Sogar Schließung ist möglich Schauspielhaus Dortmund ist eine Ruine - Kakerlaken sind das kleinste Problem

Schließung ist möglich: Schauspielhaus ist eine Ruine - Kakerlaken sind das kleinste Problem
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Vorne hui, hinten pfui. Das gilt für alle älteren Theater und Konzerthäuser: Hinter den Kulissen sieht es längst nicht so glamourös aus wie im Zuschauerbereich oder auf der Bühne.

Aber das, was sich im Dortmunder Schauspielhaus hinter den alten Backsteinmauern aus dem Jahr 1912 offenbart, ist nicht nur marode und hat Ekelpotenzial, sondern ist auch brandgefährlich. Da sind die Kakerlaken, die bis in die vierte Etage gekrabbelt sind, das kleinste Problem. Die hat der Kammerjäger in den Theaterferien entfernt.

Schließung ist unausweichlich

„Wir gehen davon aus, dass wir innerhalb der nächsten zwei Jahre den Laden dicht gemacht bekommen“, sagt Tobias Ehinger, Geschäftsführer des Theater Dortmund. So ist es 2016 dem Theater Augsburg ergangen. Die Feuerwehr könne das Haus jederzeit früher schließen, sagt Ehinger.

Intendantin Julia Wissert müsse die Spielzeit 2024/25 zum Teil schon in einem Ausweichquartier planen, das gerade gesucht wird. Auch, weil 2025 der Bau der „Jungen Bühne“ beginnt, ist das Schauspielhaus dann nicht mehr bespielbar.

Das Magazin wurde saniert

Das Schauspielhaus wurde 1912 gebaut und von 1946-50 als Interimsbau für die Oper umgebaut. Im Zuge des Werkstattumbaus wurde das Schauspielmagazin neu gebaut. Im Falle des Neubaus könnte dieser Bereich erhalten bleiben.

Das Haus zu sanieren sei keine Option, Abriss und Neubau die einzig sinnvolle Lösung. Darin sind sich Tobias Ehinger, Daniel Buess, Leiter der Bauabteilung des Theaters, und Thomas Bohl, technischer Leiter des Schauspiels, einig. Wir haben mit den drei Herren einen Rundgang gemacht, Intendantin Julia Wissert wollte nicht dabei sein.

Eimer stehen auf der Bühne

Erste Station: Der Rollenboden über der Bühne. Die Techniker laufen dort auf Holzbohlen, zwischen denen Spalten sind. Unter der Decke hängt ein Netz. Es fängt die Putzbrocken auf, die von der Decke fallen – bis auf die Bühne.

Außerdem regnet es durch, „wasserfallartig und literweise bei Starkregen“, sagt Thomas Bohl. Dann werden Eimer und Wannen auf die Bühne gestellt, bei Starkregen wischt auch schon mal jemand zwischen den Szenen den Bühnenboden trocken.

Es ist unvorstellbar, dass zwischen Eimern inszeniert werden muss. Als noch zu Kay Voges‘ Zeiten einmal aufwändigere Technik auf der Bühne stand, musste diese mit einem Pavillon überbaut werden, um regensicher zu stehen.

Fluchttüren nicht barrierefrei

Zweite Station: Wir balancieren enge Eisen-Wendeltreppen und Steintreppen mit ungleich hohen und breiten Stufen wieder runter.

Im Notfall ist das gefährlich, und barrierefrei ist es ohnehin nicht. Auch vor Fluchttüren, die noch mit alter Schrift bemalt sind, befinden sich Stufen.

Keiner kennt die Kabel

Dritte Station: Wir stehen auf der Unter-Bühne mit Blick auf die Hubpodien. Die Bühne liegt dort auf Ziegeln, die noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammen. Büschelweise und unsortiert laufen Leitungen über die Wand.

Die Elektrik stammt noch aus dem Jahr 1947 und liegt direkt unterhalb von Abwasserrohren – ungedämmt. „Keiner weiß, wofür welche Kabel da sind“, sagt Thomas Bohl. Alle wissen nur, dass es brandgefährlich ist. Die Kabelstränge laufen weiter durch den Zuschauerraum. „Sie sind hinter der Holzverkleidung verlegt“, sagt Bohl.

Decke wird abgestützt

Vierte Station: Ein Betriebsraum unterhalb der Drehbühne. Die Decke ist provisorisch abgestützt, damit sie nicht einstürzt.

Zum Teil stehen dort noch Mauern von 1912, und es wurden auch 1948 Ziegel von 1912 verbaut.

Die Fluchttüren sind uralt und nicht barrierefrei.
Die Fluchttüren sind uralt und nicht barrierefrei. © Oliver Schaper

Letzte Station: Zum Schluss schließt Thomas Bohl den Keller auf, der im Theater „Hitchcock-Keller“ heißt. Regenwasser und Abwasser mischen sich dort in vielen Metern Tiefe in einem See. Fäkalien und wer weiß was noch schwimmen dort, es riecht extrem muffig.

„Es ist ein offener Fäkalienschacht“, sagt Bohl. Dennoch müssen Mitarbeiter der Haustechnik gelegentlich dort hinein und Rohre flicken. – Mit Schutzanzug, aber die Arbeitsbedingungen für die städtischen Mitarbeiter sind unmenschlich

Diesen Keller nennen alle im Theater den „Hitchcock“-Keller. Es ist ein offener Fäkalienschacht.
Diesen Keller nennen alle im Theater den „Hitchcock“-Keller. Es ist ein offener Fäkalienschacht. © Oliver Schaper

Sanieren bringt nichts

Die Mängelliste ließe sich weiter fortführen. „Wir müssen Abriss und Neubau so schnell wie möglich angehen“, sagt Tobias Ehinger: „Sonst hat die Stadt ein Problem mit dem Leerstand. Dann steht hier eine Bauruine.“

Die Bauwirtschaft breche zurzeit ein. „deshalb wäre jetzt der richtige Zeitpunkt“, betont Ehinger.

72 Millionen Euro sind vom Kölner Architekturbüro JSWD für die Sanierung des Schauspielhauses veranschlagt. 93 Millionen Euro für den Neubau. „Dann hätte Dortmund für die nächsten 50 Jahre ein zukunftsfähiges Theater“, so Ehinger.

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