
© Fotos: dpa, Ulrich Breulmann / Collage: Martin Klose
Spannende Einblicke von einem Profi-Ermittler: Die Tricks und Kniffe der echten Detektive
Anders als Wilsberg
Warum der Abfuhrkalender der Müllabfuhr für ihn extrem wichtig ist, erzählt der Präsident der deutschen Detektive. Er gewährt einen der seltenen Einblicke in den Alltag eines Detektivs.
Als Raoul Classen an diesem fiesen nass-kalten späten Vormittag Anfang Februar in der Hamburger Speicherstadt Zeit für ein Gespräch hat, braucht er erst einmal einen Kaffee. Er ist müde. Um drei Uhr sei er aufgestanden, erklärt der Detektiv. Er sei einer seiner typischen Arbeiten nachgegangen – dem Wühlen im Hausmüll. Wie bitte?
Raoul Classen (53), Präsident des Bundesverbandes Deutscher Detektive, lässt sich nicht irritieren. Doch, erzählt er, das sei klassisches Detektiv-Handwerk. Wenn er Informationen über einen Menschen beschaffen solle, dann beginne seine Arbeit sehr häufig so: „Ich google die Wohnanschrift samt Abfuhrkalender der Müllabfuhr.“ So erfahre er, wann der Müll abgeholt werde. „Üblicherweise wird am Vortag die Tonne an den Straßenrand gestellt, ist frei zugänglich auf dem Bürgersteig.“
Wahnsinns-Informationen aus dem Müll
Und das sei seine Chance. Besonders ergiebig sei das zu Beginn eines Jahres. „Ende des Jahres räumen viele Menschen ihren Schreibtisch auf, werfen alle möglichen Dinge weg. Damit lässt sich möglicherweise das ganze Jahr rückwärts konstruieren. Man findet zum Beispiel einen Kalender, handschriftliche Notizen oder Mahnungen, Liebesbriefe oder Einkaufsbons, mit denen man ein Bewegungsbild erstellen kann. Das volle Programm eben“, sagt Raoul Classen.
„ Es ist eine Wahnsinns-Fülle an Informationen, die Sie aus dem Müll gewinnen“, erzählt er und stockt dann doch: „Hätte ich das besser nicht verraten?“, fragt er eher sich selbst als den Journalisten, ist dann aber doch großzügig: „Gesagt ist gesagt“.
„Viele spektakuläre Fälle aufgeklärt“
Er habe viele „spektakuläre Fälle durch genau solche Aktionen aufgeklärt“, sagt er. „Da habe ich Erpresserbriefe gefunden, die handschriftliche vorformuliert wurden. Oder strategische Planungen von Geschäftsführern, die Parallelstrukturen, neue Firmen aufbauen. Die sind ja alle sehr vorsichtig, was Computersicherheit angeht. Da wird viel investiert. Da gibt es Sicherheitsbeauftragte nur für die IT, aber der Faktor Mensch bleibt unbeachtet. Da ist es dann freitags nachmittags. Man möchte nicht mehr schreddern auf dem Flur, wenn es überhaupt einen Schredder gibt. Da gehen die Papiere in die Tonne. Die Putzfrau kommt, packt das in die große Tonne und die wird dann vom Hausmeister an den Straßenrand gestellt. Und wenn Sie das dann systematisch durchsuchen, da finden Sie alles.“
So einfach ist das? Ein wenig im Müll schnüffeln und brisante Information herausfischen? Möglich, aber darf man das auch? Raoul Classen lächelt. Die Frage, sagt er, habe bei ihm auch schon ein Gericht überprüft: „Ich bin mal angezeigt worden. Da haben wir dann ganz genau dokumentieren können, dass die Tonne frei zugänglich auf dem Bürgersteig gestanden hat. Und das hat das Gericht akzeptiert.“
„Wenn ich über einen Zaun geklettert wäre bei Nacht und Nebel, dann wäre das weder erlaubt noch das Gefundene vor Gericht verwertbar“, sagt Raoul Classen.
