Selbstmord oder Unfall Vor 20 Jahren stürzte Jürgen Möllemann in Marl in den Tod

Selbstmord oder Unfall: Vor 20 Jahren stürzte Jürgen Möllemann in den Tod
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Die unglaubliche Nachricht erreicht die Redaktion am Mittag des 5. Juni 2003, also vor genau 20 Jahren. Jürgen W. Möllemann, schillernder und streitbarer FDP-Politiker, soll bei einem Fallschirmsprung über Marl-Loemühle in den Tod gestürzt sein, heißt es.

Bereits 30 Minuten nach dem Unglück säumen Hunderte von Schaulustigen die Bockholter Straße, die zwischen Recklinghausen und Marl am Flugplatz Loemühle vorbeiführt. Sie sind lange vor den unzähligen Fernseh- und Rundfunkteams da und erleben wie der Absturzort auf einem Feld unmittelbar neben dem Flugplatz abgesperrt wird.

Aufschlag mit 200 Stundenkilometern

Längst hat sich bestätigt, dass es sich bei dem Toten tatsächlich um Jürgen Möllemann, den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler handelt. Spurensicherung und Gerichtsmediziner haben unter dem Dröhnen des startenden und landenden Polizeihubschraubers mittlerweile ihre Arbeit aufgenommen.

Ein Kondolenzbuch liegt einen Tag nach dem Unglück im Bürgersaal des historischen Rathauses in Münster neben einem Porträt des früheren FDP-Spitzenpolitikers Jürgen Möllemann und einem Blumengebinde.
Ein Kondolenzbuch liegt einen Tag nach dem Unglück im Bürgersaal des historischen Rathauses in Münster neben einem Porträt des früheren FDP-Spitzenpolitikers Jürgen Möllemann und einem Blumengebinde. © dpa

Der Sprung in den Tod - den Aufschlag mit 200 Stundenkilometern kann kein Mensch überleben - erfolgte unmittelbar nach Beginn einer Großrazzia in den Büros und Wohnräumen des FDP-Politikers, der sich im Zusammenhang mit einer Parteispendenaffäre verschiedenen Ermittlungsverfahren bei der Münsteraner und der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ausgesetzt sah. Deshalb macht am Flugplatz schnell die Vermutung die Runde, dass es sich um einen Suizid des 57-Jährigen handelt.

Ausstieg aus dem Flugzeug in 4000 Metern Höhe

Mit neun Mitspringern ist Jürgen Möllemann am Mittag des 5. Juni 2003 auf dem Flugplatz Loemühle in die „Pilatus Porter“ gestiegen. In 4000 Metern Höhe setzt die Gruppe zu einem ganz normalen Formationssprung an. Möllemann als Vorletzter.

Flugplatz Marl-Loemühle: Die Spurensicherung hat nach dem tödlichen Ausgang des Fallschirmsprungs ihre Arbeit aufgenommen.
Die Spurensicherung hat nach dem tödlichen Ausgang des Fallschirmsprungs ihre Arbeit aufgenommen. © dpa

Mit im Flugzeug: Thomas Vilter, der Vorsitzende des Marler Vereins für Fallschirmsport. „Wenn wir geahnt hätten, dass die Ermittler bei ihm waren, hätten wir Möllemann nicht ins Flugzeug gelassen“, sagt Vilter wenig später unserem Reporter vor Ort.

Fallschirm ohne erkennbaren Grund ausgeklinkt

Augenzeugen berichten, dass Möllemann seinen Fallschirm, der sich bereits ordnungsgemäß geöffnet hatte, nach ein bis zwei Minuten in 1600 Metern Höhe ohne erkennbaren Grund ausklinkte und auch von seinem Reserveschirm keinen Gebrauch machte. „Dafür gibt es keine plausible Erklärung“, sagt später der fassungslose Chef des Marler Fallschirmspringerclubs.

Außerdem hätte ein automatisches Sicherheitssystem („Cypres“) in einer Höhe von mindestens 225 Metern den Reserveschirm automatisch auslösen müssen. Mit dieser Technik sollen Fallschirmspringer, etwa wenn sie bewusstlos geworden sind, vor dem Tod gerettet werden.

Ein Amateur-Video sorgt für Spekulationen

Dass der erfahrene Fallschirmspringer Jürgen Möllemann dieses Notsystem bewusst abgeschaltet hat, dafür könnte ein Amateur-Video sprechen, das auch Teil der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft ist. Auf dem Video eines Team-Gefährten ist der Rucksack des Toten mit dem nicht aktivierten Notsystem zu sehen. Die Kameraden Möllemanns diskutieren darüber, dass der Politiker vor dem Einsteigen in die Maschine auf dem Flugplatz Loemühle die gegenseitige Kontrolle dieses Notsystems ausgelassen habe, als er noch ein Glas Wasser trinken gegangen sei.

Polizeibeamte stehen neben dem Flugzeug, aus dem der ehemalige FDP-Politiker Jürgen Möllemann mit seinem Fallschirm abgesprungen ist.
Polizeibeamte stehen neben dem Flugzeug, aus dem der ehemalige FDP-Politiker Jürgen Möllemann mit seinem Fallschirm abgesprungen ist. © dpa

Für die Staatsanwaltschaft bleibt der Hintergrund des Todessturzes trotz des Videos weiter unklar: „Für uns ergeben sich daraus keine neuen Erkenntnisse“, wird der Essener Staatsanwalt Hans-Christian Gutjahr zitiert. „Man kann nicht ausschließen, dass es Selbstmord war, man kann es aber auch nicht sicher sagen.“

Die nach dem tödlichen Fallschirmsprung Möllemanns durchgeführten Untersuchungen können nicht endgültig klären, ob es sich um einen Freitod oder ein Unglück handelte. Hinweise auf eine Manipulation durch Dritte finden die Ermittler jedenfalls nicht.

Jürgen W. Möllemann wird am 13. Juni 2003 in Münster beigesetzt. Er hinterlässt eine Ehefrau und drei Töchter.

„Die Partei“, die sich oftmals satirischer Mittel bedient, plant anlässlich des 20. Todestages von Jürgen Möllemann am Montag (5. Juni, 18 Uhr) eine fragwürdige Kranzniederlegung vor dem Flugplatz Loemühle in Marl. Die geschmacklos anmutende Überschrift „FDP - 20 Jahre freier Fall“ gibt die Intention dieser Veranstaltung vor.

Der Kreisverbandsvorsitzende Sebastian Schroer aus Oer-Erkenschwick wird in einer Pressemitteilung mit den irritierenden Sätzen zitiert: „Wenn man eines über Jürgen Möllemann nicht sagen konnte, dann, dass seine Person nicht einschlug, wo immer sie den Boden des politischen Wirkens betrat. Zu seinem 20. Todestag gedenken wir dieser letzten geerdeten Gestalt, die die FDP einst zu bieten hatte.“

In Facebook-Kommentaren sehen User die Grenzen der Satire in diesem Fall deutlich überschritten und stellen die Frage, ob „Die Partei“ sich Gedanken darüber gemacht hat, was diese Wortwahl bei den Angehörigen an Empfindungen auslöst.

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