Russlands gewaltige Verluste Wie Putins Bevölkerung schwindet

Russlands gewaltige Verluste: Wie Putins Bevölkerung schwindet
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Russland hat nach Einschätzung von US‑Geheimdiensten im Angriffskrieg gegen die Ukraine in den vergangenen Monaten schwere Verluste erlitten. Allein seit Dezember seien mehr als 20.000 Soldaten getötet und rund 80.000 verwundet worden, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, am Montag in Washington.

Zunächst war nach den Äußerungen unklar geblieben, ob die Geheimdienstinformationen den Krieg in der Ukraine insgesamt oder nur die Schlacht um die umkämpfte Stadt Bachmut widerspiegeln. Ein Vertreter des Nationalen Sicherheitsrates stellte am Dienstag jedoch gegenüber der Deutschen Presse-Agentur klar, dass sich die Opferzahl auf die Kämpfe in der gesamten Ukraine beziehe. Unabhängig überprüfen lassen sich die Zahlen nicht.

Neben tausendfachem menschlichen Leid verschärft der am 24. Februar 2022 vom Kreml begonnene Angriffskrieg Russlands negative Bevölkerungsentwicklung gleich in mehrfacher Weise dramatisch. Das belegen sogar russische Quellen.

Laut Russlands führendem Demografieexperten Alexej Rakscha ist Russland eines der weltweit am stärksten schrumpfenden Länder. Und das liegt an folgenden Gründen:

Schwache Geburtenrate

1.908.000 Verstorbenen im Jahr 2022 standen nur 1.306.000 Neugeborene gegenüber. Auf eine russische Frau kamen damit 2022 lediglich 1,44 Kinder – in Deutschland sind es mit 1,53 Kindern pro Frau nur unwesentlich mehr. 2021, im letzten Jahr vor dem Krieg, waren es 1,5 Kinder pro Frau. Auch ohne Krieg hat sich Russlands Bevölkerung seit 1992 um rund 2 Prozent auf 145,6 Millionen Einwohner verringert, im gleichen Zeitraum wuchsen beispielsweise die USA um 33 Prozent.

Der Krieg hat sich wohl auch auf die ohnehin schwache Geburtenrate nachteilig ausgewirkt. Das zumindest sagt der Demografieexperte Rakscha in Bezug auf Zahlen des Amtes für Personenstandswesen in Burjatien, einer autonomen Republik im Osten Russlands.

In diesem Amt, „das als Einziges in Russland die tägliche Statistik der Geburten, Todesfälle, Eheschließungen und Scheidungen veröffentlicht, sehe ich einen Einbruch“, so Rakscha in einem Beitrag für die „Moskauer Deutsche Zeitung“. Allein im November, also exakt neun Monate nach Kriegsbeginn, lag die Geburtenrate in Burjatien um 13,5 Prozent unter dem Wert des Vorjahres. Ob sich daraus ein gesamtrussisches Bild herleiten lässt, ist nicht sicher.

Fest steht aber, dass kein Ereignis Russlands Demoskopie nachhaltiger und negativer beeinflussen wird als der Krieg gegen die Ukraine.

Massenflucht

Russlands Angriffskrieg und zunehmend lückenlose Erfassung junger Männer für den Wehrdienst hat zu einer in Europa beispiellosen Massenflucht geführt. „Die Verluste durch Migration sind um das Zehnfache erheblicher als die Verluste aus den Kriegshandlungen. Erstens sind es um ein Vielfaches mehr Menschen, die nach dem 24. Februar 2022 Russland verlassen haben. Zweitens sind es weitaus gebildetere und wohlhabendere Leute, die Fremdsprachen beherrschen, Kenner moderner Fachgebiete und Berufe, die einen großen Beitrag bei der Entwicklung der Wirtschaft in Russland leisten könnten, es aber jetzt nicht tun“, äußerte der Demografieexperte Rakscha in der „Moskauer Deutschen Zeitung“. „Das ist sehr wichtig. Und sehr schlecht.“

