Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist nach übereinstimmenden Medienberichten bereit, die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine zu erlauben - allerdings nur unter Bedingungen. Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ stellte Scholz in einem Telefonat mit US-Präsident Joe Biden klar, dass Deutschland nur liefern könne, wenn die USA ihrerseits der Ukraine Kampfpanzer vom Typ Abrams zur Verfügung stellen. Biden habe sich in dem Gespräch am Dienstag offenbar noch nicht festgelegt.
Auch die „Bild“-Zeitung meldete unter Berufung auf Regierungskreise, Scholz wolle sowohl deutsche Leopard-Lieferungen zulassen als auch Nato-Partnern dies erlauben - wenn auch die USA Abrams-Panzer zur Verfügung stellten. Dem Bericht zufolge geht es Scholz darum, dass Europa und die USA Kampfpanzer nur gemeinsam an die Ukraine geben, damit der russische Präsident Wladimir Putin die Nato nicht spalten könne.
Das Kanzleramt wollte sich am Abend zu den Berichten nicht äußern. Am Mittwoch hatte das Europaparlament Scholz aufgefordert, den Weg für die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern freizumachen. Der Kanzler solle „ohne weitere Verzögerung“ ein Konsortium der Länder auf den Weg bringen, die solche Panzer zur Verfügung stellen können, heißt es in einem Antrag, der am Mittwoch in Straßburg mit großer Mehrheit angenommen wurde. Kurz bevor der Westen am Freitag im rheinland-pfälzischen Ramstein über weitere Militärhilfe berät, nahm der Entscheidungsdruck auf Scholz damit weiter zu.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erwartet, dass von Ramstein die Botschaft ausgehen wird, dass die Ukraine „mehr weiterführende Unterstützung, schwerere Waffen und mehr moderne Waffen“ bekommt. Es handele sich um einen Kampf für die eigenen Werte und die Demokratie, sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf der internationalen Gemeinschaft zu langes Zögern vor. „Die Zeit, welche die freie Welt zum Denken benötigt, wird vom Terrorstaat (Russland) zum Töten genutzt“, sagte Selenskyj in einer Video-Ansprache.
Scholz bleibt in Davos bei seiner Linie
Der Kanzler ließ am Mittwoch beim Weltwirtschaftsforum in Davos noch keine Tendenz erkennen. Er verwies erneut darauf, dass Deutschland bereits jetzt zusammen mit Großbritannien und nach den USA zu den größten Waffenlieferanten der von Russland angegriffenen Ukraine zähle. „Wir werden weiter ein so großer Unterstützer bleiben“, versprach er. Deutschland werde Waffen liefern, so lange es nötig sei.
Scholz bekräftigte, dass er nur gemeinsam mit den Verbündeten über neue Schritte entscheiden werde. Explizit nannte er die USA und Frankreich. Man wolle weiterhin vermeiden, dass es zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland komme.
Scholz sitzt am Hebel
An diesem Donnerstag wird zunächst Scholz‘ neuer Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nach seiner Vereidigung als erste Amtshandlung mit seinem US-Kollegen Lloyd Austin in Berlin über weitere Unterstützung für die Ukraine beraten. Weltweit verfügen 20 Länder über die modernen Leopard-2-Panzer, die in Deutschland produziert werden. Die Bundesregierung muss deshalb jede Weitergabe dieser Panzer - egal aus welchem Land - genehmigen. Das ist in der Regel in den Kaufverträgen so festgeschrieben. Das heißt: Scholz sitzt am Hebel für die Lieferung der Panzer in die Ukraine.
Polen und Finnland haben sich schon bereit erklärt, im europäischen Verbund Leopard 2 zur Verfügung zu stellen. Großbritannien hat angekündigt, Kampfpanzer anderen Typs in die Ukraine zu liefern. Deren Challenger 2 sind aber mit den Leopard 2 vergleichbar.
Die Aufforderung des Europaparlaments an Scholz wurde auf Antrag der Grünen in einen Bericht zur gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufgenommen. Dieser hat keine rechtliche Bindung. Dass ein Regierungschef eines EU-Landes namentlich in einem solchen Bericht zu etwas aufgefordert wird, gilt allerdings als außergewöhnlich - zumal der Antrag auf Initiative der an der Bundesregierung beteiligten Grünen eingebracht wurde.
