Die Leute sollen reisen, bestenfalls mit der Deutschen Bahn. Die Eisenbahn gibt daher seit Jahrzehnten selbst Reisetipps heraus. Gut bekannt sein dürften die Empfehlungen in Metropolen, die vom ICE angefahren werden.
Ganz neu ist der „Reiseführer Ruhrgebiet“, den die DB auf ihrem Portal DB Mobil online gestellt hat. Kein Wunder, dass der Regionalverband Ruhrgebiet (RVR) frohlockt. Schließlich ist alles willkommen, was der Attraktivitätssteigerung der in anderen Teilen der Republik oft noch als Kohlenpott-grau verrufenen „Metropolregion Ruhr“ dient.

Stiefmütterliche Rolle im Reiseführer
Der grüne Kreis Unna, östlichstes Teilgebiet des RVR, kommt allerdings nur am äußersten Rande in dem Online-Reiseführer vor. Dass der Kreis Unna unter touristischen Aspekten und bei Marketingaktivitäten stiefmütterlich behandelt wird, kennt man sonst eigentlich ausgerechnet nur vom RVR selbst.

In einem prächtigen Bildband zum 100-jährigen Bestehen des Kommunalverbandes etwa fristeten die Kommunen aus dem Kreis Unna vor einigen Jahren eher ein Schattendasein. Da ging es vorrangig um die „RVR-Hauptstadt“ Essen und einige andere Großstädte.
Auch im Reiseführer der Deutschen Bahn spielen die hinlänglich bekannten Platzhirsche die größte Rolle – so wie der RVR Essen-zentriert ist und daneben gerade noch Dortmund, Bochum oder Duisburg gelten lässt, hat auch die Staatsbahn ausgetrampelte Pfade sicherheitshalber nicht verlassen.
Stereotypen über das Ruhrgebiet
So gibt es in der fancy daherkommenden Rubrik „Die besten Selfie-Spots“ gerade einen Ort aus dem Kreis Unna, der den Autoren aufgefallen ist: das Colani-Ei in Lünen. Ansonsten: dreimal Essen, dreimal Dortmund, zweimal Duisburg und Gelsenkirchen. Beim „Slinky Springs to Fame“ – eine Fußgängerbrücke über den Rhein-Herne-Kanal – wird Oberhausen als Ort erst gar nicht angegeben.
Seltsam: Mit dem ebenfalls genannten Alten Hafenamt in Dortmund könnten es zum Beispiel die historischen Rathäuser in Werne oder Schwerte – beide Städte mit der Bahn erreichbar – sicherlich aufnehmen – sei‘s drum.
Aus welchem Jahrhundert das Bild der DB-Reiseführer-Autoren vom Ruhrgebiet stammt, wird bei den Literaturtipps deutlich, die in der Rubrik „zur Einstimmung“ ebenfalls gegeben werden: „Die Vorstadtkrokodile“ von 1976, „Manta, Manta“ von 1991 oder „eine Sammlung älterer Aufnahmen“ von Else Stratmann – Ältere erinnern sich noch an die schnoddrige Metzgersgattin aus Wanne-Eickel, die Elke Heidenreich 1975 erfand. Ja, mit Hilfe dieser Lektüre lässt sich bestimmt viel über das Ruhrgebiet nach dem Strukturwandel lernen, was dann auch noch Lust auf einen Besuch macht.

Als wären der Stereotypen noch nicht genug, kramt die Deutsche Bahn dann auch noch absolut typische Souvenirs aus dem Ruhrgebiet hervor: Grubenlampen, Miniaturfördertürme, Bergbau-Loren aus Essen (!) als „Bergbau-Folklore“, wie es heißt, Klamotten vom Label „Malochermode“ – „Hoodies in Schwarz oder Rostrot, Shirts wie von Kohlenstaub beschmutzt“. Schiere Verzückung scheint hier die Feder geführt zu haben. Ja, so muss es wohl sein, „unser Ruhrgebiet“.
Heimlicher Favorit: Linden-Brauerei in Unna
Und welche Veranstaltungen, die man im Ruhrgebiet unbedingt besuchen sollte, haben die Reiseführermacher gefunden? Natürlich die „Extraschicht“ und den „Tag der Trinkhallen“ – aber ansonsten hat man auch hier nichts Interessantes im Kreis Unna ausgemacht. Stattdessen den phänomenalen Weihnachtsmarkt in Dortmund – der hat ja auch immerhin den größten Weihnachts-„baum“ der Welt.
Für zwei Wochenendtrips – beliebte Rubrik auch in jedem Baedeker – begibt sich der DB-Reiseführer ins westliche und – Achtung: Kreis-Unna-Alarm! – ins östliche Ruhrgebiet. Um es vorwegzunehmen: Für die Deutsche Bahn fängt der Osten des Ruhrgebiets in Dortmund an und hört in Bochum auf. No sightseeing im Kreis Unna!
Am Ende überrascht der Reiseführer dann doch noch: „Heimlicher Favorit“ im Ruhrgebiet ist für die Autoren nämlich die Lindenbrauerei in Unna mit dem Lichtkunstzentrum. Neben dem Beversee in Bergkamen unter der Rubrik „Grüne Fakten“ hat es der Kreis Unna daher am Ende doch noch dreimal in das DB-Werk geschafft. Was sagt man dazu im Ruhrgebiet? „Die ham´se doch nich mehr alle!“