Als ganz normaler Mensch, der sonst nur Detektive aus Krimis im Fernsehen kennt, stellt sich die Frage: Arbeiten Detektive nicht immer so? Bricht nicht jeder Detektiv regelmäßig in Häuser oder Büros ein, versteckt dort Wanzen in Telefonen, kopiert unerlaubt Unterlagen und hat notfalls eine Waffe im Hosenbund? Raoul Classen, der keine Waffe trägt und auch keine tragen will, muss sich bei diesen Fragen merklich zurückhalten.
„Das Bild in der Öffentlichkeit nervt“
„Das Bild der Detektive in der Öffentlichkeit nervt. Es nervt seit Jahrzehnten die gesamte Branche, dass die Privaten aber teilweise auch die Öffentlich-Rechtlichen ein völlig falsches Berufsbild vermitteln. Wir fahren eben nicht dem roten Ferrari hinterher und öffnen auch nicht mit irgendwelchen Kreditkarten Türen, sondern wir arbeiten sehr seriös, bodenständig und vor allem gerichtsverwertbar. Das Bild von uns ist völlig falsch, es geht komplett an der Realität vorbei und leider überträgt sich dieses falsche Bild auch auf viele Auftraggeber. Die glauben nämlich, ich kann den Fall in 45 Minuten lösen: ,Fahren Sie mal eben hinterher‘“.
Also, alles bisher angehäufte Krimi-Wissen über Detektive beiseite gelassen und zurück auf Anfang: Wie arbeitet ein Detektiv? Bevor Raoul Classen diese Frage beantwortet, schickt er einen wichtigen Hinweis voraus: „Was die guten Privatermittler von den nicht ganz so guten unterscheidet, ist: Die Guten müssen immer gerichtsverwertbar arbeiten. Die Auftraggeber zahlen viel Geld und wollen dann auch die gewonnenen Informationen vor Gericht verwerten. Wenn ich aber in eine Wohnung eingebrochen bin oder mit Abhörtechnik arbeite, ist das vor Gericht wertlos. Dann hat der Auftraggeber sein Geld umsonst für den Detektiv ausgegeben.“
Drei entscheidende Werkzeuge
Und wie bekommt man „saubere, gerichtsverwertbare Informationen“? Raoul Classen spricht von seinem „Werkzeugkasten“ der Informationsbeschaffung.
1. Das erste Werkzeug bezeichnet er als „klassische Recherche“.
Darunter fällt das Altpapier ebenso wie der Königsweg, Augen – und Ohrenzeuge zu sein. „Wenn ich ein Gespräch mithören will, muss ich versuchen, das Gespräch in einen öffentlichen Raum zu verlegen, zum Beispiel in ein Café. Ich erinnere mich an einen Fall, da hat sich eine Person mit einem Erpresser getroffen und links und rechts saßen die Ermittler, haben Zeitung gelesen, Kuchen gegessen. Das ist sauber und verwertbar. Die schreiben dann ein Gedächtnisprotokoll von dem Gespräch und das ist vor Gericht verwertbar“, erzählt Classen. Oft sei er dabei nicht alleine, sondern benötige mehrere Ermittler, die mithörten oder jemanden verfolgten, wenn er ein Haus verlässt: „Das kriegt man alleine gar nicht immer hin.“
Zu dieser klassischen Recherche zählt Classen auch Recherchen etwa beim Grundbuch- oder Katasteramt. Um alte Adressen herauszufinden, seien auch alte Telefonbücher eine Fundgrube. „Ich habe alle deutschen Telefonbücher seit 1925 auf CD-Rom. Früher konnte man seinen Namen ja nicht einfach daraus streichen lassen.“ Heute seien die alten Daten Gold wert.
Die Bedeutung von Facebook, Instagram und Co.
2. Das zweite wichtige Werkzeug sei die Online-Recherche. „Facebook, Instagram, Freunde, Kontakte, Adressen, Sie glauben ja gar nicht, wie viele Informationen die Menschen freiwillig und frei zugänglich über sich preisgeben“, sagt Classen. Zu diesem Bereich zähle aber auch die Recherche in Datenbanken, in der er sehr oft fündig werde.
3. Beim dritten starken Werkzeug für die tägliche Arbeit ist Kreativität gefragt, sagt Raoul Classen. „Ich überlege jeden Tag: Wie komme ich an bestimmte Informationen ran? Dann arbeite ich mit sogenannten Legenden, ähnlich wie Geheimdienste“, sagt Classen und erzählt ein Beispiel. Wenn er Informationen über einen Menschen sammle, dann besorge er sich die Adresse und schaue dann, welche Menschen in der Nachbarschaft wohnen.
