zwei Jahren war Schluss. Denn: Die Mannschaft musste in der Folge als zweite Mannschaft auflaufen.
Das war auch der Tatsache geschuldet, dass sich der Großteil der Reservemannschaft plötzlich in der Kreisliga A wiederfand. „Wir haben damals abgestimmt, was wir machen wollen. Die erste Mannschaft ist fast komplett weggebrochen. Aber wir haben gesagt, wir treten auch mit der Zweiten in der Kreisliga A an, denn der Verein war ja auch auf die Einnahmen angewiesen“, erinnert sich Thilo Kramer, der seit der A-Jugend für die Blau-Roten aufläuft.
„Das war echt übel, aber es war auch absehbar“
Es kam, wie es kommen musste: Billmerichs Erste verlor nahezu jedes Spiel. „Wir haben einen Sieg und zwei Unentschieden geholt, aber in allen drei Spielen habe ich nicht mitgewirkt“, sagt Kramer und lacht.

Thilo Kramer lief bereits für alle drei Mannschaften von Blau-Rot Billmerich auf - und hat Höhen und Tiefen mit dem Verein durchlebt. © Privat
Und die Zweite? Für die lief es sogar noch schlechter. Das Team, das plötzlich in der Kreisliga C auflief, kassierte in 30 Spielen 29 Niederlagen - nicht selten sogar zweistellig. Die höchste Klatsche damals: ein 0:18 bei RW Unna II. Am Ende der Saison stand ein Torverhältnis von 14:216. Minus 202 die Bilanz - eine schwächere sucht man in den vergangenen zehn Jahren im Kreis Unna/Hamm vergeblich. „Das war echt übel, aber es war auch absehbar. Trotzdem haben wir gesagt, wir ziehen es durch, es ging schließlich um unsere Ehre“, so Kramer.
Spielen „auf Krankenschein“: Aufstellungen waren nie öffentlich einsehbar
Die Aufstellungen der Zweiten aus dieser Zeit sind auf dem Portal fussball.de nicht zu finden. Doch diese waren auch damals nie öffentlich einsehbar. Der Verein hatte die Aufstellungen gesperrt. Aber nicht etwa aus Eitelkeit. „Wir hatten die Aufstellungen damals gesperrt, weil wir viele Spieler in unserer Mannschaft hatten, die regelmäßig trotz Krankenschein aufgelaufen sind“, sagt Kramer mit einem Schmunzeln.
Am Ende der Saison stiegen beide BRB-Mannschaften ab. Während Billmerichs Erste in der Kreisliga B wieder Fuß fasste und auch wieder bessere Resultate holte, lief es für Billmerichs Zweite zunächst nicht unbedingt besser in der Kreisliga D. Das änderte sich erstmals im Jahr darauf, als sich die Reserve plötzlich in der Top-Vier der Kreisliga D wiederfand. „Die Mannschaft wurde besser, aber die Liga wurde ja auch schlechter“, sagt Kramer.
Den Blau-Roten kamen damals einige Wechsel zugute - auch auf der Trainerseite. Ralf Frommholz übernahm die Reservemannschaft. Er kannte den Großteil des Teams, das er auch schon in der Jugend trainiert hatte. „Ralf hat da erstmal Ordnung reingebracht. Zudem ist Jan Willecke von der Ersten in die Zweite gegangen. Und auch der Wechsel von Marco Dettner von der SG Massen hat uns sehr gutgetan. Die beiden sind eigentlich viel zu gut für die Liga“, so Kramer weiter.
Aus der schlechtesten wurde die beste Verteidigung der Liga
Inzwischen hat sich der Verein wieder gefangen. Die Erste läuft wieder in der Kreisliga A auf - mit einer Truppe, die seit Jahren zusammenspielt. Und auch die Zweite spielt inzwischen für D-Liga-Verhältnisse ansehnlich Fußball. „Wir haben letztes Jahr die perfekte Saison gespielt, haben in vier Spielen vier Siege geholt - bis die Saison annulliert wurde“, berichtet Kramer.
Seit vergangenem Sommer wird die Zweite von Thomas „Keule“ Schmidt und Stefan „Mini“ Schönfelder trainiert. „Die beiden bringen da nochmal eine ganz andere Dynamik rein. Und wir haben inzwischen zwei Torhüter. Das bewährt sich nicht nur im Training, sondern auch in unseren Partien.“ In der annullierten Saison stellte Billmerichs Reserve mit nur zwei Gegentoren die beste Verteidigung der Liga. Die Zeiten, in denen die Truppe mehr als 200 Gegentore kassiert - sie sind endgültig vorbei.
Jahrgang 1992. Geboren und aufgewachsen in Unna. Kennt den Kreis Unna wie seine Westentasche, hat in seinem Leben aber noch nie eine Weste getragen. Wollte schon als Kind Sportreporter werden und schreibt seit 2019 für Lensing Media über lokale Themen - auch über die Kreisgrenzen hinaus.
