„Die Kinder sollen Spaß haben und sie sollen gerne kommen.“ Doch das ist gar nicht so einfach, denn die Übungen, die ihre jungen Patienten durchführen sollen, sind recht eintönig, wie Bärbel Lemberger-Kalle zugibt. Doch sie sind effektiv und die Physiotherapeutin hat Wege gefunden, wie die Kinder und Jugendlichen trotzdem Spaß haben können. „Wir haben hier eine tolle Atmosphäre und scherzen auch viel.“
Die Praxis sei für viele Kinder und Jugendliche ein sicherer Raum, in dem sie sich öffnen und wohlfühlen, weil sie unter Gleichgesinnten sind. Und es ist freilich ein Raum, in dem sie gegen ihre Erkrankung anarbeiten oder sie gar ganz heilen, wenn sie früh genug herkommen.
Viele Eltern bemerken zunächst nichts
Eine Krankheit, die sie und ihr Team im Skoliose-Therapie-Zentrum am Burgring behandeln, steckt schon im Namen der Praxis. Die Physiotherapeuten behandeln ganzheitlich Skoliosen mithilfe unterschiedlicher Therapieformen. Unter den Patienten sind vor allem Babys, Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene.
Eltern, die sich nun nicht angesprochen fühlen, sollten sich vielleicht doch einmal mit der Krankheit befassen. Denn es gibt laut Lemberger-Kalle viele Eltern, die lange nichts von der Krankheit ihres Kindes bemerken – was fatal sein kann, denn je früher eine Skoliose entdeckt wird, desto höher die Chancen einer Heilung. „Bei Kindern bis sieben oder acht Jahre stehen die Korrekturchancen bei 80 Prozent“, erklärt die Skoliose-Therapeutin. Bei älteren Kindern wird gegen eine Verschlechterung behandelt.
„Häufig fällt es erst mit 12, 13 oder 14 Jahren auf. Zum Beispiel, wenn die Eltern mit dem Sohn oder der Tochter im Urlaub sind. Das Kind sitzt dann so da“, sagt Lemberger-Kalle und demonstriert eine gebeugte, leicht schiefe Sitzhaltung. „,Sitz doch mal gerade‘, sagen die Eltern dann. Und das Kind: ‚Ich sitze doch gerade!‘“ Eltern, die spät mit ihren Kindern in die Praxis kommen, machten sich häufig Vorwürfe. „Das müssen sie nicht. Niemand ist schuld“, erklärt die Therapeutin. Je älter die Kinder werden, desto seltener sehen die Eltern sie in Unterwäsche und so kann ein schiefer Rücken lange Zeit nicht auffallen. „Mädchen sind häufiger betroffen als Jungs.“

„So etwas habe ich noch nie gesehen“
Lemberger-Kalle erinnert sich noch genau an den Moment, in dem sie bei einer Untersuchung zum ersten Mal eine Skoliose bei einem sechsjährigen Jungen gesehen hat. „So etwas habe ich noch nie gesehen, die Eltern wussten nichts davon“, erzählt sie.
Sie arbeitete damals in einer Kinder-Physiotherapie-Praxis und hatte es selten mit Skoliose-Patienten zu tun. Doch dieses Erlebnis sollte das ändern. Lemberger-Kalle wollte den betroffenen Patienten helfen, bildete sich auf dem Gebiet fort und ist mittlerweile unter anderem Schroth-Therapeutin – das ist eine Therapieform, die die Wirbelsäule dreidimensional korrigieren soll.
Lemberger-Kalle stieg 2013 in einer Skoliose-Praxis ein und eröffnete ein Jahr später eine eigene Praxis. Nach einer Vergrößerung im Jahr 2019 zog sie dieses Jahr in noch größere Räume am Burgring in der Unnaer Innenstadt. Dort gibt es eine bunt ausgestattete Turnhalle, Behandlungsräume, die nach Kontinenten benannt und mit ausreichend Spiegeln und modernen Geräten ausgestattet sind.
Ein neues Reich, in dem Kinder und Jugendliche auch Platz haben, gemeinsam ihre Übungen durchzuführen, während derer man sich auch mal nett unterhalten kann. „Im Sommer wollen wir auch den Garten nutzen“, freut sich Lemberger-Kalle. Dass sich die Patienten so gut verstehen, liegt aber nicht nur am Ambiente – häufig kennt man sich sehr lange, einige Patienten kommen über viele Jahre zur Behandlung. Das bringt die Krankheit mit sich.
Einfach vorbeikommen und durchchecken lassen
Eltern, die sich nicht sicher sind, ob ihr Kind einen schiefen Rücken hat oder die nicht deuten können, woher Rückenschmerzen oder Verspannungen kommen könnten, können das Skoliosezentrum aufsuchen und das Kind einmal durchchecken lassen. Doch auch die meisten Ärzte im Kreis Unna seien sensibilisiert, sagt Lemberger-Kalle. Das liege daran, dass es in der Umgebung viele Spezialisten gebe, die einen guten Draht zu den Ärzten hätten. „Wir sind im Austausch, manchmal kommen sie auch vorbei.“

Hilfe bei Leistungs- und Verhaltensproblemen
Lemberger-Kalle und ihr Team bieten in ihren Räumen nicht nur Skoliose-Therapien an, sondern behandeln auch Leistungs- und Verhaltensprobleme bei Kindern. Auch diese werden manchmal nicht bemerkt oder nicht ernst genommen. Wenn Kinder leicht wütend werden, sich beim Lernen schwertun oder zum Beispiel sehr unleserlich schreiben, könnten das Anzeichen für eine Schwäche sein, die sich mit speziellen Übungen behandeln lässt. Auch das bietet Lemberger-Kalle in ihren Räumen an.
Die Therapeutin möchte Eltern motivieren, sich bei Bedarf Hilfe zu holen und für die Krankheit Skoliose sensibilisiert zu sein. Auch im Internet oder in Broschüren gibt es zahlreiche Informationen zur Krankheit und verschiedenen Therapieformen. Entscheidend ist jedenfalls, dass die Hilfe so früh wie möglich kommt. Laut Lemberger-Kalle sind Mädchen häufiger betroffen als Jungen. Zudem kann ein Blick in die Verwandtschaft helfen. „Es liegt häufig in der Familie.“