Bezirksregierung tritt als Bittsteller auf Schöppinger diskutieren über Notunterkunft

Gute Argumente für beide Seiten
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Ein Gast hat es nach gut zweieinhalb Stunden auf den Punkt gebracht: „Es gibt gute Argumente für den Weiterbetrieb und gute Argumente dagegen.“ Der Gemeinderat soll am 6. November (Montag) entscheiden, ob die Flüchtlingseinrichtung über den 31. Dezember hinaus geöffnet bleibt.

Regierungsvizepräsident Dr. Ansgar Scheipers machte während der Infoveranstaltung zur Zukunft der Notunterkunft deutlich, dass die Bezirksregierung derzeit versuche, möglichst viele Kapazitäten zu schaffen. Der Bedarf betrage mehrere Tausend Plätze.

Scheipers betonte mehrmals, dass Schöppingen in den vergangenen 30 Jahren „seinen Beitrag geleistet hat“. Die Schöppinger könnten stolz auf das Geleistete sein. Die Unterkunft an der Berliner Straße ist die älteste Einrichtung des Landes. Deshalb habe er „nichts zu fordern. Ich bin Bittsteller, Sie diktieren.“

Fachbereichsleiter Fabian Wellers stellte die Auswirkungen für die Gemeinde sowohl beim Weiterbetrieb als auch bei der Schließung der Einrichtung vor. Derzeit leben 145 Flüchtlinge aus sechs Nationen mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus in Schöppingen. Diese wohnen in 29 Wohnanschriften. In Zukunft wird sich diese Zahl je nach Migrantenentwicklung in Deutschland ändern.

54 freie Wohnplätze

Bleibt die Flüchtlingsunterkunft geöffnet, muss die Kommune weiterhin keine Migranten ohne gesicherten Aufenthaltsstatus aufnehmen. Denn die Belegung der Unterkunft wird Eins-zu-Eins der Gemeinde angerechnet, die damit auf jeden Fall über dem Soll läge. Würde die Unterkunft geschlossen, ging Wellers von circa 130 bis 150 Migranten ohne gesicherten Aufenthaltsstatus aus, die die Gemeinde zusätzlich aufnehmen muss. Dabei orientierte er sich an den Zahlen ähnlich großer Kommunen (Heek, Legden, Metelen, Südlohn).

Das bedeutete eine Verdoppelung der Geflüchtetenzahl. Die wären von der Gemeinde zu betreuen, so Wellers. Und nicht nur das. Die Kommune müsste auch für die Unterbringung sorgen. „Eine dezentrale Unterbringung wie bisher wäre voraussichtlich nicht mehr möglich“, betonte Fabian Wellers. Noch verfügt die Gemeinde über 54 freie Wohnplätze. Die werden aber für regelmäßig neu Ankommende vorgehalten.

Raunen geht durchs Publikum

Bei einer Schließung gebe es wahrscheinlich eine zentrale Sammelunterkunft oder Containerlösungen, so der Fachbereichsleiter. Als er die möglichen Standorte aufführte, ging zuweilen ein Raunen durchs Publikum.

Die Verwaltung sieht folgende Möglichkeiten: Containererweiterung an der Amtsstraße 60, Fläche des ehemaligen Raiffeisenmarkts in Eggerode, Freifläche zwischen Steinfurter Straße und Friedhof, Fläche zwischen Vechtestadion und Lagerhalle, freistehende Gewerbeflächen, dauerhafte Anmietung von Hotels und Ferienzimmern, Turnhallenbelegung, Containerlösung auf der Festwiese und die Umnutzung der Kulturhalle.

Im (Kosten-)Nebel stochern

Die Kosten für die Unterbringung müsste die Gemeinde übernehmen. Bei den Kosten „stochern wir im Nebel. Wir können diese Zahlen nicht liefern“, antwortete Bürgermeister Franz-Josef Franzbach auf eine entsprechende Nachfrage. Während die Gemeinde bei der zu erwarteten Zahl von aufzunehmenden Migranten sich an Nachbarkommunen orientierte, erfolgte eine solche grobe Orientierung bei den Kosten nicht. Über die möglichen finanziellen Auswirkungen blieben die Zuhörer im Unklaren. „Mir fehlen die Zahlen. Ich hätte gerne mehr Fleisch“, fand so auch CDU-Ratsherr Andreas Bruns.

Fabian Wellers machte allerdings deutlich, dass es teurer würde. Das liegt auch an einem erhöhten Stellenbedarf in der Verwaltung. Außerdem müsste die Gemeinde für die Sicherheit und Versorgung von Sammelunterkünften sorgen.

Vergünstigungen möglich

Bei einer Schließung der Notunterkunft wären die dann in der Gemeinde unterzubringenden Migranten ohne gesicherten Aufenthaltsstatus schulpflichtig und hätten einen Anspruch auf einen Kitaplatz. Auch dafür wäre die Kommune verantwortlich. Wellers sah zudem einen Mehrbedarf für die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe. Und auch die gesellschaftlichen Anforderungen an die Integration stiegen.

All diese Kosten und Aufgaben kommen nicht auf die Gemeinde zu, wenn die bisherige Unterkunft geöffnet bleibt. Mit diesen Vorteilen warb auch Regierungsvizepräsident Scheipers für einen Weiterbetrieb. Außerdem deutete er „vielleicht weitere Vergünstigungen“ an. Die müssten später ausgehandelt werden.