Laut Rakscha reisten nach dem 24. Februar „ungefähr 150.000 Personen ohne Rückkehrabsichten aus“. In der zweiten Welle nach der Verkündung der Mobilmachung am 21. September hätten zudem zwischen 300.000 bis 350.000 Menschen das Land verlassen, bis hin zu 700.000. Natürlich gab es auch Rückkehrer. Doch die Daten sind vom Jahresanfang, sodass die tatsächliche Zahl der Ausgereisten wahrscheinlich noch höher liegt.

Die „Washington Post“ berichtete Mitte Februar, mindestens 500.000, vielleicht sogar fast eine Million Menschen hätten das Land seit Beginn der Invasion in der Ukraine verlassen. Die meisten Russen flohen jedoch in die unmittelbaren Nachbarländer wie Kasachstan, Georgien und die etwas weiter entfernte Türkei.

Der Tod junger Männer im Krieg

Nach unbestätigten Angaben aus Kiew hat Russland seit Kriegsbeginn im Februar des Vorjahres gar Gesamtverluste von 200.000 Mann in der Ukraine erlitten, wie es am Montag im täglich aktualisierten Lagebericht hieß. Wie hoch die Zahl der gefallenen Russen tatsächlich ist, darüber kann nur spekuliert werden.

Niedrige Lebenserwartung

Die Weltbank schätzte die Lebenserwartung eines Neugeborenen in Russland auf nur 71 Jahre (in Deutschland beträgt sie rund 81 Jahre). Bei russischen Männern liegt sie bei 66 Jahren, damit liegt Russland sogar noch hinter Ländern wie Nordkorea, Syrien oder Bangladesch.

Seit März 2022 gibt die staatliche Statistikbehörde Russlands aber keine Statistik der Verstorbenen nach Geschlecht und Alter getrennt mehr heraus. Nach Rakschas Berechnungen verlieren die russischen Männer weitere „0,6 Jahre an Lebensdauer im Vergleich, wenn es die Spezialoperation nicht gegeben hätte“.

Corona-Pandemie

Laut dem russischen Demografieexperten Rakscha hat die Pandemie in Russland rund 1,12 Millionen Menschenleben gekostet. „So hoch war die überbordende Sterblichkeit in der Pandemie“, bestätigt der Demografieexperte in der „Moskauer Zeitung“. Zum Vergleich: Die USA hatten bei einer Gesamtbevölkerung von 332 Millionen, also 2,2‑mal mehr als Russland, etwa eine Million Corona-Tote zu beklagen. Gerechnet auf die Gesamtbevölkerung starben in Russland also mehr als doppelt so viele Menschen an Corona wie in den USA, die als eines der am stärksten betroffenen Länder im Westen gelten.

Krieg gegen den Bevölkerungs­rückgang?

Nach aktuellen Berechnungen wird Russland in den nächsten 30 Jahren rund ein Sechstel seiner Bevölkerung im erwerbs- und wehrfähigen Alter verlieren. Langfristig kommt ein Arbeitskräftemangel auf die Russen zu.

Insgesamt dürfte Russland etwa ein Viertel seiner Erwerbs­bevölkerung verlieren, wobei der Krieg in der Ukraine noch nicht einmal berücksichtigt ist. Dies geht aus einer Projektion der Vereinten Nationen hervor.

Gut möglich, dass Russlands Präsident Wladimir Putin im Krieg gegen die Ukraine auch eine Möglichkeit sieht, Russlands Bevölkerungsrückgang zu stoppen: Stephen Sestanovich, Professor an der Columbia University’s School of International and Public Affairs, warf in der „Washington Post“ die Frage auf: „Wenn man sich Sorgen um eine schrumpfende Bevölkerung macht, wird die Eroberung der 40 Millionen Menschen nebenan Ihr Problem lösen?“

RND

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