Kreatives erzählen von Legenden
„Dabei suche ich gerne nach etwas altertümlichen Vornamen wie Wilhelm oder Erika, ältere Leute erzählen lieber. Da rufe ich dann am Sonntag Nachmittag an und plaudere mit ihnen“, sagt Raoul Classen. Dann erzähle er ihnen eine glaubhafte Geschichte über den Nachbarn und warum er Informationen über ihn benötige. Welche Geschichte er da erzählt, möchte er lieber nicht veröffentlicht haben. „Das sind so etwas wie meine Kronjuwelen. Das ist ein wertvolles Geschäftsgeheimnis.“ Aber die Geschichte ist richtig gut: „Sie funktioniert immer.“
Und am Ende frage er dann noch, ob man noch jemanden anderen kenne, der etwas über den Nachbarn erzählen kann. „Auch das funktioniert immer.“ Wenn der Fake irgendwann Wochen oder Monate später ans Licht komme, sei das egal.
Vom Nachrichtendienstler der Nato zum Privatermittler
Vieles dürfe ein Detektiv nicht, schöne, glaubhafte Geschichten, Legenden erzählen, das dürfe er aber schon, sagt Raoul Classen, der reichlich Legenden erfunden hat in den vergangenen Jahrzehnten. Ursprünglich war der 53-Jährige im Bereich des Nachrichtenwesens bei der Nato beschäftigt. „Ein Teil der Arbeit war unter anderem die militärische Spionage-Abwehr. Ich habe also dafür gesorgt, dass streng vertrauliche Nachrichten richtig verwaltet und übermittelt, Informationen und Quellen ausgewertet werden.“ Irgendwann 1997/98 habe ihn das gelangweilt. Da habe ihn ein Kollege des Bundesnachrichtendienstes, der auf dem Flur gegenüber sein Büro gehabt habe, auf die Detektiv-Idee gebracht.
Diesen Schritt sei er gegangen und habe ihn nie bereut, sagt Classen, der als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Detektive so etwas wie das Sprachrohr von 1.100 Privatermittler in Deutschland ist. „Die meisten davon sind Freiberufler. In der Branche ist das so üblich, allein schon, weil so eine Observation manchmal über 18, 19 Stunden geht. Wenn sie da einen Festangestellten mit Arbeitsvertrag haben, müssen sie den nach neun Stunden ablösen. Und es ist auch wirtschaftlich viel interessanter, privat zu arbeiten“, sagt Classen.
70 Prozent der Privatermittler sind ehemalige Polizisten
Eine Ausbildung gibt es nicht für Detektive. „70 Prozent der privaten Ermittler sind ehemalige Polizisten, deshalb auch der hohe Altersdurchschnitt von um die 60 Jahre, den wir haben. Der 18-, 19-, 20-Jährige wird in der Branche gar nicht Fuß fassen können. Das fängt schon damit an, dass er über wenig Erfahrung verfügt, was Straßenverkehr anbelangt, weil man als Detektiv immer noch viel Autofahren muss. Das wichtigste ist eben Lebenserfahrung.“ Polizisten hätten dagegen nach der Pensionierung oft noch Lust, sich etwas dazuzuverdienen.
Eine Rarität in diesem Beruf sind Detektivinnen. Classen bedauert das sehr: „Frauen sind einfach grundsätzlich wesentlich unverdächtiger. Wenn eine Frau im Bereich einer Kita im Auto sitzt, ist das ein normales Bild. Wenn ich als Kerl in der Nähe einer Kita im Auto sitze, dann dauert es nicht lange, dann klopft ein Uniformierter an die Scheibe und fragt, warum ich da seit zwei Stunden stehe.“
Im Übrigen, so seine Erfahrung, könnten Frauen auch wesentlich besser beobachten als Männer. „Frauen achten auf alles: Sind die Fingernägel geschnitten? Sind die Schuhe abgelaufen?“ Männer achteten auf so etwas viel zu selten.