ZUE hat höhere Standards

Die Bezirksregierung möchte die Einrichtung am liebsten von der bisherigen Notunterkunft zu einer Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) aufwerten. Scheipers: „Eine ZUE hat erhöhte Standards.“ Das bedeutet einen besseren Personalschlüssel und bessere Betreuungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel ein schulnahes Angebot in der Einrichtung und Sozialbetreuung.

Während der Diskussion gab es für einen Gast eine entscheidende Frage: „Will man das Baugebiet auf dem ehemaligen Kasernengelände entwickeln oder nicht? Wenn man es entwickeln will, dann muss es bei der Schließung bleiben. Ich verstehe das Dilemma.“ In drei Jahren, mutmaßte ein anderer Teilnehmer, wäre die Fläche vermutlich aus artenschutzrechtlichen Gründen für ein Baugebiet nicht mehr nutzbar.

100 Bauwillige in Schöppingen

Auf der von der Verwaltung geführten Bauwilligen-Liste stehen 95 bis 100 Namen. Wie viele davon wirklich bauen wollen, „kann man nicht sagen“, so Franz-Josef Franzbach. Nach Auskunft von Banken kostete ein Neubau in Schöppingen derzeit rund 550.000 bis 600.000 Euro, so der Verwaltungschef.

Der Grünen-Fraktionschef Manfred Epping hat „Probleme damit“, wenn auf der Fläche das lang ersehnte Baugebiet nicht entsteht. Eine dreijährige Wartezeit (für die Verlängerung) ist für ihn nicht akzeptabel. Auch CDU-Ratsmitglied Alfons Wissing sprach sich wegen der Bauplatzproblematik für die Schließung aus.

Manfred Epping schlug vielmehr eine neue ZUE auf der Fläche zwischen Steinfurter Straße und neuem Friedhof vor. Das sah Ansgar Scheipers jedoch angesichts der langen Einrichtungszeit kritisch. Die Bezirksregierung bevorzugt Bestandsgebäude.

Regierungsvizepräsident Dr. Ansgar Scheipers (M.) stellte während der Bürgerinformationsveranstaltung zur Zukunft der Flüchtlingsunterkunft in Schöppingen die Position der Bezirksregierung Münster dar.
Regierungsvizepräsident Dr. Ansgar Scheipers (M.) stellte während der Bürgerinformationsveranstaltung zur Zukunft der Flüchtlingsunterkunft in Schöppingen die Position der Bezirksregierung Münster dar. © Rupert Joemann

Momentan liegt die Aufnahmekapazität der Notunterkunft bei 496 Menschen. Sollte ein noch nicht genutztes Haus künftig belegt werden, könnte die Zahl um 80 auf 576 steigen. Doch das ist nicht in Stein gemeißelt. Das sei Verhandlungssache, so der Regierungsvizepräsident. Wenn die Gemeinde 350 oder 400 Personen vorschlage, würde das die Bezirksregierung akzeptieren. Er habe ein großes Interesse am grundsätzlichen Weiterbetrieb. Dieser müsse aber wirtschaftlich sein, schränkte er ein.

Eine ZUE in „perspektivisch geringerem Umfang“ kann sich auch Bürgermeister Franzbach vorstellen. Er hält die ZUE für „die richtige Lösung für Schöppingen“.

29 Polizeieinsätze

Dem widersprachen einige Gäste. UWG-Ratsmitglied Agnes Denkler sah den Weiterbetrieb „sehr kritisch“. Schöppinger hätten durchaus negative Erfahrungen mit Bewohnern der Notunterkunft gemacht. Einige weibliche Teilnehmerinnen schilderten persönliche Erlebnisse, bei denen sie von Migranten belästigt worden sind. Eine Frau erzählte von ihrer Mutter, die mittlerweile mit dem Taxi nach Hause fährt, weil sie sich nicht sicher fühlt.

„Das subjektive Sicherheitsgefühl kann ich Ihnen nicht nehmen“, sagte der zuständige Ahauser Wachleiter Manfred Lütjann. Die Notunterkunft sei aber „keine besondere Kriminallage“. In diesem Jahr gab es bisher 29 Polizeieinsätze. Das sei keine auffällige Zahl.

Routinemäßige Polizeibesuche

Zusätzlich haben Polizeibeamte 180 Mal „nach dem Rechten geschaut“, so Lütjann. Dabei handelt es sich um routinemäßige Besuche. Hinzu kommen die Besuche des Schöppinger Bezirksbeamten Thorsten Uhde. Nicht jedes Mal, wenn ein Polizeiwagen zur ZUE fahre, gebe es einen Einsatz, so Manfred Lütjann.

Aus Reihen der Besucher wurde auf den Fall des 2009 von einem abgelehnten Asylbewerber ermordeten Jugendlichen Kevin hingewiesen. Tenor: Auch jede noch so gute Sicherheitslage gibt keine Garantie.

Steuern könnten steigen

Eine Besucherin hielt die Integration von 150 Leuten in den Ort für besser als 500 Menschen in der ZUE. „30 Jahre sind genug“, sagte sie. Der UWG-Fraktionsvorsitzende Horst Emmrich wies auf die Folgen eines solchen Beschlusses hin. Aus seiner Sicht müssten dann die Grundsteuern und die Gewerbesteuer steigen, um die Kosten aufzufangen.