„Der Druck auf die deutsche Bundesregierung, die Lieferungen von Leopard-2-Panzern endlich zuzulassen, wächst auch in Europa“, kommentierte der CDU-Außenpolitiker David McAllister (CDU) den Beschluss. Er betonte, dass sich das Europäische Parlament bereits am 6. Oktober für die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine ausgesprochen habe.
Lieferung von US-Kampfpanzern offen
Die USA bereiten nach Berichten neue umfangreiche Waffenlieferungen an die Ukraine vor. Das Nachrichtenportal „Politico“ berichtete am Mittwoch unter Berufung auf informierte Kreise, dass die USA unter anderem die Lieferung von Radschützenpanzern des Typs Stryker erwägen. Es werde derzeit nicht erwartet, dass die USA die Lieferung eigener Abrams-Kampfpanzer genehmigen, hieß es in dem Bericht. Grund sei die aufwendige Instandhaltung und Ausbildung an dem Kampfpanzer. Von offizieller Stelle gab es hierfür zunächst keine Bestätigung.
Die US-Regierung ist laut einem CNN-Bericht optimistisch, dass Deutschland der Lieferung zustimmen wird. „Wir sind sehr optimistisch, dass wir in dieser Frage bis Ende der Woche Fortschritte machen werden“, zitierte der US-Sender einen hochrangigen Beamten des Pentagon. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin werde die deutsche Seite drängen, die Lieferung zu erlauben, um die Ukraine zu befähigen, eine potenzielle Frühjahrsoffensive Russlands zu kontern.
Ukraine will Panzer
Aus der Ukraine kamen erneut laute Rufe nach Kampfpanzern. Der stellvertretende Außenminister Andrij Melnyk sagte dem Nachrichtenportal „t-online“, er erwarte, das Pistorius „viel entschlossener und schneller“ agieren werde als seine Vorgängerin Christine Lambrecht (SPD). Deutschland müsse „Kampfpanzer, Kampfjets, Kriegsschiffe, Mehrfachraketenwerfer, Artillerie, Flugabwehr und natürlich ausreichend Munition“ liefern.
Wladimir Klitschko, Bruder von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko, schrieb auf Twitter an Pistorius: „Wir setzen in der Ukraine darauf, dass Sie den Satz ernst meinen: „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen!“ Nur das ist jetzt wichtig für uns und dafür brauchen wir jetzt vor allem eines: Leopard II Panzer!“. Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Oleksii Makeiev, schloss sich der Forderung im „Münchner Merkur“ an und kritisierte, dass Deutschland offenbar keine langfristige Strategie für Lieferungen habe, sondern „immer nur von Tag zu Tag“ denke.
Glückwunsch zur Berufung zum Verteidigungsminister, Boris Pistorius! Wir setzen in der Ukraine darauf, dass Sie den Satz ernst meinen: „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen!“ Nur das ist jetzt wichtig für uns und dafür brauchen wir jetzt vor allem eines: Leopard II Panzer!
— Klitschko (@Klitschko) January 17, 2023
Der ehemalige Bundeswehr-General Hans-Lothar Domröse rechnet damit, dass die Zurückhaltung in Berlin aufgegeben wird. „Ich erwarte, dass die Bundesregierung beim Treffen der Ukraine-Unterstützer am Freitag in Ramstein die Zusage für die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern macht“, sagte Domröse den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Ich gehe davon aus, dass sie den europäischen Partnern nicht nur die Verschickung der Kampfpanzer erlaubt, sondern selbst noch „Leos“ aus dem Bestand der Bundeswehr dazugibt - vielleicht im niedrigen zweistelligen Bereich.“ Auf diese Weise könnten der Ukraine insgesamt rund 100 Leopard-Panzer aus Europa geliefert werden.
Panzer gelten als wichtig für die Rückeroberung besetzter Gebiete. Der Leopard 2 wiederum gilt als einer der wirkungsvollsten Kampfpanzer weltweit. Die Ukrainer wollen mit ihm gegnerischen Linien in dem zuletzt eher statischen Stellungskrieg durchbrechen.
dpa
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