Die klassischen Aufträge
Und was sind die klassischen Aufträge eines Detektivs? „Der Missbrauch einer Krankschreibung ist so ein typischer Fall“, sagt Classen. Ins Reich der Fabel verweist er allerdings vor einem Jahr kursierende Gerüchte, wonach die Detektivbüros sich vor Arbeit nicht retten könnten, weil viele Arbeitgeber ihren Mitarbeitern im Homeoffice nicht trauten.
„Das ist völliger Blödsinn und überhaupt nicht plausibel. Wie soll ich denn überprüfen, ob jemand, der bei sich zu Hause in der zweiten Etage sitzt, arbeitet? Und selbst wenn ich einen Blick auf ihn hätte und sehe ihn am Computer sitzen, ich kann doch gar nicht überprüfen, ob er da Schach spielt oder arbeitet. Wir hatten jedenfalls keine einzige Anfrage in diese Richtung.“
Trotzdem sei Corona ein Thema gewesen: „Da ging es beispielsweise um gepanschtes Desinfektionsmittel. Da hat jemand aus einem Liter zehn gemacht und das dann verkauft – aber das hat natürlich praktisch null Wirkung, war aber lukrativ“, sagt Classen und berichtet von „ganz neuen, kreative Betrugsformen“: „Da hat man Masken bestellt und bezahlt, die aber wurden nie geliefert. Oder jemand gab sich als Fleischhändler aus, kassierte, lieferte aber nicht.“
Die Probleme eines Detektivs im Lockdown
Heikel sei das Observieren während der scharfen Lockdown-Phasen in der Coronazeit gewesen: „Zum einen gingen die Leute ja so gut wie nicht raus. Zum anderen war doch niemand auf der Straße, da fiel es sofort auf, wenn jemand längere Zeit in seinem Auto an der Straße stand. Und dann: Wo können Sie auf die Toilette gehen, wenn alle Cafés und Restaurants geschlossen sind?“
Und noch ein anderes Thema habe geärgert: „Sie glauben auch gar nicht, wie oft ich, als die nächtliche Ausgangssperre galt, nachts von der Polizei angehalten wurde, wenn ich unterwegs war. Und wenn Sie dann noch sagen, dass sie Privatermittler sind, werden Sie dreimal so gründlich unter die Lupe genommen. Die Corona-Zeit stellte irre Anforderungen an uns, brachte aber wenig Erkenntnisse. Versuchen Sie doch mal, jemanden zu identifizieren, wenn alle eine Maske tragen!“
Übrigens: Dass Detektive vor allem untreuen Eheleuten hinterherschnüffeln, ist ein noch immer weit verbreiteter Irrtum, sagt Classen. Bis in die 70er Jahre, als die Schuldfrage in Scheidungsprozessen eine wichtige Rolle gespielt habe, sei das noch wichtig gewesen. „Heute aber spielt das keine Rolle mehr. Es gilt das Zerrüttungsprinzip.“
Billig sind solche Nachforschungen nicht
Wer jetzt überlegt, für eine interessante Aufgabe einen Detektiv zu engagieren, der sollte schon einmal ein wenig Geld beiseite legen. Billig ist das nicht. Detektive rechneten in der Regel nach Stunden ab, je nach Aufgabe zwischen 60 und 180 Euro. Hinzu kämen eine Anfangspauschale und Spesen. „Da kommt leicht ein Tagespreis von 1.000 oder 1.200 Euro zusammen. Und manchmal benötigt man, gerade wenn es um Augen- oder Ohrenzeugen geht, mehr als einen Ermittler. Dann vervielfacht sich der Preis“, sagt Classen.
Kein Wunder, dass bei solchen Kosten die meisten Aufträge aus der Wirtschaft kommen. „Und dann geht es meistens um Betrug in all seinen Formen“, sagt Classen. Falsche Krankmeldungen seien nur eine Facette. In anderen Fällen müsse man nachforschen, wie ein einfacher Angestellter es sich leisten könne, fünfmal im Jahr auf die Malediven zu fliegen, in einem großen Haus zu wohnen und ein tolles Auto zu fahren.
Ach ja: Bei Raoul Classen kommt kein ungeschnipseltes Papier in den Müll. „Ich schredder alles, wirklich alles“, sagt er.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
